II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 492

22. Derjunge Medardus
Zeitung:
elischer Kurier, Berlin S. W. 65
Adresse:
Datum:
Lessing-Theater
„Der junge Medardus“
Ein echter Schnitzler! Tadellose Filigranarbeit bei der
Schilderung des Altwiener Lebens, als Napoleon im Schlosse
zu Schönbrunn residierte; wo jetzt der greise Franz Josef dem
Ende des gewaltigen Weltringens entgegenschaut, seine pocti¬
sche Sprache, an der man sich heute besonders ergötzt, auf der
einen, schleppende Handlung und schwankende Chäräktere auf
der anderen Seite. An diesem Wiener Bürgersohn Medardus
Klähr ist nur eies groß: sein Ende, und an seiner Partnerin,
der französischen Prinzessin, die des Medardus und Napoleons!
Geliebte zu gleicher Zeit ist, wieder nichts anderes, als daß sie
in dem Augenblick, da sie den Welteroberer aus eigensüchtigen
dynastischen Gründen ermorden will, dem Dolche des anderen
Geliebten zum Opfer fällt. Unter der Hand des Plauderers
Schnitzler werden auch seine Holden und Helden zu Zauderern,
die sich zu starken Taten nicht aufzuraffen vermogen, die
immer nur die Gesten zu Taten finden und deren Heldentum
zerflattert, wie das Herbstlaub im Winde. Es gibt viel Tote
außer den beiden, und auf alle nur möglichen Arten läßt
Schnitzler seine Figuren sterben, ein“ französischer Prinz geht
mit einer Wiener Bürgertochter ins Wasser, weil der stolze
Herzog die Mißheirat nicht dulden will, und gar mancher
Wiener Bürger stirbt an der Mauer unter den Kugeln
napoleonischer Soldaten; es gibt eine Herausforderung am
Grabe und ein Duell und allerlei andere Sachen, so daß auf die
sechs Akte und den sechszehnmaligen Szenenwechsel verteilt, für
jede Szene etwas Gruseliges übrig bleibt. Nur das eine,
wie gesagt, versöhnt mit vielen Schwächen des Stücks, daß der
junge Medardus des gereizten Korsen Gnade verschmäht, wo er
sich retten könnte, und lieber sich erschießen läßt, als seiner un¬
versönlichen Feindschaft gegen den Weltbedrücker zu entsagen.
Aus der dramatischen Historie hätte sich bei Schnitzlers
poetischer Begabung, die über allen Zweifel erhaben ist, bei
weiser Selbstbeschränkung ein wirkliches Drama schaffen
lassen, das in dem Doppelverhältnis der Prinzessin zu Me¬
dardus und Napoleon angedeutet ist. So erstickt die Handlung
in der Fülle des Stoffs und der Handelnden, nicht weniger als
60 Namen stehen auf dem Theaterzettel. Theodor Loos
verstand es nicht, mit der Figur des Medardus fertig zu wen¬
den, seine Wärme und Wurde paßte nicht für den schwanken¬
den und leeren Wiener Bürgersohn. Auch für Lina Lossen
lag die rankespinnende, verführerische französische Prinzessin
nicht günstig. Ilka Grüning dagegen war groß als
Mutter Medardus, wenn sie auch erst allmählich in die Rolle
hineinwuchs. Schön kamen die Typen des Wiener Lebens
durch die Herren Götz, Adalbert, Salfner und
Herzfeld sowie die Damen Paula Eberty und Senta
Söneland zur Darstellung. Diese Milieuschilderungen
aus dem Wiener Leben sind ja mit das Schönste an Schnitzlers
Historie, und sie trefflich herausgearbeitet zu haben, war das
besondere Verdienst des Spielleiters Barnowsky. Es ist
für die Theaterleiter wahrlich nicht leicht, in dieser Zeit den
rechten Ton zu finden. Man darf daher Herrn Barnowsky
immerhin dankbar sein, daß er einen der feinsinnigsten und
sprachgewandtesten deutschen Dichter unserer Tage zu Worte
kommen tieß.= Das exkannte auch das dichtgefüllte Haus ohne
weiteres an, indem es treulich fast 5 Stunden ausharrte und
den Künstlern und dem anwesenden Dichter warmen Beifall
zollte.
H. Sch.
box 27/2
Zetung: Die Post (Aorzemimg
ddresser Berlin
Datum:
2 5.0
Der junge Medardus.
(Lessing=Theater.)
Das Lessing=Theater hat sich im vergangenen Winter unter
Viktor Barnowskis Leitung zu der führenden Bühne Ber¬
lins entwickelt, die allein mit entschiedenem Wollen die not¬
wendige Bewältigung der geistigen Werte unserer Gegenwarts¬
literatur erstrebt. Jede Vorstellung war der Versuch der Ver¬
körperung zeitgenössischer Kulturströmungen. Und zwar mit dem
offenkundigen Willen, die innerste Seele des Kunstwerkes als ein¬
zig maßgebenden Faktor hinter dem Spiel des Ganzen lebendig
werden zu lassen. Das ist ein Beginnen, das sich nicht in der
Regiekunst, im Auf und Ab der Personen, im Szenischen verliert,
sondern dessen Arbeit von der Art des Wollens allein abhängig
ist. Sichtbar und fühlbar — wie im Menschenleben des einzelnen
sich Theatralik und Ehrlichkeit scheidet. Der Erfolg bestätigte die
Gültigkeit dieses künstlerischen Willens. Hat doch Peer Gynt hier
seine hundertste Auferstehung erleben können.
Das ist ein Geschenk, wie es bisher den anerkannten
Klassikern anderswo ersehnt wird. Oder besser noch: Das Lessing¬
Theater versteht es, der Moderne Klassiker=Geltung zu verschaffen.
Und das bleibt schließlich die höchste Aufgabe, Pflicht und beste
Belohnung eines Theaters. Das Bestreben nun, dieser Eigen¬
tümlichkeit und erbüberkommenen Verpflichtung gerecht zu werden
und andererseits dem Zeitwunsche zu dienen, mögen das Lessing¬
Theater auf Schnitzlers dramatische Historie „Der junge
Medardus“ geführt habens Es ist das Spiel der romantischen
Phantastik und des noch nicht krafterfüllten Idealismus
des alten Deutschland, dessen hochfliegendes Wollen im
Ueberschwang eines weichen und reichen Gefühls erstickt.
Noch hat die Sehnsucht nach Glück nicht die unerschütterliche
Macht des Wollens lösen können. Darum unterliegt alles dem
alleinigen Träger dieses niederzwingenden Zaubers — Rapoleon.
Es ist nicht unzweckmäßig, diesen Gegensatz zur gegenwärtigen
Entfesselung eines hinstürmenden, sieggekrönten Willens im Spiel
des Vergangenen noch mitzuerleben, um den kommenden Auf¬
schwung zu ahnen, auf dem schon unsere Väter und jetzt auch wir
fußen.
In Theodor Loos ward dem Theater der rechte Jüng¬
lingsstürmer Medardus, der Vaterland und persönliche Nache über
eine hohe Liebschaft vergißt. Ihm zur Seite als Königin des an¬
geborenen Herrscherwillens und der weiblichen Gefühle in harter,
fast rücksichtsloser Hoheit und ebenso großer, voller Hingabe die
Figur der Helene von Valois Lina Lossens. In ebenso
reifer, abgerundeter Fassung gab Ilka Grüning die Mutter
des Medardus, wie Heinz Salfner die biedere, echtkernige
Gestalt des Jakob Eschenbacher. Max Landa schuf streng und
rein den Valois als fast erdfernen Herrscher, Martha Santen
mit gleichem Geschick die Königin Hortense. Festumrissene Tiguren
stellten endlich noch Guido Herzfeld, Alfred Abel,
Traute Dumke=Carlsen und Senta Söneland. —
Das Haus zollte den verdienten überreichen Beifall.
K.