II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 344

FTETANN
M.
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22. hejunge nedandus
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Die Hluge
Nr. 6
dingungen stellen möcht', der Napoleon! Das halbe Galizien, worden. Wußte er doch, daß in Michelburg kaum jemand
sollen wir hergeben — und Salzburg und Berchtesgaden.“ Der
sein Feind war. Öfter als sonst hatte er sich gerade in
andre erwidert: „Na, und wenn schon! Zu was brauchen
der letzten Zeit in der „Bärengesellschaft“ eingefunden —
denn Sie Berchtesgaden, Herr Berger?“
und daher wußte er es ganz sicher.
Im Theater hat es eine vaterländische Demonstration
gegen Napoleon, für die Landesverteidigung gegeben. Ob
Ruhig und beherzt setzte sich der Bezirksrichter an
er nicht mitapplandiert habe, wird einer von den Fried¬
seinen Schreibtisch, um den Bericht zu konzipieren. Das
liebenden gefragt. „Na ja .. .. und Sie hätten's auch
Gefühl des Rechtsbewußtseins beschleunigte die Feder,
getau . . . aber natürlich! ... Ich bitt' Sie, im Theater!“
wahrheitsgetreue Worte zu schreiben.
Das sind die Wiener. Aber nicht minder treu dem
Wiener Volke entnommen sind die prunklosen Helden, die
Kandler war mit dem Berichte fertig geworden,
klugen, charaktervollen Männer voll Anstand und Pflicht¬
kuvertierte ihn, setzte einen Vermerk darauf, brannte sich
gefühl, die große Worte verschmähen und dort ausharren
eine lange Pfeife an und ging befriedigt ein paarmal
und ohne Murren fallen, wohin sie das Schicksal gestellt hat.
in
seinem Arbeitszimmer auf und nieder.
Der Beste von ihnen — und die schönste Gestalt der
Es klopfte. Kandler rief, noch immer seinen Bericht
Dichtung — ist der Sattlermeister Eschenbacher, ein Mann
von echtem Wiener Schlag, mit kaustischem Humor, ein
überdenkend, ein langgezogenes „Herein!“
Mann der Tat, den in der Stadt der Musik die holdeste
„Ach Sie, Herr Kollege Brandel, sind es; bitte, nehmen
der Musen mit einem Tröpfchen die Stirne genetzt hat.
Sie Platz!“
Er wird erschossen, nachdem er sich für Schwester und Neffen
„Wenn Sie gestatten, Herr Bezirksrichter.“ Brandel
in die Bresche gestellt hat. Nicht einmal in letzter Stunde
läßt sich der biedere Musikant zu einer falschen Note ver¬
setzte sich auf das kleine ausgesessene Lederkanapee.
führen. Und als später die Leute in Tiraden schwelgen und
„Und was bringt Sie her, Herr Doktor?“
von einem Denkmal Eschenbachers reden, zu dem die wieder
„Nur Geschäftliches, daß ich nämlich die Verhandlung
freien Wiener wallfahrten werden, meint sehr verständig
in der Palzinger Sache auf Freitag angesetzt habe, da nun
seine Schwester: „Es liegt wohl schon zu viel Erde auf dem
sämtliches Material gesichtet ist.“
Grab, sonst möchten wir ihn lachen hören.“
Mannigfaltig sind die liebenswürdigen Wiener Gestalten,
„Wird Doktor Bednar intervenieren?“
und nicht die schlechteste unter ihnen ist der überaus neu¬
„Als Zeuge wohl, da er als solcher geführt wird.“
gierige Drechstermeister Berger, der überall dabei sein muß
„Ja, aber Herr Kollega,“ unterbrach Kandler, „meines
und dem die Lust, berichten zu können, Freude bereitet,
Wissens hatte ja Doktor Bednar selbst gar keinen Teil an
wenn er auch das Tranrigste zu melden hat; aber er stellt
der ganzen Affäre?“
doch auch seinen Mann im Kampfe.
Und da sind die reschen Wienerinnen, gar manche von
„Ganz richtig. Es handelt sich auch nur um eine Aus¬
ihnen mannhafter als das starke Geschlecht. Und die süßen
sage, mit welcher Bednar als Obmann des Brennburger
Mädels der Donaustadt — die Agathe, die so jung mit dem
Sokolvereins bezeugen will, daß seitens dieses Vereins
Geliebten in den Tod geht; die Annerl, die aus unglücklicher
eine provozierende Absicht nicht vorlag. Das ist vorläufig
Liebe Krankenschwester wird und im Hospital stirbt; die
alles.“
leichtsinnige Elisabeth, die auch ihre Art Treue hat und dem
Medardus noch eine Nacht schenken will, ehe sie mit dem
„Und in welcher Sprache?“
fremden Monsicur nach Paris zieht.
„Ja, Herr Bezirksrichter, da glaube ich wird sich
Goldenes Wiener Herz! Diese blutiggeschlagenen Bürger
Doktor Bednar von seinem Rechte kaum etwas nehmen
pflegen in ihren Häufern die verwundeten Feinde, als
lassen.“
wären's liebe Brüder, und sie behandeln die aufgedrungenen
Gäste mit zartester Gastfreundschaft. Spricht Herr Berger
„Und wenn Sie, Herr Kollega, die Sache vielleicht
mit dem französischen Hauptmann von den Schlachten, so
irgendwie in die Hand nehmen! Bedenken Sie doch die
verfehlt er nicht, die Franzosen „die verehrten Feinde“ zu
Aufregung, die sich jetzt schon unter der Bevölkerung hier
nennen. Sangninismus der Wiener Kinder! Weil ein paar
bemerkhar macht.“
einquartierte Nassauer beim Weine scherzten, sie würden
„Das ist Strohfeuer, Knallfeuer.“
lieber auf der andern Seite fechten, stecken alte Männer die
Köpfe zusammen und munkeln von „bedeutsamen Zeichen“.
„Glauben Sie? Ich warne Sie, Herr Kollega!“
Die neugierigen, planderhaften, leichtgläubigen, gut¬
„Es ist nur Bednars Recht, was er verlangt.“
herzigen großen Kinder haben doch im tiefen Grunde ein
„Na ja, ja, aber unter diesen Verhältnissen.“
ernstes Gewissen. In der Politik verwirrt sie, die Unreifen,
der schmähliche Wankelmut der Großen und Mächtigen. Doch
„Fürchten Sie nichts, Herr Bezirksrichter. Sollte es
ihre primitive Menschlichkeit ist wach und helle. Am Grabe
wirklich zu Ausschreitungen kommen, was ich übrigens
der jungen Bürgerstochter Agathe steht die Herzogsfamilie,
nicht glaube, nun dann, aber erst dann können wir ja die
unbewegt von dem Verschulden ihres kalten Stolzes. Und
Sache anders betrachten. Vorläufig läßt sich nach dem
da brennt aus den stummen Blicken der Männer und Frauen
Gesetze doch gar nichts machen.“
des Volkes ein solcher Haß, daß ihn der blinde Herzog in
seinen toten Augen schmerzhaft fühlt.
Kandler sann einen Augenblick nach. „Wohl, Sie
Volk von Wien, du leicht bewegliche, melodische Welle!
haben ja recht, Herr Kollega, aber sehen Sie es denn
Schwachmütig und edel, treulos und treuherzig, du Volk,
nicht ein, daß es doch ein Spiel mit Feuer ist, die jetzt
wir erkennen dein unverändert Wesen im hundertjährigen
schon etwas aufrebellierten Michelburger noch mehr zu
Spiegel der jungen Dichtung.
Hermann Kienzl.
reizen? Ich warne Sie, Herr Kollega! In dem Moment,
da es bekannt wird, daß Sie böhmisch verhandelt haben,
stehe ich für nichts.“
Um Mlichelburg
„Aber ich für alles. Ich bin hier nicht unbeliebt.
Ein Roman von Karl Wilhelm Fritsch.
Ich weiß, daß man auf meine Unparteilichkeit baut,
Fortsetzung.
gleich wie ich auf das Rechtsgefühl der Michelburger
Xll.
Deutschen baue. Der Deutsche hatte ja immer Achtung
vor den Gesetzen.“
Der Bezirksrichter hatte sich nicht geirrt. Schon
in den nächsten Tagen kam der gefürchtete Präsidialukas.
„Ja, ja,“ entgegnete Kandler nickend, „aber ich will
Kandler wollte den gewünschten Bericht sofort erstatten.
nicht vor meinem Abgehen in den Ruhestand noch so etwas
Seine Bangigkeit, sein Groll waren längst milder ge¬
verfassen müssen.“ Dabei zeigte der Bezirksrichter das