II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 499

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22. Deundandus
P t.
„Der junge Medardus.
Arthur Schnitzlers Drama im Lessing=Theater.
Von einem jüngeren, bisher nur in Wien gespielten Werke Arthur
Schnitzlers konnte gestern, im Lessingtheater, nur ein Fragment dar¬
geboten werden. Ein Fragment, das immerhin noch fast fünf Stun¬
den beansprucht. Stück und Aufführung sanken im Laufe dieser Zeit
in gleicher Linie vom frischen Anfang zum matten Ende. Auch der Er¬
folg folgte einer ähnlichen, nur am Schlusse wieder stärker ansteigen¬
den Kurve.
Für die Aerzte, für seine ehemaligen Berufskollegen, hat Arthur
Schnitzler immer etwas übrig. In seinen Dramen legt er darum
gern klugen Medizinern das Wort des Räsonneurs in den Mund.
Einer von ihnen sagt, im Schauspiel „Der Ruf des Lebens“, von
einem Leutnant, der sich nach der Schlacht, als einziger Ueber¬
lebender der blauen Kürassiere, erschossen hat: „Er wird vielleicht
der einzige sein, dessen Name bleiben wird, weil er nicht nur ein
Held, sondern auch eine Art von Narr gewesen ist. Solche Launen
hat der Ruhm.“
Heldentum, Narrentum — so heißt das Thema, das im „Jungen
Medardus“ wiederkehrt. Es liegt nun einmal tief in Schnitzlers
Natur begründet, daß er vor den großen Begriffen Liebe, Ehre,
Familie gern Ibsens Grüblerfrage stellt: Ist es wirklich groß, das
Große? Die Unwirklichkeit aller Erdenwerte, so heißt die Grund¬
lehre seiner Weltanschauung. Auch hinter das Wort: Heroismus
setzt sein skeptischer Sinn ein Fragezeichen.
Wenn ihm bei diesem Beginnen, wie dem Entgötterer des Helden¬
tums, wie Bernard Shaw, ein höhnisches Lächeln den Mund
umspielte, so wäre sein Werk, in der Stimmung unserer Tage,
schwerlich zu Ende gespielt worden. Doch Schnitzler prüft das
Problem ohne Spott, in nachdenklicher Ruhe. Ihm liegt nicht
viel daran, ein abschließendes Schlagwort zu finden. Was ist
Liebe, Ehre, Heldentum? Wie läßt sich das Verschwimmende for¬
mulieren? Ein Achselzucken ist die Antwort. Denn alle Grenzen
zerfließen vor dem Blick des Lebensphilosophen Schnitzler. Immer
wieder antwortet sein Paracelsus auf alle Fragen mit den pro¬
grammatischen Worten:
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns.
Wir spielen immer. Wer es weiß, ist klug
Das Leben ein Spiel. So heißt die Devise der Schnitzlerschen
Kunst. Kein Wunder, daß sie überall im Gefälligen triumphiert,
Wahe enediet
W=10. 1911
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ee
überall, wo die Geister der Ironie und der Melancholie sich ver¬
Leiche
mählen. Kein Wunder aber auch, daß sie bisher noch immer vor
ein an
den Aufgaben der Tragik versagen mußte.
tät.
befried
Leben
So waren auch die Hände des Dichters nicht stark genug, um
Vor
einen großen historischen Stoff zu packen. Die Erhebung des
Gebot
Jahres 1809 gegen Napoleon trägt das Heldentum des jungen
hat r
Medardus aufwärts, nach Treitschkes Zeugnis das schönste Jahr
nen.
der österreichischen Geschichte. In angeheurer, figurenreicher Breite
ins B
soll das Bild einer ganzen Stadt aufgerollt werden. Zwei Lebens¬
Sie be
kreise stehen im Vordergrunde, von der Welt abgrundtief geschieden,
Mang
vom Drama allzu gewaltsam verknüpft. Aus dem Kleinbürgertum
streun
stammt der frische Student Medardus, eines Sortimenters Sohn.
entlat
Zur höchsten Aristokratie gehört die Familie des französischen
die E
Emigranten und Thronprätendenten, des Herzogs von Valois. Als
der
Medardus eben ins Feld rücken will, den Franzosen entgegen,
Märty
ertränkt sich seine Schwester Agathe mit dem jungen Sohn des
Phrase
vertriebenen Herzogs, weil er sie nicht heiraten darf. Nun bleibt
Medardus in Wien, um der Selbstmörderin seltsame Rache zu
Im
bereiten. Die hochmütige Prinzessin Helene, des Herzogs Tochter,
im Ei
soll Agathes Schande teilen. Das tolle Unterfangen gelingt, aber
Roma
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nur zur Hälfte. Wohl erobert der Student, durch ein Duell in
seiner Haltung legitimiert, das Bett einer jungen Fürstin. Doch
Fühlu
von nun an ist sein Entschluß, anfangs so spannkräftig, gelähmt.
schauft
Als ein Verliebter wird er der Prinzessin hörig, und sie verwirrt
ihrer
Durie
sogar seinen Plan, Napoleon zu töten, indem sie verlangt, daß er
die Tat im Interesse ihres Hauses vollbringe. Aber auch die Prin¬
Kält
zessin, die Judiths Tat an dem Franzosenkaiser erproben will,
eine
erliegt einer lähmenden Gewalt. Sie wird Napoleons Geliebte,
hatte
und Medardus ersticht sie mit dem Dolche, der für den Eroberer
konnte
Wiens geschliffen ist. Im Kerker winkt ihm die Befreiung. Helden¬
Theodo
tum und Narrentum wirbeln durcheinander, und einen Augenblick
Nerver
lang glänzt Peter Schlemihls Nimbus um das Haupt des jungen
Schnitz
Studenten. Denn Helenes ursprüngliche Absichten gegen Napoleons
bacher
Leben sind entdeckt worden, und Medardus muß sich fast als
barsche
Erretter seines Todfeindes feiern lassen. Er rafft sich aus den
In der
Verlockungen auf und schreitet freiwillig, als sein eigener Ankläger,
Herzf
vor die Gewehre der Franzosen.
eigentli
Schnitzler war nicht gut beraten, als er dieses Werk gerade unserer
herauf
kriegerischen Gegenwart anvertraute. Im Anfang, beim Auszuge
Szene,
junger Soldaten, klingen zwar Töne an, die jedem Zuhörer jetzt in
gegeben
vertrauter Melodie schwingen. Aber der leise Zug zum Spiele¬
rischen ist uns nun verdächtiger als in friedlichen Tagen. „Gott wollte
ihn zum Helden schaffen, der Lauf der Dinge machte einen Narren
aus ihm“, so hält sein bester Freund dem Studenten Medardus die 1 al