II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 501

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Hus dem Kunstleben.
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Lessingtheater.
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Artur Schnitzler: „Der junge Medardus“.
Die fast fünfstündige Dauer dieser „Dramatischen Historic“
war nicht allein daran schuld, daß ihr eine tiefere Wirkung ver¬
sagt blieb. Schnitzler hat zwar mit geschicktem Griff einen dank¬
baren Stoff gewählt, der sich in Wien, auf dem Hinter¬
grunde des unglücklichen Krieges gegen Napoleon 1809, wirk¬
sam abheben kennte. Aber es fehlt gerade bei solchem Vor¬
wurf diesem feinen Künstler die fest zupackende Faust, der das
Wesentliche heraushebende Griff. Er sucht den geschichtlichen
Stoff durch Spannungen edler Art zu vertiefen, aus ver¬
borgenen Quellen strömen ihm die Geschehnisse, und mit liebe¬
vollem Blick sucht er durch Einfügung wertvoller Kleinmalerei
ein vielseitiges Zeitbild zu geben. Aber er verzweigt da, wo
er nur verästeln sollte. Er lost die kräftigen Akzente auf, indem
er die Grundtöne gedämpfter und ihre Aufeinanderfolge melodi¬
scher macht. Aber gerade in der heutigen Zeit ist unser Ohr
gewöhnt an schlichte und starke Töne, wir lieben das Ver¬
träumte nicht, und es scheint, daß für die Literatur der halben
Laute keine günstige Stunde ist.
Vielleicht hat indessen Schnitzler den Stoff weniger um
seines geschichtlichen Hintergrundes gewählt, obwohl er das
Stück gerade für das Jahr 1909, wenn ich nicht irre, ge¬
schrieben hatte, sondern weil ihm dieser junge Medardus so
recht „liegt“, einer jener problematischen Helden, deren Re¬
gungen man mehr ahnen als erkennen soll; nicht minder dessen
Gegenspielerin, die Prinzessin Helene von Valois, eine adel¬
stolze, gewalttätige und doch von leiser Edelfäule umwitterte
Schönheit. Beide ihrer Naturanlage nach trefflich geeignet
zu dem echt Schnitzlerschen Syiel amischen Tod und Liebe, die
er gern zusammen beim: Leben zu Gast kommen käßt. Thanalos
Eros feiern ihr erstes gemeinsames Fest bei den Ge¬
Snon Orroper 1914 — Nr. 514
Seie wal swenähe
schwistern der beiden, Francois und Agathe, die sich lieben
und gemei im in die Donau gehen, da die Schranken der Ge¬
burt sie trennen. Sie feiern ihr zweites Fest etwas umständ¬
licher bei diesen beiden, die nach kurzem Liebesrausch in den
Strudel der politischen Geschehnisse wild hineingerissen wer¬
den. Der Dolchstoß des jungen Medardus, der fur Napolcon
bestimmt war, trifft die Prinzessin, die den Kaiser gleichfalls
ermorden wollte. So ist Napoleon gerettet, und er will den
verhafteten Medardus begnadigen. Der aber weist diese Gnade
zurück und bekennt, daß sein Werkzeug dem Kaiser galt. Er
hat in diesem letzten Entschluß etwas von der Starrköpfigkeit
des Michael Kohlhaas, „dessen Rechtsgefühl einer Gold¬
wage glich“.
Es ist in der Charakterzeichnung viel zartes Filigran,
das leider in der Vergröberung durch das Bühnenlicht nicht
immer voll zur Geltung kommen kann. Auch ist die Zeit¬
stimmung gut getroffen, und wunderschön hebt sich die Lebens¬
und Liebeslust Altwiens aus den Bedrängnissen des politischen
Unglücks heraus. Aber wir sind nun einmal ernster in solchen
Dingen, namentlich hemte. Ein Held, der sich mit Taten
schminkt, aus Laune stirbt,
sagt uns so wenig zu wie des
Lebens Gebrochenheit und schwermütiges Verzichten.
Das
große Drama, das wir heute erleben, wirkt nun einmal stärker
als die bunte Traumbildnerei jungösterreichischer Sonder¬
kunst, die den Schleier so liebt, weil sie ihn braucht.
In einige Verlegenheit gerät der Berichterstatter, sobald
#i sich der Darstellung zuwendet. Mehr als sechzig Namen
zählt der Zettel auf = wohin mit dieser Armer um Mitter¬
nacht? In das enge Tor der Zeitungsspalte dürsen nur die
wenigsten noch zu kurzer Musterung hineingelassen werden:
Fräulein Lossen als Helene, hervorragend wie immer nur
für diese zusammengesetzte, hochmütig verschlagene Aristokratin
mit der leisen Edelfäule, zu rein, zu strahlend von wirklichem
Adel, zu sehr Juno Herr Loos verwirklicht mehr und mehr
die Hoffnungen, die wir seit zwei Jahren auf ihn setzen, gerade
so dämmerhafte, neuromantische, rätselvolle Gestalten wie dieser
junge Medardus gelingen ihm vortrefflich. Fräulein Ilka
Grüning war, wie zu erwarten, eine Frau Klähr wie von
Leibls Stift gezeichnet, wundervoll in der lebenswahren Klein¬
malerei und ergreifend in ihrem Schmerz. Herr Kayßler
als General Rapp männlich bedeutend, Herr Salfner als
aufrechter Bürgersmann und Märtyrer nicht minder. Mit
vieler Sorgfalt hatte die von Direktor Barnowsky geleitete
Darstellung sich der kleinen, sauber gezeichneten Charakter¬
rollen angenommen (Herr Herzberg, Adalbert u. a.).
Aber gerade dadurch entglitt der Ariadnefaden der Handlung
noch mehr den Händen der Aufmerkenden und es machte sich
einige Ermüdung geltend. Immerhin war die Aufnahme zum
Schluß freundlich, und der anwesende Dichter konnte für einen
Achtungserfolg danken.
Karl Strecker.
Zeitung: Berliner Morgenpest
Adresse: Berlin
Datum:
Theater, Kunftund)
Wissenschaff
Arthur Schnitzlers
Kriegsschauspiel.
„Der junge Medardus“ im Lessing.
theater.
Wenn Arthur Schnitzler schon vor fünf
Jahren diesen Ausflug in die Geschichte seiner
Wiener Heimat unternahm, so geschah es, zum
Teil vielleicht unbewußt, aus bestimmten öster¬
reichischen Stimmungen, deren Sinn wir jetzt erst
recht verstehen. Den „jungen Medardus“
könnte man als den Typus des Oesterreichertums
nehmen, wie es sich vor dem Kriege empfand:
eine Gestalt voll tapferer Anlagen, von Sehnsucht
erfüllt, sich großen Zielen und Gedanken hinzu¬
geben, doch unrettbar verstrickt in persönliche
Gefühlskonflikte zu schwach, um zur gewollten Tat
zu schreiten.
Eine „dramatische Historie“, nicht ein „histo¬
risches Drama“, hat der Dichter vorsichtig das
Werk genannt. Denn was sich abrollt, ist eine
Reihe
von Bildern aus dem
Jahre
1809, die mehr einen epischen Ablauf
als eine dramatische Verknüpfung zeigen.
Er ging dabei auch ganz wie ein Ro¬
mandichter vor, mit breit ausgemaltem Zeit¬
hintergrund aus dem zweiten Krieg Napoleons
gegen die Habsburger Monarchie, und mit einer
richtigen Romanhandlung, die sich davon abhebt.
Der Buchhändlerssohn Medardue Klär zieht nicht
in den Krieg gegen die Franzosen, weil ihn der
Selbstmord seiner Schwester aus dem Gleichge¬
wicht schleudert. Sie ging mit dem Sohn eines
französischen Royalisten in den Tod, der im
Wiener Exil lebte. Und weiter: Medardus führt
seinen Vorsatz, Napoleon zu ermorden, nicht aus,
weil er sich in eine Liebesaffäre mit der Schwester
dieses Aristokraten verwickelt und, da sie die Ge¬
liebte Napoleons geworden, nicht den Kaiser der
Franzosen, sondern die Ungetreue erdolcht.
Die bedeutsame Schlußszene aber bringt den
Umschwung. Medardus bekennt seine Absicht.
Er soll dennoch die Freiheit erlangen, wenn er
sein Wort gibt, Napoleon nicht mehr nach dem
Leben zu trachten. Er verweigert es. Und geht
ruhig in den Tod. Der junge Wiener Bürgers¬
sohn ist aus weichem Schwanken zu helden¬
mütiger Festigkeit erwacht. Wir nehmen auch
das heute als ein österreichisches Symbol.
Das alles erscheint bei Schnitzler frellich sehr
lose gefügt und nicht in einer innerlichen Not¬
wendigkeit aufgezeigt, sondern mehr von außen
in Bewegung gesetzt. Der Hauptreiz liegt in den
fast volksstückmäßig gehaltenen Szenen, die
Wiener Wesen unb Leben zur Zeit der Schlacht
bei Aspern schildern, und von denen gestern leider
bei den unvermeidlichen Streichungen des über¬
lang geratenen Schauspiels beträchtliche Teile
geopfert werden mußten. Was übrig blieb,
wirkte unmittelhar. Hier spürt man die Schnitz¬
lersche Kunst, Alltäglich=Bürgerliches mit leiser
Poesie zu füllen und menschliche Charaktere in¬
einander zu weben In der ausgezeichneten Regie
Barnowskis, die mit dem Riesenapparat per
sechzig redenden Personen (von der Statisterie zu
schweigen) spielend fertig wurde, und im Rahmen
von Karl Walsers liebenswürdigen Dekorationen
kam das sehr lebensvoll heraus. Die Herren Abel,
Salfner, Herzfeld, Adalbert, Gottowt, die Damen
Grüning und v. Hansen traten besonders hervor.
Bürgertypen der verschiedensten Sorte, Senti¬
mentales, Resolutes, Altväterisches, wie Vor¬
klänge von Waldmüllers Biedermeiern, Mensch¬
liches. Der Romanfigur der Prinzessin, von
Schnitzler zu sehr auf „dämonisches Weib“ hin
zugeschnitten, gab Lina Lossen ihre Schönheit
und ihr gebändigtes Gefühl. Medardus selbst
war Herr Loos. Er hat das Zeug zu dem
schlanken Burschen der von Stimn