II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 264

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22. Denjunge-Ledaraus
Verknechtung seiner Vaterstadt. Napoleon ist vor Wien ge¬
ommen, die Residenz der Habsburger kapituliert, die Schlacht
von Aspern wird geschlagen. Zum ersten Male muß der unbe¬
zwingliche Korse fliehen. Seine Truppen kehren nach Wien zu¬
rück. Und der beleidigte Condottiere züchtigt die Stadt. Der
Oheim des jungen Medardus, der Sattlermeister Eschenbach,
wird füsiliert, weil er vor den französischen Spähern wichtige!
Atlanten verborgen hat. Medardus siehi den Oheim zur Richt¬
statt schreiten, Medardus hört den Knall der Gewehre, die ihn
löten; und wiederum springt in ihm die Rachelust hoch: er ver¬
gißt der Schwester, er will den Tod des Oheims durch den Tod
des Korsen rächen. Aber sein eigener Beginn fällt seinem
eigenen Willen in den Arm: die Prinzessin von Valois, sein¬
sie
Geliebte, verlangt von ihm, was seine eigene Absicht ist;
ie
ge¬
dingt ihn zum Mörder Nupoleons. Vor diesem Wort:
dungener Mörder, scheut er zurück. Da rafft sie selber sich hel¬
disch auf, sie will es tun. Aber im Volke munkelt man, daß sie
ser
Napoleons Maitresse sei, eine seiner Maitressen. Die Valois,
Hat sich ihm, dem Buchhändlerssohn Medardus¬
die Dirne
Klähr, nicht jetzt sein Wille erfüllt, sind sie jetzt nicht herabge¬
zerrt, die stolzen Valois? Medardus spürt es nicht. Er fühlt
1### Wiener Theaterbriek.
sich nur betrogen: in seiner Liebe und um seine Tat. Und wie
Wien, Anfang Dezember.
die Prinzessin die Stufen zum Gemach Napoleons emporsteigt,
Zweierlei ist von Arthur Schnitzlers „Der
um ihn zu erdolchen, wird sie von Medardus angefallen und ge¬
junge Medardus“ zunächst zu sagen: daß jeder Satz eine
tötet. Man nimmt ihn gesangen, aber der Mörder der Mord¬
Schönheit bringt, und daß das Ganze sich doch nur in schöne
absicht an dem Franzosenkaiser wäre frei. Er wird zum Helden
Kleinmalerei auflöst. Es war die Absicht, zu zeigen, wie ein
sante de mieng, das ein Leben ohne Sinn, ein Leben in Ekel vor
Mensch, der das Zeug zu einem Helden hat, durch die Kraft der
äußeren Umstände zum Narren wird. Diese Absicht ist anti= dem Ungefähr bedeutete. Er ertrotzt sich die Füsilierung. Und
künßlerisch, und gegen sie, nicht gegen die Ausführung bat sich während Friedensglocken den Vertrag von Schönbrunn verkün¬
die Polemik zu wenden; denn äußere Umstände bedeuten im lden, wird (wie der Dichter meint) „der letzte und seltsamste Held
höheren Sinn immer nur eine Zufälligkeit; Kunst aber ist gesetz=dieses Krieges“ gerichtet. Aber in Wirklichkeit ist Medardus!
mäßige Aussonderung und sinnbildliche Ausdeutung des Lebens. Klähr nicht Held, noch Antiheld, sondern ein bläßliches, ver¬
Der junge Medardus wird von willkürlichen Ereignissen, die schnörkeltes Schemen, dessen Menschlichkeit uns nicht ergreift.]
nicht aus dem Wesen seiner Zeit kommen, willkürlich geschleudert Herr Gerasch vermochte ihn nicht näher zu bringen. Doch wie in
der Dichtung stand auch auf der Szene des Burgtheaters rings
und immer wieder von seinem vorgesetzten Wege abgedrängt. Er
um ihn eine Schar von achtzig Gestalten, von denen die letzten!
will in den Befreiungskampf ziehen, es ist 1809, und Napoleon
noch ein persönliches Erlebnis auszudrücken hatten. Man war
naht der österreichischen Residenz. Gerade wie Medardus mit den
froh und stolz erstannt, welche ungeheure Menge bedeutender!
soldatisch gerüsteten Studenten am Tage vor dem Abmarsch in
Spieler das Burgtheater besitzt, wenn ihm auch im männlichen
einer Donauschenke sitzt, werden seine Schwester und ihr Ge¬
Ensembleteil das überragende Genie nicht mehr zu eigen ist.##
liebter, der Sohn des französischen Prätendenten, als Leichen
Allein selbst dieser Mangel wurde durch einen weiblichen Ger#
aus dem Fluß gebracht. Der hochmütige Stolz des Herzogs von
winn aufgewogen: denn Fräulein Wohlgemut, die die
Valois hat den beiden eine Diesseitsvereinigung verwehrt. Da
Prinzessin war, scheint mir die große Tragödienspielerin zu
packt den jungen Medardus eine Rachelaune. Ev zieht nicht in
sein, die das Burgtheater seit der Wolter entbehrt hat“ Es war
den Kampf; er bleibt, um irgendwie, wenn sich ihm Gelegenheit
das erste Mal, daß Baron Berger eine künstlerische Tat von!
bietet, den Tod der Schwester zu sühnen (wozu weder Berech¬
höchstem Rang brachte.
tigung, noch Anlaß ist). Aber die Gelegenheit ist ihm günstig.,
1 Er beleidigt die Schwester des jungen Valois und wird von ihrem! Einen hübscen Abend. bast.920
Vetter zum Zweikampf gefordert. Ein neues unbeabsichtigtes
Ereignis bringt ihn seinem Racheplan nahe: er wird in diesem
Duell verwundet, und in plötzlicher Laune schickt ihm die Prin¬
zessin durch ihre Zofe blumige Grüße. Eine weibliche Laune,
nicht mehr. Aber aus ihr schürzt sich der Racheplan Medardus
Klährs, schürzt sich sein Schicksal, das ihn verstrickt. Er will sich
der Prinzessin nähern, will sie mit seiner Jugend bezwingen,
will sie entehren, wie ihr Bruder seine Schwester entehrt hat,
und sie mit seinen Armen, die noch heiß von ihrer Umarmung
sind, über die Stufen des Palastes schleifen: die Valois, die
Dime. Wiederum wird der Zufall sein Hilfsgenosse.
Die Prinzessin nimmt sein Werben an; sie wird die Geliebte
= des Buchhändlersohnes. Er vergißt die Not, die Schmach und