II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 435

eanpolis,
Jsco, Stockholm, St. Peters¬
buig, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
schnitt aus:
*
Deutsches Abel
29 5. 1911
vom:

Theater und Kunst.
Repertoire des Neuen deutschen Theaters.
ienstag, den 30. Mai. Bei aufgehob. Abonn.
Abschluß. Ital. Stagione. „Un ballo in maschera,
Mittwoch, den 31. Mai. (185—I.) „Alt-Heidelberg.“
Donnerstag, 1. (186—1I) „Der Kaufmann v. Venedig.“
Freitag, 2. Juni. (187—III.) „Hoffmanns Erzählungen.“
Samstag, 3. Juni. (184—IV.) „Der junge Medardus“
Sonntag, den 4. Juni. Bei aufg. Abonn. Zum
Besten des Pensionsfondes. Zum ersten Male. „Die
keusche Susanne." Operette in 3 Akten von Jean Gilbert.
Montag, 5. Juni. Beiaufg. Abonn. „Der Gardeoffizier.“
Repertoire des deutschen Landestheaters.
Dienstag, 30. Juni. „Charleys Tante. „Erste Klasse.“
Sonntag, den 4. Juni. Zum Besten des Frauen¬
Erwerbvereines. Normale Preise. Zum ersten¬
male. „Der Gardeoffizier.“ Von Franz Molnär¬
Montag, den 5. Juni. Normale Preise. „Die keusche
Susanne.“
Neues deutsches Theater.
Maifestspiele X.
„Der junge Medardus.“
Dramatische Historie von Artur Schnitzler.
Napoleons Feldzug gegen Oesterreich im Jahre
1809 hat schon manchen Bühnenschriftsteller zu dra¬
matischem Schaffen angeregt; bisher aber waren
fast immer nur die spezifisch kriegerische Stimmung
und der patriotische Charakter des Stoffes für dessen
Gestaltung ausschlaggebend gewesen: die Figuren
bildeten bloß den Maßstab für die Größe dieser
Epoche, in ihnen spiegelten sich die mächtigen Zeit¬
ereignisse. Schnitzler erst hat eine Umwertung dieser
Werte vorgenommen: bei ihm tritt das Reinmensch¬
liche wieder in seine Rechte, die Schilderung der
politischen Verhältnisse verliert ihre Vorrangstellung
und wird zur Folie, zum malerisch=wirksamen Hin¬
tergrunde, der den Erlebnissen, dem Sehnen und
Trachten, dem Glück und dem Schmerz der handeln¬
den Personen erst wahren Sinn und Bedeutung
verleiht.
Medardus Klähr, der Sohn einer Buchhänd¬
lerswitwe ist der Held des Dramas. Er ist, wie
damals fast die gesamte Jugend der österreichischen
Hauptstadt, von dem Wunsche beseelt, das Vater¬
land vor den Uebergriffen des Korsen zu schützen
und stellt sich begeistert in die Reihen der freiwilli¬
gen Kämpfer. Da tritt ein Ereignis ein, das seinem
Dasein mit einem Male eine andere Richtung und
einen neuen Inhalt gibt: seine Schwester Agathe
geht mit dem Geliebten, dem jungen Prinzen
Francois von Valois, freiwillig in den Tod, um
ihre Familie vor Schande zu bewahren. Medardus
weiß, daß die Valois an dem Doppelselbstmord
Schuld tragen, weil sie der Vereinigung des jungen
Paares schroff gegenüberstanden, und will nun sein
Leben der Rache weihen. Die Gelegenheit, sie zu
stillen, bietet sich bald: aus einem Renkontre
mit der Prinzessin Helene, der Schwester des
Prinzen Valois, am offenen Grabe des Liebespaa¬
ge-e
zu entlasten. Helene fordert von Medardus den
Tod des verhaßten Korsen und rüstet sich, da der
Geliebte die Rolle eines gedungenen Mörders em¬
pört von sich weist, selbst zur entscheidenden Tat.
Medardus aber verkennt ihre Absicht, verdächtigt
sie der Liebschaft mit dem Franzosenkaiser und er¬
sticht sie. Dafür soll er nun mit dem Tode büßen.
Zwar wird er begnadigt, weil seine Tat sich als
Rettung Napoleons erweist, er aber verschmäht diese
Gnade, bezichtigt sich selbst des Verbrechens, dem
Kaiser nach dem Leben getrachtet zu haben und
fällt als Opfer seines Fanatismus.
Das eben ist die Tragik dieses Helden, daß
sein Opfer zwecklos dargebracht wird, daß sein
Heroismus bloß ein Heroismus der Pose ist, der nie¬
mandem frommt. Die Gestalt des Medardus ist
das Problem der unfruchtbaren, alles verzehrenden
Leidenschaft: wir sehen den Jüngling im Feuer
aller Seelenstimmungen erglühen, er wird durch
die ganze Skala der Affekte getrieben, ist erst lodernde
Begeisterung und Haß, dann Rache, Liebe und
Eifersucht, bis er sich schließlich auf sein Heldtum
besinnt und fein Leben preisgibt, trotzdem ihm
das hohe Ziel, das ihm ursprünglich vorschwebte, in¬
zwischen verloren gegangen. Gegen Schnitzlers
Medardus=Drama ließe sich der Vorwurf mangeln¬
der Geschlossenheit erheben: die vielen kurzen Szenen
zerreißen den Zusammerhang, unterbrechen den Fort¬
gang der Entwicklung und erschweren dem Zuschauer
die Orientierung. Auch vom bühnentechnischen
Standpunkte aus erscheint diese musivische Arbeit
nicht einwandfrei. Indes steht der dichterische Wert
des Werkes so hoch, daß solche Bedenken bald schwirden
Wie bedeutsam gibt sich beispielsweise die Szene
zwischen dem General Rapp, dem Abgesandten
Napoleons, und dem blinden Herzog von Valois, der
unentwegt auf die Herrschersendung seines Hauses
baut. Wenn er den Kaiser nicht anerkennen will und
Rapp ihm daraufhin bloß den Titel eines Herrn
v. Valois zugesteht, so scheint das wohl auf das
spätere traurige Los des Allgewaltigen auf St.
Helena hinzudeuten.
Die Aufführung war dank der sorgfältigen
liebevollen Vorbereitung in allen Teilen ganz vor¬
trefflich geraten. Herr Onno gab den Medardus
mit jener fiebernden Glut und nervösen Zerfahren:
heit, die sein ureigenstes Wesen ausmachen und der
Rolle eignen. Prinzessin Helene war Tilla Du¬
rieux. Die wilde Dömonik dieser Künstlerper¬
sönlichkeit übte in den Momenten verhaltener
Leidenschaft nicht minder als in der Ekstase ihre
faszinierende Wirkung. Frau Alice Hetsey brachte
für die Mutter Klähr die würdige Haltung und Ge¬
fühlswärme der edlen Bürgermatrone mit. Präch¬
tige Figuren schufen ferner die Herren Fischer
(Eschenbacher), Huttig (Etzelt), Max Schütz (Her¬
zog v. Valois, Dr. Manning (Doktor Assalagny)
und Frl. Hänseler (Herzogin). Aus der Fülle der
übrigen Darsteller seien nur noch die Herren
Bauer, Balder, Rittig, Reinhardt, Ro¬
manovsky, Seipp und Hofer und die Damen
Niedt und Klein hervorgehoben. Die Inszenie“
rung war stilvoll, nur das Tempo ließ zu wünschen
übrig; trotz mancherlei Streichungen und der Reak¬
tivierung der Drehbühne währte die Première bis
nach Mitternacht. Die schwüle Glut der Liebesszen:
zwischen der Prinzessin Helene und Medardus ent¬
fesselte Stürme des Beifalls und zwang den anwe¬
senden Dichter wiederholt auf die Bühne. — Am
zweiten Abend spielte Herr Anton Tiller den
Helden. Seine Auffassung wich von der des Wiener
Gastes wesentlich ab: der Darstellung fehlten die
bibrierende Unrast und die Krämpfe der Hysterie.
Trotzdem wer die Leistung eindringlich fesselnd.
Dr. V. Joss.
Repertoire=Aenderung. Im Neuen deutschen
Theater gelangt am Samstag, den 3. Juni, anstatt
„2 X 2 = 5* Arthur Schnitzlers dramatische Historie
„Der junge Medardus“ als 184. Abonn.=Vor¬
stellung IV. Serie zur Aufführung.