II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 252

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22. Denjunge Medandus
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J. Minor, Schnitzlers „Der junge Medardus“.
brauchbar erscheint, hat auf sie doch einen starken Eindruck gemacht; und als
sie von seiner Verwundung erfährt, schickt sie ihm durch ihre verschlagene
Zofe ein paar einladende Rosen. Jetzt glaubt der junge Medardus seine Rache
in den Händen zu haben: wie ein Valois seine Schwester entehrt hat, so will
er die Prinzessin in seinen Armen halten, nur um sie vor dem ganzen Hof¬
staat ihres Vaters der Schande bloßzustellen. Trotz der schweren Wunde
springt er von seinem Lager auf und bahnt sich über die Gartenmauer den Weg
zu ihr. Aber es kommt ganz anders, als der junge Medardus (nicht aber der
Zuschauer und der Leser) gedacht hat: Haß und Rachgier verlöschen in der
wahnsinnigsten Liebe, aus der ihn erst die Belagerung von Wien wieder
herausreißt, wo er auf der Bastei bei der Bürgermiliz halb träumend seine
Pflicht erfüllt. Erst an ihrem Vermählungstag, gerade in dem Augenblick, wo
ein Abgesandter Napoleons die unschädlichen Valois zu einer Cour ins Schön¬
brunner Schloß entbietet, erscheint Medardus in dem Aufzug eines Irrsinnigen
wieder vor der Prinzessin, die ihn zwar vor dem Hofstaat kühl und fremd ab¬
weist, gleich darauf aber durch ein Billett in ihr Schlafzimmer bestellt, wo sie
ihm ihre Liebe erklärt. Inzwischen hat Napoleon auf Grund eines falschen Ver¬
dachtes auch den Sattlermeister Eschenbacher, den Oheim des jungen Medar¬
dus, hinrichten lassen, und jetzt findet dieser endlich die Zeit für seine Tat reif.
Da tritt ihm, wiederum auf dem Friedhof, Helene entgegen und entstellt ihm
diese große Tat, indem sie ihn für die Sache der Valois zum Morde Napo¬
leons bereden will und ihm dafür ihren und ihres Hauses Lohn verspricht.
Da er verstört entflieht, beschließt sie selber die Hand ans Werk zu legen.
Eine moderne Judith, wird sie die Geliebte Napoleons, der ihr bei der
großen Cour in Schönbrunn gezeigt hat, daß er alle Umtriebe der Valois
kennt und verachtet, und den sie, wenn er sich erst sicher fühlt, zu ermorden
gedenkt. Als sie aber am Tage des Friedensschlusses die Treppe des Schön¬
brunner Schlosses hinauf zu dem Kaiser eilen will, tritt ihr Medardus ent¬
gegen und stößt sie nieder. Napoleon, der von den Anschlägen der heuchlerischen
Geliebten erfährt, muß den jungen Medardus als seinen Retter betrachten und
will ihm deshalb die Freiheit schenken. Aber gerade so wie der junge Staps¬
schlägt auch der junge Medardus die Begnadigung aus, indem er bekennt, daß
er nach Schönbrunn gekommen sei, um den Kaiser zu töten, und erst als er er¬
fahren habe, daß Helene Napoleons Geliebte sei, den Dolch gegen sie ge¬
braucht habe. Und so stirbt auch der junge Medardus zwar auf Befehl, aber
eigentlich gegen den Willen Napoleons, der ihn als „dieses Krieges letzten und
seltsamsten Helden“ mit kriegerischen Ehren bestatten läßt.
Machen wir gleich hier Halt, um diese dramatische Historie mit der Ge¬
schichte zu vergleichen. Denn so ähnlich die Katastrophe in beiden von außen
erscheint, so grundverschieden ist sie von innen besehen. Der junge Staps ist
den Tod eines Helden gestorben; der junge Medardus aber stirbt als „ein
Narr seines Schicksals“, weil er der großen Tat nicht gewachsen war. Es
gibt gar nichts einfacheres als die geschichtliche Erzählung: ein junger Mann
haßt in dem Eroberer den Feind seines Vaterlandes; er plant die große Tat,
welche er allein der Geliebten anvertraut, die selbstverständlich nicht anders als er