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-S Berlin, 9. Februar1911
17. Jahrgang * Nr.ib
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Es gibt keine ernsthafte Unter¬
Bumperdinck
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Ca
haltung mehr.
Ilippen
Unsre kapitalistische Zeit hat die Menschen in einem Punkt
Wir haben in der modernen Musikliteratur kaum ein
erzogen: sie mußten fleißig werden. Die Losung „Verdiene
Werk, das sich aus so völlig verschiedenen und entgegen¬
Geld!“ klingt kalt und ist ärmlich, wenn man keine andre
gesetzten Gesichtspunkten beurteilen läßt wie „Hänsel und
neben ihr und über ihr kennt. Aber zum Arbeiten hat sie
Gretel“ von Engelbert Humperdiuck. Wann und wo immer
getrieben, denn ohne Arbeit wird auf die Dauer nichts ver¬
diese Oper aufgeführt werden mag, stets hört der musikalische
dient. Unsre kapitalistische Zeit hätte gar keine Kraft, wenn
Gebildete etwas ganz anderes als der Laie, dessen Auffassungs¬
kraft nicht viel mehr fassen kann als eine primitive Melodie.
sie nur von gemeinen Trieben leben würde und nicht auch
Warum hat „Häusel und Gretel“ einen so breiten und
sittliche Kräfte entbunden und in Anspruch genommen hätte.
unbestrittenen Erfolg gehabt? Und warum haben zwei
Tausendmal schlimmer wirkt die Gewohnheit, nichts ernst zu
andre Werke Humperdiucks, deren künstlerische Ebenbürtigkeit
nehmen. Sie macht den Menschen krank und zehrt am Volksmark.
unter Musikern absolut feststeht, diesen Erfolg nicht gehabt?
Gehört es wirklich zur Art des Geplanders, daß man
Warum ist den „Königskindern“ und der „Heirat wider
nur von einem zum andern tänzelt und über alles etwas
Willen“ die breite Auerkennung versagt geblieben, die
spricht, aber nur so obenhin? Nein. Zum Plandern gehören nur
(Ich schalte
„Häusel und Gretel“ sofort zuteil wurde?
Dinge, über die sich plandern läßt. Hier entfalte sich alle
hier das „Dornröschen“ die dritte Oper Humperdiucks, aus,
weil sie auch nach meiner Empfindung hinter den andern
Kunst geschliffener feiner Sprache, kecken Witzes und schelmischer
zurückbleibt und weil also in diesem Falle die Schuld am
Neckerei. Wir achten sie nicht gering. Sie gehört zur
mangelhaften Erfolg dem Komponisten selber beizumessen
Anmnt des Lebens. Aber wir verweigern ihr das Recht, über
ist.) Diese Fragen beantworten heißt das Schaffen Humper¬
alles zu herrschen, schon um ihrer selbst willen. So reizend
diucks untersuchen. Und es wird sich herausstellen, daß
sie wirkt, wo sie nur ergötzen und verschönen soll, so schal
dieses Schaffen mit zwei ganz verschiedenen Maßstäben ge¬
wird sie in dem Augenblick, da sie ernste Dinge mit ihrem
messen wird, daß dem Laien gerade das ins Ohr geht, was
kkeinen Zepter zu beherrschen meint. Wir leiden heute an
der Kenner gut missen könnte, und daß der un alisch
der Sucht, über kirchliche, religiöse, politische Angelegenheiten¬
Geschulte an Humperdiuck bewundert, was der Laie gar
im selben Ton zu sprechen, wie man über einen Tipp im
nicht fassen kann. Will man sehr scharf ausdrücken, was
mit diesem Rätselwort gemeint ist, so wird man sagen: nicht
Rennen oder einen hübsch geschmückten Tisch redet. So ver¬
weil, sondern obwohl die Musik von „Hünsel und Gretel“.
lernt der Mensch langsam, aber sicher, ernste Sachen wirklich
die höchsten künstlerischen Forderungen erfüllt, ist diese Oper
ernst zu nehmen. Es ist geradezu unglaublich, wie der
populär geworden.
Mensch von heute über alles redet und doch so wenig ver¬
steht: Man wird zum Richter über Ereignisse aufgerufen,
Was gefällt dem Laien an „Hänsel und Gretel“? Wo¬
deren Verkettung man nur in den gröbsten Umrissen kennt.
von ist er immer wieder entzückt, wenn er aus dieser Over
Man soll Fragen entscheiden, über die sich die hellsten Köpfe
kommt? Was erfreut, was erwärmt ihn an ihr? Nun, die
der Jahrtausende den Kopf zerbrochen haben. Man nimmt
stärksten Sympathien löst zweifellos die Handlung selber
Stellung zu Tatsachen der Völkerbewegung, die man kaum
aus. Das rührende, von der einfachsten aller Empfindungen,
der kindlichen Furcht, ausgehende Märchen sitzt uns seit den
dem Namen nach versteht, geschweige in ihren feinen Ver¬
Tagen der Kindheit im Herzen. Ein gut Teil eignes Gemüts¬
wicklungen des wirklichen Lebens. Es ist gut, daß der Mensch
leben ist in das Schicksal dieser beiden Kinder verflochten,
allmählich vor diese Dinge zur Verantwortung gestellt wird;
deren braver Witz die Bosheit des Alters überlistet. Es ist
aber es ist schlimm, daß er kein andres Werkzeug kennt,
ja eine alte Bühnenerfahrung, daß die Handlung des
mit ihnen fertig zu werden, als die oberflächliche Unter¬
Komponisten Glück macht.
haltung. Meister schweigen in solchem Fall.
Die Abenteuer von „Häusel und Gretel“ für die Bühne
Vielleicht erleben wir's doch noch, daß man sich an ernst¬
zu gewinnen, ist auch früher schon versucht worden. Aber
hafte Unterhaltungen gewöhnt. Sie stärken. Die Zeit ist
die musikalische Schwierigkeit bestand doch offenbar darin,
nie verloren, die man darauf wendet. Kurzweil und Froh¬
daß einerseits der kindlich=naive Anstrich gewahrt bleiben
mußte, während anderseits das Gefühlsleben der beiden
sinn haben ihr Recht als schmückende Blumen, aber man
Kinder nicht geuug vertieft werden konnte. Dieser künstlerische
lebt nicht von Blumen, sondern von Brot. Vor allem hüte
Kompromiß konnte nur durch jene seltene Mischung von
man den Scherz, daß er nicht vor seinen Richterstuhl ziehe,
Einfachheit und Tiefe des Gefühls geleistet werden, wie sie
was nicht dahin gehört. Unser Volk wird stark werden, wenn
durch Humperdiuck repräsentiert wird. In einer Aus¬
sich unsre Jugend darau gewöhnt, ernsthafte Unterhaltung
geglichenheit, wie sie vollkommener gar nicht denkbar ist,
nicht langweilig zu finden und den saden Leuten den Abschied
gab Humperdinck in „Häusel und Gretel“ dem Kinde, was
zu geben. Auch die Regierung eines Volkes wird nur ge¬
des Kindes ist, um doch gleichzeitig den tiefsten Gefühlen
fallen, wenn sie ernsthafte Erscheinungen nicht nach dem ge¬
musikalischen Ausdruck zu verleihen. Weiter aber: auch die
wohnten Unterhaltungsstil, sondern in wirklich nuparteiischer
Technik des seltenen Kompromisses ward zum Herrn über
den Stoff. Und hier gab Humperdiuck dem Volke, was des
Untersuchung erörtert. Keine Sorge vor Langeweile! Das
Volkes ist, und dem musikalisch geschulten Hörer, was ihn
Leben selbst in seinem Reichtum wirkt nie langweilig!
Traub. mt stannendem Genuß erfülli. Auch alle die Menschen,
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Unsre kapitalistische Zeit hat die Menschen in einem Punkt
Wir haben in der modernen Musikliteratur kaum ein
erzogen: sie mußten fleißig werden. Die Losung „Verdiene
Werk, das sich aus so völlig verschiedenen und entgegen¬
Geld!“ klingt kalt und ist ärmlich, wenn man keine andre
gesetzten Gesichtspunkten beurteilen läßt wie „Hänsel und
neben ihr und über ihr kennt. Aber zum Arbeiten hat sie
Gretel“ von Engelbert Humperdiuck. Wann und wo immer
getrieben, denn ohne Arbeit wird auf die Dauer nichts ver¬
diese Oper aufgeführt werden mag, stets hört der musikalische
dient. Unsre kapitalistische Zeit hätte gar keine Kraft, wenn
Gebildete etwas ganz anderes als der Laie, dessen Auffassungs¬
kraft nicht viel mehr fassen kann als eine primitive Melodie.
sie nur von gemeinen Trieben leben würde und nicht auch
Warum hat „Häusel und Gretel“ einen so breiten und
sittliche Kräfte entbunden und in Anspruch genommen hätte.
unbestrittenen Erfolg gehabt? Und warum haben zwei
Tausendmal schlimmer wirkt die Gewohnheit, nichts ernst zu
andre Werke Humperdiucks, deren künstlerische Ebenbürtigkeit
nehmen. Sie macht den Menschen krank und zehrt am Volksmark.
unter Musikern absolut feststeht, diesen Erfolg nicht gehabt?
Gehört es wirklich zur Art des Geplanders, daß man
Warum ist den „Königskindern“ und der „Heirat wider
nur von einem zum andern tänzelt und über alles etwas
Willen“ die breite Auerkennung versagt geblieben, die
spricht, aber nur so obenhin? Nein. Zum Plandern gehören nur
(Ich schalte
„Häusel und Gretel“ sofort zuteil wurde?
Dinge, über die sich plandern läßt. Hier entfalte sich alle
hier das „Dornröschen“ die dritte Oper Humperdiucks, aus,
weil sie auch nach meiner Empfindung hinter den andern
Kunst geschliffener feiner Sprache, kecken Witzes und schelmischer
zurückbleibt und weil also in diesem Falle die Schuld am
Neckerei. Wir achten sie nicht gering. Sie gehört zur
mangelhaften Erfolg dem Komponisten selber beizumessen
Anmnt des Lebens. Aber wir verweigern ihr das Recht, über
ist.) Diese Fragen beantworten heißt das Schaffen Humper¬
alles zu herrschen, schon um ihrer selbst willen. So reizend
diucks untersuchen. Und es wird sich herausstellen, daß
sie wirkt, wo sie nur ergötzen und verschönen soll, so schal
dieses Schaffen mit zwei ganz verschiedenen Maßstäben ge¬
wird sie in dem Augenblick, da sie ernste Dinge mit ihrem
messen wird, daß dem Laien gerade das ins Ohr geht, was
kkeinen Zepter zu beherrschen meint. Wir leiden heute an
der Kenner gut missen könnte, und daß der un alisch
der Sucht, über kirchliche, religiöse, politische Angelegenheiten¬
Geschulte an Humperdiuck bewundert, was der Laie gar
im selben Ton zu sprechen, wie man über einen Tipp im
nicht fassen kann. Will man sehr scharf ausdrücken, was
mit diesem Rätselwort gemeint ist, so wird man sagen: nicht
Rennen oder einen hübsch geschmückten Tisch redet. So ver¬
weil, sondern obwohl die Musik von „Hünsel und Gretel“.
lernt der Mensch langsam, aber sicher, ernste Sachen wirklich
die höchsten künstlerischen Forderungen erfüllt, ist diese Oper
ernst zu nehmen. Es ist geradezu unglaublich, wie der
populär geworden.
Mensch von heute über alles redet und doch so wenig ver¬
steht: Man wird zum Richter über Ereignisse aufgerufen,
Was gefällt dem Laien an „Hänsel und Gretel“? Wo¬
deren Verkettung man nur in den gröbsten Umrissen kennt.
von ist er immer wieder entzückt, wenn er aus dieser Over
Man soll Fragen entscheiden, über die sich die hellsten Köpfe
kommt? Was erfreut, was erwärmt ihn an ihr? Nun, die
der Jahrtausende den Kopf zerbrochen haben. Man nimmt
stärksten Sympathien löst zweifellos die Handlung selber
Stellung zu Tatsachen der Völkerbewegung, die man kaum
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der kindlichen Furcht, ausgehende Märchen sitzt uns seit den
dem Namen nach versteht, geschweige in ihren feinen Ver¬
Tagen der Kindheit im Herzen. Ein gut Teil eignes Gemüts¬
wicklungen des wirklichen Lebens. Es ist gut, daß der Mensch
leben ist in das Schicksal dieser beiden Kinder verflochten,
allmählich vor diese Dinge zur Verantwortung gestellt wird;
deren braver Witz die Bosheit des Alters überlistet. Es ist
aber es ist schlimm, daß er kein andres Werkzeug kennt,
ja eine alte Bühnenerfahrung, daß die Handlung des
mit ihnen fertig zu werden, als die oberflächliche Unter¬
Komponisten Glück macht.
haltung. Meister schweigen in solchem Fall.
Die Abenteuer von „Häusel und Gretel“ für die Bühne
Vielleicht erleben wir's doch noch, daß man sich an ernst¬
zu gewinnen, ist auch früher schon versucht worden. Aber
hafte Unterhaltungen gewöhnt. Sie stärken. Die Zeit ist
die musikalische Schwierigkeit bestand doch offenbar darin,
nie verloren, die man darauf wendet. Kurzweil und Froh¬
daß einerseits der kindlich=naive Anstrich gewahrt bleiben
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sinn haben ihr Recht als schmückende Blumen, aber man
Kinder nicht geuug vertieft werden konnte. Dieser künstlerische
lebt nicht von Blumen, sondern von Brot. Vor allem hüte
Kompromiß konnte nur durch jene seltene Mischung von
man den Scherz, daß er nicht vor seinen Richterstuhl ziehe,
Einfachheit und Tiefe des Gefühls geleistet werden, wie sie
was nicht dahin gehört. Unser Volk wird stark werden, wenn
durch Humperdiuck repräsentiert wird. In einer Aus¬
sich unsre Jugend darau gewöhnt, ernsthafte Unterhaltung
geglichenheit, wie sie vollkommener gar nicht denkbar ist,
nicht langweilig zu finden und den saden Leuten den Abschied
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des Kindes ist, um doch gleichzeitig den tiefsten Gefühlen
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musikalischen Ausdruck zu verleihen. Weiter aber: auch die
wohnten Unterhaltungsstil, sondern in wirklich nuparteiischer
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den Stoff. Und hier gab Humperdiuck dem Volke, was des
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Volkes ist, und dem musikalisch geschulten Hörer, was ihn
Leben selbst in seinem Reichtum wirkt nie langweilig!
Traub. mt stannendem Genuß erfülli. Auch alle die Menschen,