II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 403

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22. Derjungdardus
Nummer 17
Die Freistatt.
Seite 270
Meiner bescheidenen Meinung nach, kann
gende bescheidene Studie so gut als möglich
die Ursache der Mißliebigkeit der Burg bei ge¬
darlegen.
wissem Publikum und einem Teil, leider dem
Welche Umstände machen die Güte oder
größten der Presse, weder auf Schleuther noch
Minderwertigkeit eines Theaters aus? Drei¬
auf Baron Berger zurückgeführt werden. Wie
erlei: die Auswahl der Stücke, der Direktor
wäre es denn vereinbar, daß zwei derart er¬
und das Schauspielerpersonal. Diese drei Dinge
fahrene Männer, wie die erwähnten, bei Füh¬
wirken ganz objektiv auf die Qualität des The¬
rung der Direktion eines Theaters versagen
aters ein. Die subjektiv wirkenden Elemente
sollten, Schlenther der einstige Berliner Kri¬
sind dann Publikum und Presse. Und gerade
tiker, welche Tätigkeit er ja jetzt wieder über¬
diese beiden sind leider für die Oeffentlichkeit
nommen hat und Baron Berger, ein einge¬
zu sehr bestimmend, speziell die Presse. Wie sehr
fleischter Theaterfachmann. Die sollten unfähig
lassen sich doch die Leute durch eine oft zu
sein, das Burgtheater zu dirigieren?
vorurteilig abgefaßte Kritik beeinflussen, denn
Also sollte es vielleicht die Auswahl der
ein großer Teil der Leser schwört auf das, was
aufgeführten Stücke sein, die den Niedergang
in der Zeitung steht. Dieser Umstand gehört
verschuldete?
aber in weiterer Ausführung nicht hieher. Für
Da hört und liest man: „Die neuen Stücke,
diese Abhandlung sei nur konstatiert, daß eben
die in der Burg gegeben werden, sind lange
die Presse einen gewaltigen Einfluß auf die
nicht so gut und von so weitgehendem Inter¬
Beurteilung eines Theaters in dem Kreise der
esse, wie die Novitäten an den anderen The¬
Leser ausübt.
atern“ soweit es in Wien ja noch Schauspiel¬
Von den subjektiven Elementen absehend,
häuser gibt, denn leider hat Wien derzeit einen
wollen wir also nur vorkäufig die objektiven
Ueberfluß an Geschmack verderbenden und Sinn
Umstände ins Auge fassen und die Reihe nach
verblödenden Operettentheatern, Zugegeben,
durchgehen. Ich will mit dem Direktor begin¬
daß das in dieser Saison im Volkstheater auf¬
nen, sodann die Auswahl der Stücke und zum
geführte „Glaube und Heimat“ ein weit
Schlusse das Schauspielpersonal besprechen und
größeres dramatisches Kunstwerk ist, als der
zwar im Zusammenhalt mit dem jetzigen Stand
in dieser Saison im Burgtheater gegebene¬
des Burgtheaters.
„Junge Medardus“ — ein Ausstattungsstück
wie das seinerzeit so verrissene Anna Ka¬
Niemand wird leugnen können, daß Baron
renina“. Und wie überaus lächerlich mutet es
Berger derzeit der berufenste Direktor des Burg¬
einen an, daß gerade dieses Stück, das eines der
theaters ist, und welche Erwartungen man auf
schwächsten der unter Baron Berger aufgeführ¬
seine Führung setzte, sah man wohl bei jener
ten Novitäten ist, bei Publikum und Presse
Sappho=Aufführung, mit der Baron Berger
einen im Burgtheater noch keiner Novität zu¬
seine Tätigkeit als neuer Direktor begann.
teil gewordenen Erfolg errang. Der Dichter
Jubelnder Enthusiasmus in allen Rängen des
heißt eben Arthur Schnitzler. Aber wie sieht
Burgtheaters. Leider ist von dieser Begeisterung
es mit den anderen Novitäten des Burgtheaters
heute beinahe nichts mehr zu merken. Man war
und des Voikstheaters, das ja von den anderen
nach dem traurig denkwürdigen Abend von
Schauspielhäusern Wiens allein in Betracht
„Hargudl am Bach“ überzeugt, Schleuther habe
kommt, in der laufenden Saison aus?
sich durch die 10 Jahre seiner Direktionstätig¬
Im Volkstheater französische Schwänke, die
keit immer unbeliebter gemacht, bis der er¬
Anatoleinakter Schnitzlers, eine beinahe unmög¬
wähnte Abend dem Faß den Boden ausschlug
liche dramatische Arbeit. Shaws „Mesalliance“.
und Schleuther direkt gezwungen wurde, zu¬
und das allerdings geistreiche, aber trostlose
rückzutreten. Also dachte man, die Person
Moral offenbarende Stück Molnars „Der
Schleuthers sei an dem angeblichen Niedergang
Gardeoffizier“
des Burgtheaters schuld gewesen. „Pereat
Im Burgtheater zwei reizende Einakter
Schleuther, Vivat Berger“ scholl es damals.
von Widmann: „Lysanders Mädchen“ und
Aber siehe, kaum waren seit dem Antritt Baron
„Ein greiser Paris“ wozu allerdings leider
Bergers einige Monate verflossen, da konnte
ein überflüssiger Einakter Blumenthals „Der
mans schon vielfach hören und lesen: „Es ist
schlechte Ruf“ gegeben wurde, dann eine Ent¬
auch mit Baron Berger nichts, das Burgtheater
gleisung Baron Bergers „Die drei Grazien“,
schläft ein, es werden geringwertige Stücke auf¬
was man sich übrigens gleich denken konnte,
geführt,“ und was im Laufe der bisherigen
wenn man weiß, es stammt von Blumenthal.
Direktionstätigkeit Bergers aufgeführt wurde,
Weiters Stuckens „Lanval“, dem man reizvolle
wurde mit Ausnahme des „Jungen Medardus“,
Stimmungsbilder und eine teilweise herrliche
von dem noch später die Rede sein soll, von
Sprache nicht absprechen kann; schade nur, daß
gewissen bornierten Zeitungsliteraten als eine
die handelnden Personen zu wenig charakteri¬
der großen Ueberflüssigkeiten des Baron Ver¬
siert sind und daß Stucken aus dem anziehen¬
gerschen Regimes bezeichnet.