II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 315

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2 edardus
Tetephen 72.801,
JODSERTER
f. Seterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitunge Auseciaitte
Wien, I., Conoordiaplats 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiants,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolts,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, Bt. Petere¬
burg, Toronto.
(Cvellenangabe ohne Gewährl.
Aueschnitt aus:
(5 1n. 1910 Der Merker, Wien
vom:
Verleumngaberschnttaler¬
„Medardus“, IIerr
Antal hatte dieser Tage im
„Neuen Frauenklub“ eine Vor¬
Jesung über Schnitzlers „Medardus“
angekündigt. Der Beginn war zu
einer Stunde angesetzt worden,
„die es auch den Mitgliedern des
Burgtheaters ermöglichen sollte,
der Vorlesung beizuwohnen“. So
hieß es wenigstens ausdrücklich
in den Notizen, welche der Offen¬
barung des Herrn Antal reichlich
in den Tagesblättern vorausliefen.
Uber den „Jungen Medardus“ ist
von berufensten Federn und aus
mannigfachen Gesichtspunkten
Entscheidendes gesagt worden:
Wittmann, Minor. Salten. Max
Graf und Polgar haben darüber.
von den verschiedenston Warten
Helligkeit verbreitend, geurteilt.
Natürlich wäre uns auch die
Stimme eines Jungen, Unbekann¬
ten willkommen gewesen. hätte
uns diese Stimme nur irgend etwas
zu sagen gehabt, vielleicht auch
nur etwas gährend Jugendliches.
Was uns aber Herr Antal ver¬
mittelte, war nichts anderes, als
ein mäßiger Schulaufsatz mit
ängstlich eingehaltener Disposition.
Er gab als Einleitung einige lite¬
raturgeschichtliche Banalitäten
über Schnitzler zum besten, dann
folgte als „Thema“ eine nicht
einmal übersichtliche Inhalts¬
angabe, zum Schluß wurden die
Charaktere dürftig
erklärt
Einige abgestandene Gemeinplätze
über die Schauspieler beschlossen
diesen Vortrag über „die Dichtung
—.———
und Darstellung des Jungen Me¬
dardus“ der mit dilettantischer
Selbsgefälligkeit und in einem
unerträglich falschen lyrischen
wurde.
Sing-Sang vorgebracht
Fluten von Banalitäten ergossen
sich über die wehrlosen, durch
den pomphaften Titel herbeige¬
lockten Zuhörer, die, obwohl sie
zum größten Teile dem milderen
Geschlechte angehörten, ihre Ent¬
rüstung in einer Art von Reflex¬
bewegung, in einem kräftigen
Zischen entluden. Wir haben noch
keinen Wiener Vortragsabend er¬
lebt, an dem ein Gast so energischt
angeblasen worden wäre. Es
ein wertvolles Zeichen des Wiener!
Geschmacks, daß sich dieser gegen
Arroganz und Strebertum wehrt
Sogar die meisten Gewerbe be¬
dürfen bei uns der Konzession.
Nur eines der Wichtigsten, die
Kritik, darf ohne Behinderung
von kindischen Händen ausgeübt
werden. Da mächte man wirklich
nach der Hilfe literarischer Polizei
rufen, um solch ein unfertiges
Strebertum von der Schwelle der
Kunst zu weisen.
Vorlesung Paul Wertherfer. 1