M
box 27/1
22 Deundardus
zeichnet wird. Diese Gattung hat manches stärkere und tiefere,
manches leuchtendere Werk. Aber keines, in dem aller Vorzug und alle
Schwäche jetziger wiener Dichtung so ausführlich und so nachdrücklich
miteinbezogen wäre. Sieht es doch oft danach aus, als sei diese wiener
Historie nur eine programmatische Ausprägung und Verkündigung der
großen, großen Feinheit, die für das literarische Wien von heute so
rühmlich und so gefährlich geworden ist. In dieser vollkommenen Typik
wird dereinst, so meine ich, der historische Wert dieser Historie gefunden
werden.
Ihr auf der Bühne die volle Atmosphäre ihres dichterischen
Lebens zu geben, dazu würde es der raffiniertesten Mischung entlegener
Stile bedürfen. In ein halb realistisch, halb romantisch getöntes
wiener Sach=Milien müßten Shakespearesche Massenszenen mit
Pointen von Nestroy gestellt, und ein Puppenspiel in balladesken
Rhythmen, lächerlich und fürchterlich zugleich, müßte hindurchgeschlun¬
gen werden. Figuren, deren Wirklichkeit erst stark aufblitzt, dann jäh¬
lings verblaßt; Menschen, die das Heute repräsentieren, Menschen, die
nur von damals sein können, und Menschen, die nie gelebt haben; die
Phantasterei der wirklichen Geschichte (der Schatten des ungeheuern
Napoleon) und die Erfindung des gedankenreichen Dichters müßten un¬
vermittelt und doch zusammengehörig, ganz wie eines Blutes, mitein¬
ander hergehen. So wäre diese Aufführung zu denken; und so wird
sie natürlich nie und nirgends. Auch am Burgtheater nicht, und in
Prag schon gar nicht. Vor allem, weil man dazu etwa fünfzig Schau¬
spieler, wahrhaftige, richtige Schauspieler, brauchen würde; und davon
hat das Burgtheater jetzt etwa ein Dutzend, und das prager Deutsche
Theater hat . . .. auch einige. Dazu kommen die Schwierigkeiten, die
der häufige Wechsel des Schauplatzes, der Umschlag der Stimmung, die
Veränderungen im Ton der Sprache mitbringen. Tüchtige und
fleißige Arbeit kann aus dem ungefügen Koloß etwa das Relief eines
wienerischen Zeitgemäldes herausholen, möglichst bunt im szenischen
und figuralen Detail. Daran ist denn auch hier aller Eifer und alle
Kunst gewendet worden; und nicht vergebens. Diese Vorstellung war
zweifellos das Ausgiebigste und Beste, was der Regisseur Paul Egers
bisher hier geleistet hat. Er ist vor ein paar Jahren als grüner An¬
fänger hergekommen und gleich mit einer so leidenschaftlichen Gier in
sein Handwerk hineingestiegen, daß er im Technischen bald erstannlich
sicher war. Nun steht er mitten in seiner künstlerischen Entfaltung.
Für alle bildmäßige Wirkung, für die Tönungen von Licht und Farben
hat er den Blick des geschulten Kenners. Die charakteristische Aus¬
gestaltung alles Malerischen und sonstwie sichtbar Sinnfälligen auf der
640
box 27/1
22 Deundardus
zeichnet wird. Diese Gattung hat manches stärkere und tiefere,
manches leuchtendere Werk. Aber keines, in dem aller Vorzug und alle
Schwäche jetziger wiener Dichtung so ausführlich und so nachdrücklich
miteinbezogen wäre. Sieht es doch oft danach aus, als sei diese wiener
Historie nur eine programmatische Ausprägung und Verkündigung der
großen, großen Feinheit, die für das literarische Wien von heute so
rühmlich und so gefährlich geworden ist. In dieser vollkommenen Typik
wird dereinst, so meine ich, der historische Wert dieser Historie gefunden
werden.
Ihr auf der Bühne die volle Atmosphäre ihres dichterischen
Lebens zu geben, dazu würde es der raffiniertesten Mischung entlegener
Stile bedürfen. In ein halb realistisch, halb romantisch getöntes
wiener Sach=Milien müßten Shakespearesche Massenszenen mit
Pointen von Nestroy gestellt, und ein Puppenspiel in balladesken
Rhythmen, lächerlich und fürchterlich zugleich, müßte hindurchgeschlun¬
gen werden. Figuren, deren Wirklichkeit erst stark aufblitzt, dann jäh¬
lings verblaßt; Menschen, die das Heute repräsentieren, Menschen, die
nur von damals sein können, und Menschen, die nie gelebt haben; die
Phantasterei der wirklichen Geschichte (der Schatten des ungeheuern
Napoleon) und die Erfindung des gedankenreichen Dichters müßten un¬
vermittelt und doch zusammengehörig, ganz wie eines Blutes, mitein¬
ander hergehen. So wäre diese Aufführung zu denken; und so wird
sie natürlich nie und nirgends. Auch am Burgtheater nicht, und in
Prag schon gar nicht. Vor allem, weil man dazu etwa fünfzig Schau¬
spieler, wahrhaftige, richtige Schauspieler, brauchen würde; und davon
hat das Burgtheater jetzt etwa ein Dutzend, und das prager Deutsche
Theater hat . . .. auch einige. Dazu kommen die Schwierigkeiten, die
der häufige Wechsel des Schauplatzes, der Umschlag der Stimmung, die
Veränderungen im Ton der Sprache mitbringen. Tüchtige und
fleißige Arbeit kann aus dem ungefügen Koloß etwa das Relief eines
wienerischen Zeitgemäldes herausholen, möglichst bunt im szenischen
und figuralen Detail. Daran ist denn auch hier aller Eifer und alle
Kunst gewendet worden; und nicht vergebens. Diese Vorstellung war
zweifellos das Ausgiebigste und Beste, was der Regisseur Paul Egers
bisher hier geleistet hat. Er ist vor ein paar Jahren als grüner An¬
fänger hergekommen und gleich mit einer so leidenschaftlichen Gier in
sein Handwerk hineingestiegen, daß er im Technischen bald erstannlich
sicher war. Nun steht er mitten in seiner künstlerischen Entfaltung.
Für alle bildmäßige Wirkung, für die Tönungen von Licht und Farben
hat er den Blick des geschulten Kenners. Die charakteristische Aus¬
gestaltung alles Malerischen und sonstwie sichtbar Sinnfälligen auf der
640