II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 503

22. Derjunge Madandus
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Witz und Trauer, Romantik und Wirklichkeitsgetöse verhinderte Wiener Hamlet aber weiß en#
einänder gegenüber.
scheid, was es für ihn zu tun gilt, als sein O
Es sollie ein vielflächiges Werk werden voller brave Eschenbacher, erschossen wird.
Nun
Stimmungen, Bewegungsreize und hallender Gegen= den Dolch für Napoleon in der Tasche, um
ständlichkeit. Die Hauptmerkmale sind in einer sorg=doch — Helene, das Satansweib weil sie des
losen Kunst des Durcheinanderdrängens zu suchen.
kommt, zu erstechen. Die durch solche Zich
Ein Wandelpanorama von Einzelschicksalen und fraglich gewordene Heldenglorie versucht er
Massengefühlen, von Stadtimpressionen und zerrütte¬
Michael Kohlhaas heimlicher Entschlüsse zu
ten Häuslichkeiten, von Weltgeschichte und privater
gen. Er verschmäht die Begnadigung, die
Mitgenommenheit rollt aurgend, unruhig fesselnd, die das bloße Versprechen, undurchführbare Vors
Spannung zerstückelnd vorüber. Ein Szenarium von zugeben, sicher wäre. Napoleon, großmütig
so wandlungsreichem Charakter bestimmt auch die Bewunderung für den lapferen Jüngling,
Wege der Kritik. Anstatt ein Zentrum zu suchen, muß nicht durchsetzen, daß er am Leben bleibt.
sie aufzählen und aneinanderreihen und der Haupt¬
ihn totschießen lassen als „dieses Krieges letz
frage ausweichen, in welcher Idee das Werk gipfelt,
seltsamsten Helden“.
wo die Konflikte sich bäumen und widerstandslos mit¬
reißen.
Sonderbarerweise hat gerade dieser gesuch
Unwahrscheinlichkeiten hervorgequälte Schli
Es gibt viele dramatische Momente und noch viel Publikum gefallen, das zum ersten Male
mehr Figuren. Die den besten Eindruck machen, haben
eines langen Abends nach dem anwesenden
initt aus:
an der Verknüpfung der Ereignisse, an ihrer tragischen
verlangte. Im übrigen verhielt es sich geg
WlnCaug
Zuspitzung geringen Anteil. Es sind zumeist Bürger,
Werk kühl und manchmal auch ungnädig.
die mitreden, dabei sind und von Ungefähr hineinge¬
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TAGBLATT
Szenen im Freien und ein paar heitere Situ
zogen werden. Sie dringen mit ihrer Geschwatzigkeit,
erzeugten gelegentliche Erfolgstimmung.
mit ihrer Neugier ins Haus und bevölkern die Sträßen,
Daß es zu dieser zwischen Ablehnung und
lauern auf Spektakel, schüren die Angst, sind vorsich= esse schwankenden Aufnahme kam, liegt nicht
tig tavfer und noch rascher ins Schicksal ergeben, lauter lder sich dehnenden, die Wirkung zersprechendenD
Theater und Musik
echte Wiener, die der Dichter mit der ganzen Lust einer Es ist ein anderes Werk, dessen wesentlich
liebenswürdigen Ironie ins Gebet nimmt. Unter im Vorausgehenden skizzierte, und ein ander
Arthur Schnitzlers: „Der junge Medardus“
ihnen wandeln auch wertvolle, wie der kernige Humo= man zu sehen bekam. Gewiß waren dramat
—NN=Theater.
rist Eschenbacher, der das Wort Patriotismus auf den Eingriffe wichtig, und man hätte alle Ursache
Man sieht eine historische Tragödie in fünf Akten,
Lippen nicht feil hält, aber sich wegen einiger den klug und besonnen streichenven Rotstifte dan
Franzosen wichtiger Landkarten ohne ein Wörtchen des sein. Aber höchst gefährlich war der Umstat
und einem doppelszenigen Vorspiel. Ein richtiges'! Bedauerns totschießen läßt. Und einer der Merkwür=ldurch radikale Kürzungen sich die Dimensioner
Kriegsdrama: Ausmarsch von Kriegsfreiwilligen, Be= digsten ist ein uralter Herr, der überall herumstolziert, verschoben und die unnatürlichsten Partien ri
lagerung und Okkupation von Wien Unterzeichnung und Kanonenschüsse wie das Niesen eines Hundes be= die unechten Gestalten der Valojs in den Vorde
von Friedensakten. Ein Napoleonsstück aus Wiener! lächelt. Tod und Leben nunmehr wie aus der Vogel=kamen. Ihnen wurden Szenen auf der Baf
Tagen des Jahres 1809, das mit seinem Drum und
verspektive wahrnimmt. Und junge Mädchen wan¬
Dran, mit seinem Geschützendonner und dem Lebens¬
andere szenische Wertsachen geopfert, was di
deln bindurch, sterben an den Küssen eines Prinzen,
wandlung des immerhin durchwogien, mit 2
tumult einer bedrängten Stadt in unsere Zeitstim= oder hätscheln ihre unglückliche Liebe als Lazarett=und Sarkasmus geladenen Kriegsdramas
mung irgendwie hinempassen könnte.
Schnitzler hat seinen Medardus vor mehreren Jah¬
schwestern oder sind Luderchen, die es mit den Sie= Stuben= und Gartentragödie bedeutete. Die
gern halten.
#ren geschrieben, und es ist wahrhaftig kein Gelegen¬
Wirkung der schlichten Straßenszene, wie der
heitsstück. Etwa achtzig Personen treten auf neben
Quer durch diesen Bilderbogen von Altwien, das bacher in den Tod geführt wird, bewies, in
zum zweiten Male Napoleons Faust fühlt, zieht sich
den Ungezählten, die sich auf Basteien, auf Friedhöfen, ein Roman von Thronanwärtern, die den Namen
Richtung gesündigt wurde.
vor dem Schlosse in Schönbrunn und in den Straßen der Valois führen, groteske, aber ernst gemeinte
Davon abgesehen, soweit sich von einer
Schädigung des Gesamteindruckes absehen läßt,
Wiens drängen, auf Karren ihre Habseligkeiten in die Gespräche über den Sturz des Großen führen — ein von Barnowsky viel tüchtige und sehenswe
Stadt schleppen, die singen und wehklagen, Gerüchte Libretto von Intrigendrama, flach in der Psychologie, beit geleistet. Sehr sein geriet die Friedhofssze
verbreiten, den Trang und die Hitze bewegter Tage steif in den Handlungsmomenten, die bei jeder neuen welcher bitterer Humor der Trauer wich, um b
ausstrahlen. Mit auskolenden Kräften macht Schnitz= Siene frisch angekurbelt werden müssen. Haupt=ten scharfen Spannungsreizen abgelöst
ler einen Beutezug jenseits seiner angestammten Be¬i gestalt dabei ist die Prinzessin Helene, von Beruf Hier gab Lina Lossen eine herbe Musik
tirke. Der Dichter resignierter Wehmut, dessen beste
Waffen aus Witz und Fronie geschmiedet sind, sucht
dämonisches Weib. Bei Tag verlobt sie sich mit Ausdrucksformen, geriet aber später in eine steif
seinen Schatten zu überspringen Es dürstet ihn nach
einem Valois um der Krone Frankreichs willen, bei numentalität, der man keine Sinnlichkeit glaubt
dem stählernen Pathos einer Ausnahmsepoche, nach
Nacht buhlt sie mit dem jungen Medardus, den sie die um sie herumspielten, suchten durch eine nüc
dem Blutrausche einer Welttragödie
kühl und hart wie eine bleiche Gräfin vor Zeugen Sachlichkeit die Geister des Pathos zu verscheuch
verleugnet.
Es gibt einen Schnitzler, der im knappen Einakter¬
Einen guten Abend hatte Herr Loos der
Nun fiel auch der Name des Jünglings der die des Medardus, der den Jungling durch kr
rahmen seiner Komödie „Der grüne Kakadu“l Mission hat, Held der Dichtung zu sein. Aber wie Außenspiel und geheimnisvolle Innerlichkeit
vielstimmiges Gewirre zu fassen wußte. In frech ge=wird ihm? Wenn das Stück beginnt, zieht er in den alle Lügen seines Daseins zu steuern wußte.
schaute Zustandsbilder schäumt ein Gischtstreifen auf= Krieg, um des Vaters Tod zu rächen. Ein Unglücks-ihm fesselte Abel als eine Art Horatio, in
geregter Revolutionstage. Hier ist die Anknüpfung zu
wal
suchen. Der überlegene Schilderer einer außer Rand
sall, der Selbstmord seiner Schwester Agathe, die mit edel tönenden Freundschaftstönen. Leider hat
einem Valois ins Wasser ging, treibt ihn zurück, und
so viel Worte. Als Heldenmutter der Gefaßthei
und Band geratenen Gruppe hoffte sich für ausgrei=nun will er zunächst mit dessen hochmütiger Familie' sich Frau Grüning auf gemessener Höhe.
fende Tramatik reif geworden. Und glückhaft im ein= Gerichtstag halten. Es beginnt mit einem Wortduell den Wiener Figuren gefiel am besten Quido H
zelnen schleppt er Interessantes heran, schüttet Kräftel am Grabe und setzt sich mit Abenteuern im Schlaf=ffeld während die wirksamste dieser Nebenges
auf, schaukelt Schicksale, stellt Macht und Ohnmacht, gemach der Prinzessin fort. Der bald so, bald anders von Heinz Salfner zu nobel angefaßt wurd
das Sattlermeistergewerbe zugunsten der nebe
lichen Spinettliebhaberei in den Hintergrund dre
Auch Adalbert als Denunziant machte
und eine aparte Arztfigur brachte Gottowt
aller Delikatesse heraus. Ich erwähne noch
Hansen und Emmi v. Emmerin
genehme Vertreterinnen des weichen plauders
Wienertums, wozu sich sogar das sonst Urberling
der Frau Eberty bereit fand.
Schade, daß bei so viel gutem und wirks
Aufwand sich Barkowsky um ein paar
rigkeiten der Inszenierung gedrückt hat. Es hätt
Abend ganz anders ausfalten können.
Emil Fakt