II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 455

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22. Derjunge Medandus
ARRR
Lebenskraft, Wiener Frauen grüßen und fühlen, was
beinig da und sagt: Nun ja, die alten Herren. Haben
um uns weben kann im Alltag. Lange Zeiträume
*
halt gelebt wie andere Leut'. Gott hab' sie selig. Mir
vergehen immer, bis ich Schnitzler wiedersehe. Sein
san mir. Aber mit diesem robusten Ichglück weiß der
A
Werk bleibt mir lebendig, aber der alte Zauber „Wien“.
gebildete und gefühlvolle Fremdling nichts anzu¬
rg Hirschfeld.
will seine Auffrischung haben. Sie wurde mir wie nie
fangen. Es schmeckt nicht gut, es riecht nicht gut,
ist zuweilen scherzhaft aufgelegt
zuvor bei jenem Vortragsabend in München. An sich
es... Er steht zwischen Stephanskirche und Se¬
Ernste Brille von der Nase. Was
hatte er, wie alle Vortragsabende, seine Hemmungen:
zessionsgebäude und ist ratlos.
t, weit und, trotz der vielen Lichter,
unangenehme Publikumsneugier auf die Person des
Aber in München, weit von den Fiakerständen und
Dichters, Vortrag eines Bruchstückes, das kein Bild
ezündet, dunkel, wird durch einen
Beethovenorten, kam ihm jüngst die unvergeßliche
lötzlich in scharfen Einzelerschei¬
von einem dem Publikum noch nicht bekannten Ganzen
Illustration. An derselben Stelle nämlich ließ in einer
gab. Aber was aus der Gestaltenfülle des Medardus¬
en, der Begriff der Tiefe und der
Folge von wenigen Tagen der Zufall zwei Wiener er¬
Vorspiels, aus der vollendet gelesenen Studie vom
eliebten Tradition und der gleich¬
scheinen, deren Persönlichkeit und Vortrag repräsen¬
Leutnant Gustl und den zugegebenen „Weihnachts¬
ealte Hauptstadt, welche deutsche
tative Typen zeigten. Es geschah an zwei Abenden
einkäufen“ den Jahreszeitensaal durchdrang, war lieb¬
rte des Orients weiß, und zugleich
des Neuen Vereins. Artur Schnitzler erschien und
lichster Duftrauch aus der Zauberküche eines großen
las aus seinen Dicht#
ller Moden, Ernste und Späße —
chen auch Adolf
Poeten. Ich lehnte mich wieder an seine Kunst. Ich
Loos, der Architekt, und verkündete seine Anschau¬
lle Wien wird zu schwer und zu
schloß meine Augen und fühlte das Entzücken leben¬
furopas Arbeit kommt, darf man
ungen. Mir ist Schnitzler seit vielen Jahren tief ver¬
rlin auf den praktischen Verkaufs¬
digster Ruhe. Ja, drüben, in aller trauten Nähe para¬
traut. Ich danke ihm, daß sein poetischer und mensch¬
diesisch fern, drüben schritten sie wieder, Artur
Den Vergnügungsteil des Welt¬
licher Genius mich nahe an die ewig reine Wiener
Schnitzlers Geschöpfe. Eine bessere Welt nicht durch
Waldquelle geführt hat, daß meine Liebe durch den
Enügen aber schimmert in allen
Beschönigung, sondern durch graziöse Wahrheit. Ich
Staub der Wiener Moden niemals ganz ernüchtert
Farben. Jede Seele, die Wien er¬
sah die Menschen um mich herum so gern ihm zu¬
fracht in diese Stadt. Sie hofft
und erstickt worden ist. Ich hatte jedesmal, wenn ich
hören und Eindrücke erleben. Schöne Frauen im
Helden und Meister, die in dieser
nach Wien kam, vor anderen Fremden etwas voraus.
kühlen Bezirk ihrer gesellschaftlichen Normen und fie¬
Der Meister, dem Schuberts Unsterbliches das goldene
en, zu begegnen, und wird nicht
bernd doch, gelöst, im Innersten weh und heiter.
Band zugeworfen hatte, damit er die neue Zeit mit
hlingstag kann alles, was in
Männer, die mit sinnendem Lächeln den Zwischen¬
Gassen entstanden ist, widertönen,
der alten verknüpfte, ging neben mir durch die schmalen
stufen ihres harten Lebens nachsahen, Dingen, die
Gassen der inneren Stadt und sah mit mir von den
ieger und Besiegten prächtig vor¬
Abenteuer waren oder nur hießen, jedenfalls des
Hügeln draußen auf die Donau und die dämmernde
och unausbleiblich ist auch die Er¬
Lebens Duft und Farbe waren. Ja, er stand dort
Masse der Häuser. In der Nähe seines Dichterherzens
Himmer zerfließt unter dem Grob¬
Die Gegenwart steht recht breit= durfte ich die Sehnsucht erwachen lassen nach naiver oben auf dem Podium, Meister Artur, und hielt noch