II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 251

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22. Derjunge Medandus
J. Minor, Schnitzlers „Der junge Medardus“.
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dem Abschluß des Friedens, am 14. Oktober 1809, erschossen wurde. Er
drängte sich bei einer Truppenrevue in die Nähe des Kaisers, wurde aber von
dem General Rapp verhaftet und der Mordwaffe, eines langen Küchenmessers,
beraubt. Seine Absicht, den Kaiser zu töten, gestand er diesem unerschrocken
ein. Napoleon wollte ihm das Leben schenken, wofern er ihm dafür Dank
wisse. Der junge Held antwortete: „Ich werde Sie darum nicht weniger er¬
morden“ und ging freudig in den Tod, das Bild seiner Geliebten vor dem
Herzen, die allein um seine Tat wußte. Hier haben wir die Katastrophe der
Schnitzlerischen Historie mit allen Nebenumständen, nur daß der junge Held
kein Reichsdeutscher, sondern ein Wiener ist.
Bei ihm hat sich nämlich der Buchhändler Thomas Klähr während der
ersten Einnahme von Wien im Jahre 1805 gelegentlich einer Parade der
Bürgergarde vor Napoleon ein hißiges Fieber zugezogen, an dem er nach drei
Tagen gestorben ist. Obwohl der Eroberer doch eigentlich nur die entfernte
Ursache ist, denkt seine Witwe nur an Rache, und ihren Sohn Medardus
(der Name schon verweist uns in die Zeit von E. T. A. Hoffmann) hält
sie von Jugend auf für die große Tat bestimmt, von der damals so viele
junge Leute, unter ihnen auch Heinrich v. Kleist, träumten, nämlich dem
Tyrannen und dadurch der Weltknechtschaft ein Ende zu bereiten. Im Begriff mit
der Landwehr gegen die Franzosen auszurücken, wird aber der junge Medardus
durch den Selbstmord seiner Schwester zurückgehalten, die mit einem Sohne
des emigrierten Herzogs von Valois in die Donau gegangen ist, weil dessen
adelsstolzer Vater die Erlaubnis zu ihrer Heirat verweigert hat. Der alte
Herzog, ein entfernter Verwandter des guillotinierten Königs Ludwig, be¬
trachtet sich gegenüber dem korsischen Emporkömmling als den legitimen Herrn
von Frankreich; in einer Villa in der Nähe von Wien spielt er die halb
komische, halb tragische Rolle des Königs im Exil, von einem ganzen Hof¬
staat von Emigranten umgeben, die ihn, seine Blindheit ausnützend, in dem
Wahn der erträumten Königskrone und des guten Fortgangs seiner Sache
erhalten, obwohl sie selbst nicht daran glauben und schon im Begriffe stehen,
Napoleon ihre Dienste anzubieten. Was aber bei dem alten Herzog nur noch
als kindische Lebenslüge erscheint, das wird bei seiner willensstarken Tochter
Helene, die ihre zahlreichen und rasch wechselnden Liebschaften nicht abhalten,
die ehrgeizigsten politischen Pläne für sich und für ihr Haus zu verfolgen und
nach dem Höchsten zu streben, blutiger Ernst. ###r um der Krone willen ver¬
lobt sie sich ihrem unbedeutenden Vetter, dem Marquis v. Valois, dem sie
aber erst dann angehören will, wenn er ihr aus Frankreich die sichere Kunde
bringen kann, daß er sie zur Mutter eines Königs machen werde. Mit ihr
und dem Marquis trifft der junge Medardus, der darauf brennt, den Selbst¬
mord seiner Schwester an den stolzen Valois zu rächen, bei dem gemeinsamen
Begräbnis des Liebespaares auf dem Friedhof zusammen. Er beleidigt die
Prinzessin, deren Rosen er von dem Grabe weist, und wird von dem Mar¬
quis zum Duell gefordert, dem die Prinzessin ihre Hand verspricht, wenn er
seinen Gegner töte. Aber der wilde Trotz des jungen Medardus, der nicht nur
ihre Sinne reizt, sondern ihr auch für ihre gefährlichen politischen Pläne