II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 324

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22. Derjunge Nedardus
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burg, Toronto.
(Oaollenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
1. 1911
vom1—
Woner Hode, Wien¬
Hest
Privatrache die „nationale Tat“ und schließlich über dem erotischen
Wiener Theaterchronik.
Rausch beides. Der Zusammenhang zwischen seinen Seelenerregungen
und der äußeren Historie wird auch nicht mehr hergestellt. Das Pro¬
Das Burgtheater hat sich nach langer Pause wieder einmal
blem der Vergeltung für den Tod seiner Schwester bleibt gänzlich
die Uraufführung eines einheimischen Wertes gestattet. Wenn ich
ungelöst, es fällt glatt in die Versenkung — gar niemand spricht mehr
nicht irre, war's „Hargudl am Bach“ (der letzte verzweifelte Versuch
davon. Das Problem des Einsetzens seiner Persönlichkeit für die Sache
Dr. Schleuthers, sich zu alklimatisieren) auch die letzte Förderungstat der
des Vaterlandes wehrt er selbst von sich ab, solange seine Erotik in
Wiener Literatur. Das Hoftheater hat seinen Frieden mit Arthur
ihm den Helden spielt. Der Tod des Onkels, den Napoleon erschießen
Schnitzler gemacht, mit dem Schleuthers Loyalität schmollen zu müssen
läßt, erschlägt zwar angeblich die Erotik, aber hinter den Kulissen, und
glaubte, weil der „Leutnant Gust!“ Anstoß in militärischen Kreisen
die Aufführung, die die zweite — übrigens unmögliche — Kirchhof¬
erregt hatte. Nun scheint ja alles wieder gut zu sein: seine Charge
zeue zwischen Medardus und Helene von Valois streicht, reißt ein
als Oberarzt hat Dr. Schnitzler zwar nicht mehr zurückerhalten, aber
döses Loch in die ohnedies nicht sehr stramme psychologische Ent¬
sein gut österreichisches und habsburgisches Stück „Ter junge Me¬
wicklung. Zum Schluß aber kommt die Historie wieder ganz von
dardus“ hat nicht nur den Weg ins Burgtheater gefunden, sondern
außen und zwängt alles in die Formen der Anekdote von Friedrich
wurde sogar — wenigstens in seinem letzten Teile — in Gegenwart
Staps, dem Predigersohn aus Naumburg, der den Napoleon zwar
des Thronfolgers und dessen Gemahlin, der Herzogin von Hohenberg,
nicht getötet hat, aber für die Tat, die er nicht beging, wenigstens
gespielt. So tänteten die Friedensglocken, bei deren Klang Medardus
in maiorem patriae gloriam sterben wollte. Weit besser gelang dem
erschossen wird, auch dem Dichter.
Dichter das Trama der Helene Valois, die daran zu Grunde geht,
Schuitzimit imponierender Kraftanstreugung den „Weg
daß ihre Erotik sie das falsche Werkzeug zur Erreichung ihrer Ehrgeiz¬
ink“ zum modernen Schicksalsdrama. Ihm ist der „Ruf des
pläne wählen ließ. Am größten aber ist das Hüllendrama, das die
Lebens“ ertlungen, und so horcht er vorerst dem Ruf einer schicksals¬
beiden anderen umschließt, das von den schwachen und großmäuligen
lanten Zeit aus Oesterreichs Geschichte. Im „Jungen Medardus“ ent¬
Wienern, von denen das prächtige Wort gesagt wird: Begeistert sein
rollt er uns ein historisch=ethnographisches Riesengemälde mit echt
ist leicht! Aber wissen wofür, das ist die Kunst.
Schnitzlerschen psychologischen Beleuchtungseffekten. Mit Aufzeichnung
Das Burgtheater hat für diesen patriotischen Sieg alle Truppen
der Zwillingsbruderschaft von Heldentum und Aberwitz: der Held mit
ins Feld gestellt und viele haben sich Belobung vor der Front ver¬
der Narrenkappe, der Hanswurst mit dem Rächerschwert. Der Mensch,
dient. Für Frau Bleibtren freilich muß man eine besondere
dem das satanisch=täppische Schicksal das Herz im Leibe, das Wort im
Ehrung ersinnen; ihre Mutter des Medardus ist eine künstlerische Tat,
Munde, den Dolch in der Hand umkehrt. Das Werk eines Dichters,
für die ihr die Wiener Mütter begeisterten Dank darbringen sollten.
der in die letzten Geheimnisse des Lebens schaut und in dem dunkten
Als Helene von Valois gab Fräulein Wohlgemut eine beachtens¬
Blutstrom, in den alles zusammenfließt, das Spiegelbild des Menschen¬
werte Verheißung künftigen Heroinentums. Sie ist eine kräftig
schicksals erblickt. Ein Seher, der dem brutalen Zufall tausend Stimmen
Werdende., Herr Gerasch aber, der den Medardus gab, muß in harte
leiht, seine Scherze, seine Satiren, Ironien und tieferen Bedeutungen
in Weltgeschehen zu verkünden.
Zucht genommen werden, wenn seine schönen Mittel einer lebendigen““*
Gestaltung nutzbar werden sollen. Er verdeklamiert mit Todesper¬
Trotzdem ist diese „dramatische Historie“ ein Roman, der dort,
achtung alles Persönliche und alles Dramatische zu Milchbrei“ mit
wo er nach starker Theaterwirkung strebt, ziemlich derbe Mittel an¬
Schotolade.
wendet und den Helden der dramatischen Handlung nicht fest genug
in dem mit epischer Breite und Behaglichkeit geschilderten Milien
verankert. Medardus gehi wie ein Traumwandler neben den Personen
des Dramas einher, die in dem großen Hauptstück „Wien im Jahre
1809“ oder „Napoleon und die Wiener“ eine Rolle spielen, die Expo¬
nenten des Lebens ihrer Zeit sind. Gewiß, er haßt Napoleon bis zum
„Mordgedanken. Aber das wird bloß so hingestellt, und sein Haß ist
zuerst mehr patriotischer Ehrgeiz als Vaterlandsliebe. Er soll in den
Krieg, er will hinaus, aber er wirft den ganzen patriotischen Ballast
von sich, wie seine Familientragödie einsetzt. Er vergißt über der