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22. Der junge Medandus
box 27/2
Zeitung: Berliner Tageblatt.
(Morgen-Ausgabe)
Adresse: Berlin
2 S. 6KI. 1914
Datum:
eren
Zeit, unserer eigenen künstlerisch näher zu rücken. Wenn Schnitzler um
„Ber junge Medardus“.
das Jahr 1909 diese Szenen vom Jahre 1809, aus dem Wien der zweiten
napoleonischen Besetzung, aus den Tagen von Aspern und Wagram ge¬
Von Arthur Schnitzler. Aufführung im Lessing=Theater.
schrieben hat, so ist das mehr als eine gute Idee und mehr als Pietät.
Spielleitung: Diktor Barnowsky.
Was sich hier zeigt, ist herausgeholt aus dem Gewölk neu heran¬
Fünf Jahre nach seinem Entstehen wurde uns dieses dramatische
drängender Gewitter. Ein Neu=Oesterreicher schildert Alt=Oesterreich aus
Bild gezeigt, in Tagen, in der alle Räume unserer Seele für große
dem Gefühl für die Gegenwart und Zukunft. In achtzig Bürgern
Taten und ihre Hintergründe geöffnet sind. Daß wir dem Werk und
schildert er achtzigtausend, achthunderttausend. Er sieht, selber halb ver¬
seinem Dichter, dem deutschen Dichter Arthur Schnitzler, freudig
zagt, die Verzagten, und richtet sich wieder an den Starken auf. Er läßt
entgegenkommen, ist gewiß aber vielleicht sind wir doch zu voll
die Raunzer raunzen, zeigt aher auch, wie sie in starken Stunden stark
von der Gegenwart, um uns in voller Ruhe in die Breite dieses
werden. Er zeigt auf die Halben und Schwachen, die noch schwächer
Gespinstes zu vertiefen. Den nur Genießenden gibt es jetzt nicht,
werden, auf die Sensationslüsternen, auf die Phrasenhelden, auf die Ge¬
und es war wohl nicht genug, daß das Schauspiel Schnitzlers nur!
winnsüchtigen. Gab es das alles im Jahre 1809? Es muß so gewesen
gerade ein verhallendes Echo dessen ist, was jetzt außerhalb der
sein, denn das alles gibt es auch heute, gab es stets, wird es stets geben
Theatermauern dröhnend an unser Ohr schlägt. So war die
Und mag die Zeichnung etwas dünn und flüchtig bleiben für unsere setzt
Wirkung nicht groß; nur wo sich aus den Worten ein stärkeres Ge¬
an große Eindrücke gewöhnte Einbildungskraft, so wird ihr von der Echt¬
schehen loslöste, war sie lebendiger, und erst am Schluß wurde der
heit darum noch nichts genommen. Es war darum auch schade, daß
Name des Autors gerüfen.
gestern eine der Szenen, in denen das Wienertum und ihre allgemein
Die „dramatische Historie“ hat wohl auch, in Friedenszeiten be¬
menschengültige Art von allen Seiten schnitzlerisch beglänzt werden, aus¬
fallen mußte.
trachtet, ihre Schwächen. Aber ist darüber hinaus die Stunde nicht
günstig, zu fragen: wo in den Ländern, die uns jetzt in Not und
Daß sich doch Arthur Schnitzler begnügt hätte! Hätte er doch ohne
Tod wünschen, wo ist unter den heute Lebenden ein Poet, zumindest
den Blick auf Theaternotwendigkeiten nichts schreiben wollen, als die
ein Dramatiker, der ein Lebenswerk von so edler Gestalt und voll
Chronik einer denkwürdigen Zeit! Aber nein! Er geht auf die Suche
von so echtem Menschentum aufweisen kann wie dieser erst fünfzig¬
nach „großen Charakteren“ und borgt, was er selbst nicht besitzt. Er
jährige Schnitzler und nicht viele, aber immerhin doch noch einige
schafft den Medardus heran, der ein gesprächiger Schatten bleibt
andere, die gleich ihm in deutscher Sprache für deutsche Herzen schrei¬
unter der Fülle einer immer neu sich drehenden und komplizierten
ben? Ich frage, wo sind sie, die uns Hunnen schelten und sich dabei
Psychologie, dieser jungen Medardus, der Hamlet und Fortinbras
einer reineren Kunst und einer größeren Güte rühmen dürfen?
in einer Person ist, weich und hart, biegsam, unbeugsam, bleiern und
ehern und im Grunde immer nur so tut als ob. Was hilft uns der
Immer mit diesem Blick auf den großen Weltparnaß wollen
Reichtum der Züge, wenn sie keinen Organismus geben? Man kann
und müssen wir jetzt Schnitzler empfinden und uns seiner freuen.
von dieser Gestalt fast nur wie von einer Sache sprechen, von der
Wir lieben auch in diesem dramatisch formulierten Epos sein
Sache Medardus, der gegen Napoleon marschieren will und es nicht
goethisches Deutsch mit dem wienerischen Akzent und seine lächelnde
tut, der sich an einer hochmütigen französischen Emigrantenfamilie
Seele (und wenn wir offen bekennen, daß seine „großen Figuren“
rächen will, indem er die Tochter entehrt und sich dabei in diese
dieser junge Medardus selbst und seine weibliche Partnerin, nicht
Tochter verliebt, der sich von ihr zum Mörder Napoleons
schnitzlerisch, sondern eher Sardou=entsprungen erscheinen, so schauen
dingen läßt, um sie dann selbst niederzustechen, der als
wir doch auf die Fülle der Kleinplastik mit Dank und Freude.
Lebensretter Napoleons Gnade erfahren soll und schließlich einen
In der Tat, wir sehen zwei „Helden“, aber wir sehen in dem gestaltza¬
Märtyrertod ertrotzt, für den es keinen Lohn des beruhigten Gewissens
reichen Stück auch siebzig, achtzig wahre Menschen. Wir empfinden,
geben kann. Wir sehen, unbewegt, viel Bewegung und sehen Theater,
wenn wir auch nur selten in stärkere Wallung kommen, wie sie als leib¬
und wenn dieser Medardus uns doch noch hier und dort ein wenig
haftige Spiegelbilder des Lebens gerade jetzt, die einen abschreckend und die
schüttelt, so ist die andere große Figur, Helene, die schöne Emigrantin,
anderen bezaubernd, zu uns sprechen wollen und wir wissen auch oder
die verführte Verführerin, die Rächerin, die treue Tochter und blasse
wir ahnen es, daß es hier nicht nur ein „glücklicher Zufall“ ist, der dem
Ränkespinnerin, überhaupt nicht mehr von dieser wirklichen Welt.
Wiener Poeten erlaubt hat, durch die Reflexe einer anderen bewegten! Fort von ihm und ihr! Zurück zu Schnitzler, dem Menschenformer!
Zu seinen Wienern und Wie
Gestalten, zu Medardus' F
auch schönrednerischen Etzel
bacher! Und zu seiner Mutt#
Klähr. Küssen wir ihr die
Barnowsky, der Spiellei
gisseur") hat eine sehr schn
bewältigt. Es galt in vier
selnder Szenen, Großwelt
Säuselndes und Schmetter
der kleinen Rollen, die wien
einprägten, lag am Stück.
auch nur in kleinen Zügen.
feld, John Gottow
Senta Söneland, M
Farbe und Stimme des ##
man seinen vollen und ern
Innere des Medardus füll
eine Kunst, die ihrer Natur
die ihr Geschmack verlangte
Grüning war die Mutte
mir, ganz gegen ihre Art
kühl zu sein. Was Gefaß
Schluß war sie, um es mit
22. Der junge Medandus
box 27/2
Zeitung: Berliner Tageblatt.
(Morgen-Ausgabe)
Adresse: Berlin
2 S. 6KI. 1914
Datum:
eren
Zeit, unserer eigenen künstlerisch näher zu rücken. Wenn Schnitzler um
„Ber junge Medardus“.
das Jahr 1909 diese Szenen vom Jahre 1809, aus dem Wien der zweiten
napoleonischen Besetzung, aus den Tagen von Aspern und Wagram ge¬
Von Arthur Schnitzler. Aufführung im Lessing=Theater.
schrieben hat, so ist das mehr als eine gute Idee und mehr als Pietät.
Spielleitung: Diktor Barnowsky.
Was sich hier zeigt, ist herausgeholt aus dem Gewölk neu heran¬
Fünf Jahre nach seinem Entstehen wurde uns dieses dramatische
drängender Gewitter. Ein Neu=Oesterreicher schildert Alt=Oesterreich aus
Bild gezeigt, in Tagen, in der alle Räume unserer Seele für große
dem Gefühl für die Gegenwart und Zukunft. In achtzig Bürgern
Taten und ihre Hintergründe geöffnet sind. Daß wir dem Werk und
schildert er achtzigtausend, achthunderttausend. Er sieht, selber halb ver¬
seinem Dichter, dem deutschen Dichter Arthur Schnitzler, freudig
zagt, die Verzagten, und richtet sich wieder an den Starken auf. Er läßt
entgegenkommen, ist gewiß aber vielleicht sind wir doch zu voll
die Raunzer raunzen, zeigt aher auch, wie sie in starken Stunden stark
von der Gegenwart, um uns in voller Ruhe in die Breite dieses
werden. Er zeigt auf die Halben und Schwachen, die noch schwächer
Gespinstes zu vertiefen. Den nur Genießenden gibt es jetzt nicht,
werden, auf die Sensationslüsternen, auf die Phrasenhelden, auf die Ge¬
und es war wohl nicht genug, daß das Schauspiel Schnitzlers nur!
winnsüchtigen. Gab es das alles im Jahre 1809? Es muß so gewesen
gerade ein verhallendes Echo dessen ist, was jetzt außerhalb der
sein, denn das alles gibt es auch heute, gab es stets, wird es stets geben
Theatermauern dröhnend an unser Ohr schlägt. So war die
Und mag die Zeichnung etwas dünn und flüchtig bleiben für unsere setzt
Wirkung nicht groß; nur wo sich aus den Worten ein stärkeres Ge¬
an große Eindrücke gewöhnte Einbildungskraft, so wird ihr von der Echt¬
schehen loslöste, war sie lebendiger, und erst am Schluß wurde der
heit darum noch nichts genommen. Es war darum auch schade, daß
Name des Autors gerüfen.
gestern eine der Szenen, in denen das Wienertum und ihre allgemein
Die „dramatische Historie“ hat wohl auch, in Friedenszeiten be¬
menschengültige Art von allen Seiten schnitzlerisch beglänzt werden, aus¬
fallen mußte.
trachtet, ihre Schwächen. Aber ist darüber hinaus die Stunde nicht
günstig, zu fragen: wo in den Ländern, die uns jetzt in Not und
Daß sich doch Arthur Schnitzler begnügt hätte! Hätte er doch ohne
Tod wünschen, wo ist unter den heute Lebenden ein Poet, zumindest
den Blick auf Theaternotwendigkeiten nichts schreiben wollen, als die
ein Dramatiker, der ein Lebenswerk von so edler Gestalt und voll
Chronik einer denkwürdigen Zeit! Aber nein! Er geht auf die Suche
von so echtem Menschentum aufweisen kann wie dieser erst fünfzig¬
nach „großen Charakteren“ und borgt, was er selbst nicht besitzt. Er
jährige Schnitzler und nicht viele, aber immerhin doch noch einige
schafft den Medardus heran, der ein gesprächiger Schatten bleibt
andere, die gleich ihm in deutscher Sprache für deutsche Herzen schrei¬
unter der Fülle einer immer neu sich drehenden und komplizierten
ben? Ich frage, wo sind sie, die uns Hunnen schelten und sich dabei
Psychologie, dieser jungen Medardus, der Hamlet und Fortinbras
einer reineren Kunst und einer größeren Güte rühmen dürfen?
in einer Person ist, weich und hart, biegsam, unbeugsam, bleiern und
ehern und im Grunde immer nur so tut als ob. Was hilft uns der
Immer mit diesem Blick auf den großen Weltparnaß wollen
Reichtum der Züge, wenn sie keinen Organismus geben? Man kann
und müssen wir jetzt Schnitzler empfinden und uns seiner freuen.
von dieser Gestalt fast nur wie von einer Sache sprechen, von der
Wir lieben auch in diesem dramatisch formulierten Epos sein
Sache Medardus, der gegen Napoleon marschieren will und es nicht
goethisches Deutsch mit dem wienerischen Akzent und seine lächelnde
tut, der sich an einer hochmütigen französischen Emigrantenfamilie
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rächen will, indem er die Tochter entehrt und sich dabei in diese
dieser junge Medardus selbst und seine weibliche Partnerin, nicht
Tochter verliebt, der sich von ihr zum Mörder Napoleons
schnitzlerisch, sondern eher Sardou=entsprungen erscheinen, so schauen
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Lebensretter Napoleons Gnade erfahren soll und schließlich einen
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Märtyrertod ertrotzt, für den es keinen Lohn des beruhigten Gewissens
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geben kann. Wir sehen, unbewegt, viel Bewegung und sehen Theater,
wenn wir auch nur selten in stärkere Wallung kommen, wie sie als leib¬
und wenn dieser Medardus uns doch noch hier und dort ein wenig
haftige Spiegelbilder des Lebens gerade jetzt, die einen abschreckend und die
schüttelt, so ist die andere große Figur, Helene, die schöne Emigrantin,
anderen bezaubernd, zu uns sprechen wollen und wir wissen auch oder
die verführte Verführerin, die Rächerin, die treue Tochter und blasse
wir ahnen es, daß es hier nicht nur ein „glücklicher Zufall“ ist, der dem
Ränkespinnerin, überhaupt nicht mehr von dieser wirklichen Welt.
Wiener Poeten erlaubt hat, durch die Reflexe einer anderen bewegten! Fort von ihm und ihr! Zurück zu Schnitzler, dem Menschenformer!
Zu seinen Wienern und Wie
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selnder Szenen, Großwelt
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der kleinen Rollen, die wien
einprägten, lag am Stück.
auch nur in kleinen Zügen.
feld, John Gottow
Senta Söneland, M
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Innere des Medardus füll
eine Kunst, die ihrer Natur
die ihr Geschmack verlangte
Grüning war die Mutte
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kühl zu sein. Was Gefaß
Schluß war sie, um es mit