II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 502


einander zu weben. In der ausgezeichneten Regie
Barnowskis, die mit dem Riesenapparat der
sechzig redenden Personen (von der Statisterie zu
schweigen) spielend fertig wurde, und im Rahmen
von Karl Walsers liebenswürdigen Dekorationen
kam das sehr lebensvoll heraus. Die Herren Abel,
Salfner, Herzfeld, Adalbert, Gottowt, die Damen
Grüning und v. Hansen traten besonders hervor.
Bürgertypen der verschiedensten Sorte, Senti¬
mentales, Resolutes, Altväterisches, wie Vor¬
klänge von Waldmüllers Biedermeiern, Mensch¬
liches. Der Romanfigur der Prinzessin, von
Schnitzler zu sehr auf „dämonisches Weib“ hin
zugeschnitten, gab Lina Lossen ihre Schönheit
und ihr gebändigtes Gefühl. Medardus selbst
war Herr Loos. Er hat das Zeug zu dem
schlanken Burschen, der von Stimmungen und
Erregungen, denen er nicht gewachsen, hin= und
hergezerrt wird. Was ihm freilich fehit, ist:
Glanz und echte Ueberzeugungskraft. Doch in
dem schönen Aufstieg der Schlußszene fand auch
er eine Haltung, die ergriff.
Max Osborn.
Zeitang. Deutsche Tages-Zeitung
(Morgen-Ausgabe)
Adresse: Berlin
25. 0KT7• 2
Datum:
GTRN
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den für Bonaparte bestimmten Dolch ins Herz der Dame
Der junge Medardus.
stößt, weil es ihn verdrießt, daß, bei Licht besehen, sie ihn zu:
Dramatische Historie von Arthur Schnitzler.
dem Anschlag bewogen hat, dann zerbricht alle Mühe¬
(Lessing=Theater.)
waltung des Psychologen und jeder Versuch zu feinziselierter.
Arbeit an der rauhen Grobheit der Geschehnisse. Aus dem
In der Gestalt des jungen Medardus wollte Schnitzler, wirr verzweigten, krampfhaft zusammengesuchten Durchein¬
wenn man seinen emsigen Interpreten trauen darf, den ander läßt sich keine ergreifende Seelentragödie aufbauen.
schwankenden Helden zeichnen, den Tatenlustigen, dessen Manchen klug erdachten Nebenfiguren des Schauspiels wohnt:
Hirn und Herz sich doch immer vor der Tat verwirrt und sie zwar nicht überzeugendes warmes Leben, aber doch Klugheit!
um ihren eigentlichen Inhalt, ihren Geist und Sinn bringt. der Erfindung inne, wie das bei Schnitzler oft der Fall ist.
Es hieße nun aber dem Verfasser einen Bärendienst er= Die von ihm ausgehenden Wirkungen verpuffen indes, weil!
weisen, wollte man den Maßstab des Problem= und Cha=ssie am Zentrum der Historie verloren gehen und immers
rakter=Dramas an sein ausgedehntes Stück legen. Das er=nur episodische Kraft haben.
trägt der windige Bau einfach nicht. Die Schicksale des
jungen Medardus, an sich leidlich interessant, wenn auch
Eine stolze Reihe starker schauspielerischer Kräfte stand
kaum sonderlich interessant geschildert, werden von anderen
dem Autor bei. Abgesehen von Theodor Loos, der dem
Begebenheiten so oft durchkreuzt, und um ihn zum Handeln
heillosen Medardus nicht beizukommen vermochte und ihn
zu bewegen, müssen sich so viele Nebenhandlungen abspielen,
halb zum Vorstadt=Apachen, halb zum winselnden Jammer¬
weib machte, trafen die Darsteller wohl fast alle Schnitzlers
daß die „dramatische Historie“ wie ein ungemein schwer=Absichten. Wundervoll stattete John Gottowt seinen
fälliges Uhrwerk anmutet, mit hundert Hebeln, Gewichten kuriosen Kauz von Arzt aus; neben ihn bestand in Ehren
und mehr künstlichen als kunstvollen Hemmungen.
[Max Landas blinder Herzog von Valois, der
Der wildgewordenen Phantasie Schnitzlers zu folgen, gläubig=stolze Thronwerber, dann Heinz Salf=
hält einigermaßen schwer. Von Rechts wegen gehört die Ge¬
ner als aufrechter Sattlermeister Eschenbacher, der
schichte, die er erzählt, auf die Flimmerwand eines Kino=jum einer Landkartensammlung willen den bittern
ladens am Gesundbrunnen. Erträglich wird sie stellenweise Tod erleiden muß. Auch Herr Abel zeichnete
nur durch etliche hübsche Worte, die dem vielbewanderten strefflich den scharfumrissenen Schattenriß eines philosophisch!
Anatole=Plauderer ja immer noch gelingen, und durch den abgeklärten, vom Lebensglück ausgeschlossenen getreuen
Bienenfleiß, der an die Wiedergabe des Wiener Lebens und Eckart nach. Die zahllosen Namen des umfangreichen Per¬
Denkens von 1809 gesetzt
nübrigen hat sonenverzeichnisses böten noch manchen Anlaß zu lobender
der Held Medardus wenig Verlockendes an sich. Erwähnung; leider war es gerade den Hauptträgern der ##
Er interessiert im Grunde so wenig, wie seine von einem Handlung — die sich durch 14 Bilder hinzieht! — nicht mög¬
schillernden jungen Emigranten=Herzog verführte Schwester, lich, entscheidend für den Sieg zu streiten. Weder Ilkaß
so wenig, wie die dämonische, nach der Krone Franskreichs be=[Grüning, die ihre anfangs gar zu stoische und lang¬
gierige Herzogin, die ihm ihre sich befremdlich äußernde Liebe weilige Mutter durch Schnitzlers Verschulden erst spät zu*
schenkt. Wenn Medardus sich am Ende zu einem Attentatl einiger Bewegung erwachen lassen durfte, noch die phan¬
auf Napoleon entschließt, um die frechen Uebergriffe und tastische Herzogin Helene (Lina Lossen) waren menschenmög¬
Gewalttätigkeiten des Eroberers zu bestrafen, und wenn erklich. Das Publikum verhielt sich im ganzen sehr kühl. Nur#
ein paarmal wagte sich lebhafter Beifall hervor, der leb¬
hafteste befremdlicherweise nach dem geschmacklosesten Bilde,
das bayrische Soldaten als Henkersknechte Napoleons zeigt.
Für solche Darbietungen ist die Zeit wenig, sehr wenig ge¬
eignet, und auch nur in Berlin kann jemand auf die Idee
kommen, das Jahr der großen, der erhabensten Einigung
Deutschlands durch solche Erinnerungen zu „schmücken“.
r.n.