II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 405

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22. Der junge dardus
Seite 272
Nummer 17
Die Freistatt.
die Medelsky, die klassische Liebhaberin und
wenig hervor, bis der Tag der Premiere des
jungen Medardus kam, und weil nun nur ihre
große Sentimentale, sodann die leider vom
Burgtheater schon wieder scheidende Erika v.
große Kunst diesem Werke Schnitzlers zum Siege
verhalf, war sie tagsdarauf die große Schau¬
Wagner, die als Hero, als Julia und zuletzt
spielerin der Burg. Wäre dieses Werk z. B.
noch als Melitta in „Lysanders Mädchen“ nebst
von Kralik gewesen, dann wäre Fräulein Wohl¬
einer klassischen Bühnenerscheinung ein wun¬
derbares Talent offenbarte, die herrlich schöne
gemuth heute wahrscheinlich noch eine große.
Wohlgemuth, deren Schönheit aber dem künst¬
Ueberflüssigkeit in dem ohnedies miserablen En¬
semble des Burgtheaters! So macht es die
lerischen Können ganz und gar entspricht, Frau
Oesterreich beherrschende nichtarische Presse.
Retty, die reizende Naive des Burgtheaters,
Daß wir aber doch noch immer ein herr¬
die Witt, die Salondame und treffliche Cha¬
liches Burgtheater mit einer großen. Zukunft
rakterdarstellerin, die Hofteufel, eine ausge¬
unser Eigen nennen können, trotz allem Nör¬
zeichnete Akquisition Baron Bergers für jugend¬
geln und Intriquieren der Presse und gewisser
liche Rollen in modernen Stücken. Nicht zu ver¬
Leute, das zu zeigen, war der Zweck dieser
gessen die Matronen der Burg, Kratz und Wil¬
Abhandlung.
brandt, die noch immer ihren Posten ganz aus¬
füllen, Fräulein Kutschera, so recht geschaffen
S
für junge Wildfänge und das schöne Fräulein
Wilke, sehr geeignet für gewisse kokette, aber
auch naive Rollen usw., wahrhaftig alles in
Dokumente und Fragmente.
allem ein Ensemble, das sich sehen lassen kann.
(Unter dieser Rubrik veröffentlichen wir in zwang¬
Hätte Reinhart in Berlin nur ein Drittel dieses
loser Reihenfolge interessonte Dokumente zur Zeit¬
Ensembles, ich wüßte nicht, was für Lobes¬
geschichte. Für Uebermittlung solcher aus unserem
hymnen unsere Journale anstimmen würden.
Leserkreise sind wir ganz besonders dankbar.)
Aber, da sie hier im Burgtheater spielen, wird
Das Museum der Straßenrufe.
ihnen eventuell der possenreißende Treumann,
Die Gründung eines Museums des Wortes in
der doch wahrhaftig gar kein Künstler ist, von
Paris, in dem die Wandlungen des Sprachgeistes
so manchen Kunstprotzen vorgezogen. Es ist nun
phonographisch festgehalten werden sollen, hat einen
einmal so am Burgtheater: ein tüchtiger Direk¬
unternehmenden Pariser Lehrer dazu getrieben, auch¬
tor, im Großen, Ganzen gute Stücke, besser
seinerseits ein Museum zu errichten, das zum min¬
als anderswo und ein erstklassiges Ensemble
desten eine interessante Ergänzung der bereits be¬
und doch minderwertig!
stehenden Institution bringen soll: ein Museum
Ein gewisser Teil des Publikums und der
der Straßenrufe. Mit einem stattlichen Grammo¬
größere Teil der Presse will nicht, daß die Burg
phon ausgerüstet, liegt der Lehrer in seinen Muße¬
gut sei. Also denkt die Presse: nur loswettern
stunden in den Straßen und Boulevards auf der
gegen den Direktor, Stücke und Darsteller, und
Lauer, um all die langgezogenen, wechselnden und¬
die Leser, die so wenig eigene Beurteilungskraft
charakteristischen Rufe der Pariser Straßenverkäufer
haben, stimmen blind zu. Wie lächerlich dieser
auf die Platte seines Apparates zu bannen. Wo¬
Kampf gegen das Burgtheater, es ist aller¬
immer sich irgend ein Verkäufer sehen läßt und
dings nur ein Windmühlenkampf, oft ist, möge
durch seine Rufe die Aufmerksamkeit der Hausbe¬
Folgendes noch erhärten:
wohner erweckt, eilt der eifrige Lehrer mit seinem
Als die reizende Naive, Frau Retty, noch
Grammophon herbei und bittet um Wiederholung.
am Volkstheater tätig war, waren Blätter und
Die Fischfrau, die Gemüsefrau, der Vogelfuttermann,
Publikum des Lobes voll für die geniale Künst¬
der Korbmacher, der Blumenverkäufer und die
lerin. Nun sie in der Burg ist, spielt sie auf
schrillen Tenorrufe der italienischen Gipsfiguren¬
einmal viel schlechter, es heißt dann wegneer¬
händler sind bereits für die Nachwelt gesichert. Nur¬
fend, sie bleibt sich immer gleich, ist in keiner
zwei haben den Verlockungen des fanatischen Samm¬
Rolle anders!
lers getrotzt: die Frau eines Stuhlflechters, die
Auch Fräulein Hofteufel stand meines Er¬
singend in den Straßen einherzieht, um Aufträge
innerns zur Zeit, da sie bei Jarno engagiert
für ihren Mann zu erlangen, und jener stämmige
war, in weit größerer Gunst der Presse.
Herkules, der in den Seitenstraßen mit seiner
Und Fräulein Wohlgemuth, die größte
dumpfen Baßstimme mit dem gröhlenden Rufe
Hoffnung für die Zukunft des Burgtheaters,
„Tonneaux, tonneaux!“ die Bürger erschreckt und
obendrein mit dem genialen Fräulein Wagner
leere Fässer kaufen will. Die Frau des Stuhlflech¬
eine Akquisition Schleuthers! Als sie das erste¬
ters hatte eine Heidenangst vor dem Apparate, und
mal in Wien auftrat als Maria Stuart, erfuhr
keine Macht der Welt hätte sie dazu gebracht, vor der
sie bei der Kr#tik, trotzdem das Publikum sie
großen Schalltrompete ihren Ruf zu wiederholen.
nicht unfreundlich aufnahm, eine vernichtende
Der Faßkäufer aber wandte dem Straßenrufsammler
Kritik. Nicht viel besser erging es ihr in den
verächtlich den Rücken und hörte die Bitte nicht
anderen Gastrollen: Jungfrau von Orleans und
einmal bis zu Ende an.
Elektra. Sie ward engagiert und trat zunächst
Ferausgeber: Triedrich Freiherr von Logelsang. — Verankwortlicher Redakteur: Bickor Skulina.
Pruck von Johann I. Bondi & Sohn, Wien, VII., Zollergasse 17.
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