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22. Derjunge Medandus
baren gestellt ist, nur wie ein Spiel von Puppen an ihren Drähten.
Die Marionettenhaftigkeit des Herzogs und seiner Schattenverschwö¬
ringist ja vom Dichter selbst mit voller Absicht (und mit seinster Tech¬
nik) durchgeführt worden. Aber auch der Wille der Prinzessin, der uns
als besonders stark und lebendig vorgestellt werden soll, ist so abstrakt,
daß er nur auf der politischen Seite funktioniert und mit dem mensch¬
lichen Trieb, der ihren Leib an den Leib des jungen Medardus drängt,
nicht in die leifeste Berührung zu kommen scheint. Sie hat keine
menschenmögliche Form; ist ein zweiteiliger Mechanismus. An ihrem
politischen Zweck und an ihrer privaten Leidenschaft hängt diese Figur
wie an zwei separierten Drähten, die nicht gleichzeitig gezogen werden
können. In der Starrheit und Einzigkeit ihres Willens sieht sie dem
Gehäuse zu einer Hebbelschen Gestalt nicht unähnlich; wie ja auch der
Schauspieler Medardus dem Schauspieler Hjalmar in einigem ver¬
wandt ist. Annäherungen der Form.
Auch darin, daß ein gemessenes Pathos der größern Figuren mit
der einsachen Sprache der Volksszenen in schönem Rhythmus wechselt.
Das Pathos freilich manchmal erzwungen, uneigen, allzu absichtlich auf
Bedentung gestellt. Dann aber wieder = und zumal da, wo der Dich¬
ter seiner eigenen Meinung das Wort gibt — Sätze von einer wunder¬
bar stillen und klaren Weisheit, wie etwa diese hier: „Ob sie Er¬
wartung, ob sie Erfüllung bedeutet, weiß es denn die Stunde selber?
Man könnte einer Krone entgegengeträumt, ja, man könnte sie er¬
rungen haben= und an einem späten Tag entdecken, daß der reichste
Augenblick von allen einer war, da man in einem Frühlingsgarten
nach Schmetterlingen haschte. Die schlimmste Art, ein Glück zu ver¬
säumen, ist, es nicht glauben, da man es erlebt.“ Solche Feinheit des
Gedankens blüht an mancher schönen Stelle im Dialog. Sie verdichtet
sich zu warmer lebendiger Menschlichkeit in den drei besten Figuren
des Stückes, in den Personen, die der Weisheit dieser Lehre stark und
schlicht nachleben und mit der verderblichen Schicksalsangst, die sonst
allem Wesen und Treiben hier zugrunde liegt, wenig oder nichts zu
tun haben. Das ist die tüchtige, tapfere Mutter Klähr, der unpathetisch
mannhafte Eschenbacher und der Etzelt, der ehrliche und kluge Freund.
Ihre Umrisse sind von keiner heftigen Gebärde entstellt und von keiner
zerstörenden Selbstbetrachtung angefressen. Ihr Wille ist, nach ihrer
Art menschlich zu sein; den erfüllen sie ganz. Sie sind wirkliche Men¬
schen, mit einer dichterischen Liebe geschaffen, die sich da von ihrer ver¬
störten Angst auf kurze Strecken wenigstens befreit hat.
Ins Feinste kultiviert und im Tiefsten mutlos, aus hingebender
Betrachtung des Lebens und aus unüberwindlicher Schen vor dem
Leben geschaffen, gut kostümiert, von stilisiertem Pathos und stilisierter
Natürlichkeit = so ist dieser „Junge Medardus' ein wahres Muster¬
beispiel dessen, was heute gemeinhin als wiener moderne Dichtung be¬
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22. Derjunge Medandus
baren gestellt ist, nur wie ein Spiel von Puppen an ihren Drähten.
Die Marionettenhaftigkeit des Herzogs und seiner Schattenverschwö¬
ringist ja vom Dichter selbst mit voller Absicht (und mit seinster Tech¬
nik) durchgeführt worden. Aber auch der Wille der Prinzessin, der uns
als besonders stark und lebendig vorgestellt werden soll, ist so abstrakt,
daß er nur auf der politischen Seite funktioniert und mit dem mensch¬
lichen Trieb, der ihren Leib an den Leib des jungen Medardus drängt,
nicht in die leifeste Berührung zu kommen scheint. Sie hat keine
menschenmögliche Form; ist ein zweiteiliger Mechanismus. An ihrem
politischen Zweck und an ihrer privaten Leidenschaft hängt diese Figur
wie an zwei separierten Drähten, die nicht gleichzeitig gezogen werden
können. In der Starrheit und Einzigkeit ihres Willens sieht sie dem
Gehäuse zu einer Hebbelschen Gestalt nicht unähnlich; wie ja auch der
Schauspieler Medardus dem Schauspieler Hjalmar in einigem ver¬
wandt ist. Annäherungen der Form.
Auch darin, daß ein gemessenes Pathos der größern Figuren mit
der einsachen Sprache der Volksszenen in schönem Rhythmus wechselt.
Das Pathos freilich manchmal erzwungen, uneigen, allzu absichtlich auf
Bedentung gestellt. Dann aber wieder = und zumal da, wo der Dich¬
ter seiner eigenen Meinung das Wort gibt — Sätze von einer wunder¬
bar stillen und klaren Weisheit, wie etwa diese hier: „Ob sie Er¬
wartung, ob sie Erfüllung bedeutet, weiß es denn die Stunde selber?
Man könnte einer Krone entgegengeträumt, ja, man könnte sie er¬
rungen haben= und an einem späten Tag entdecken, daß der reichste
Augenblick von allen einer war, da man in einem Frühlingsgarten
nach Schmetterlingen haschte. Die schlimmste Art, ein Glück zu ver¬
säumen, ist, es nicht glauben, da man es erlebt.“ Solche Feinheit des
Gedankens blüht an mancher schönen Stelle im Dialog. Sie verdichtet
sich zu warmer lebendiger Menschlichkeit in den drei besten Figuren
des Stückes, in den Personen, die der Weisheit dieser Lehre stark und
schlicht nachleben und mit der verderblichen Schicksalsangst, die sonst
allem Wesen und Treiben hier zugrunde liegt, wenig oder nichts zu
tun haben. Das ist die tüchtige, tapfere Mutter Klähr, der unpathetisch
mannhafte Eschenbacher und der Etzelt, der ehrliche und kluge Freund.
Ihre Umrisse sind von keiner heftigen Gebärde entstellt und von keiner
zerstörenden Selbstbetrachtung angefressen. Ihr Wille ist, nach ihrer
Art menschlich zu sein; den erfüllen sie ganz. Sie sind wirkliche Men¬
schen, mit einer dichterischen Liebe geschaffen, die sich da von ihrer ver¬
störten Angst auf kurze Strecken wenigstens befreit hat.
Ins Feinste kultiviert und im Tiefsten mutlos, aus hingebender
Betrachtung des Lebens und aus unüberwindlicher Schen vor dem
Leben geschaffen, gut kostümiert, von stilisiertem Pathos und stilisierter
Natürlichkeit = so ist dieser „Junge Medardus' ein wahres Muster¬
beispiel dessen, was heute gemeinhin als wiener moderne Dichtung be¬
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