II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 504

22. Derjunge Medandug
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Witz und Trauer, Romantik und Wirklichkeitsgetösel verhinderte Wiener Hamlet aber weiß endlich Be¬
einander gegenüber.
scheid, was es für ihn zu tun gilt, als sein Ohm, der
Es sollte ein vielflächiges Werk werden voller brave Eschenbacher, erschossen wird. Nun trägt er
Stimmungen, Bewegungsreize und hallender Gegen=den Dolch für Napoleon in der Tasche, um zuletzt
ständlichkeit. Die Hauptmerkmale sind in einer sorg=doch — Helene, das Satansweib weil sie des Weges
losen Kunst des Durcheinanderdrängens zu suchem kommt, zu erstechen. Die durch solche Zickzackwege
Ein Wandelpanorama von Einzelschicksalen und fraglich gewordene Heldenglorie versucht er nun als
Massengefühlen, von Stadtimpressionen und zerrütte¬
Michael Kohlhaas heimlicher Entschlüsse zu errin¬
ten Häuslichkeiten, von Weltgeschichte und privater
gen. Er verschmäht die Begnadigung, die ihm für
Mitgenommenheit rollt aurgend, unruhig fesselnd, die
das bloße Versprechen, undurchführbare Vorsätze auf¬
Spannung zerstückelnd vorüber. Ein Szenarium vonzugeben, sicher wäre. Napoleon, großmütig und voll¬
so wandlungsreichem Charakter bestimmt auch die Bewunderung für den tapferen Jüngling, kann es
Wege der Kritik. Anstatt ein Zentrum zu suchen, muß nicht durchsetzen, daß er am Leben bleibt. Er muß
sie aufzählen und aneinanderreihen und der Haupt¬
ihn totschießen lassen als „dieses Krieges letzten und
frage ausweichen in welcher Idee das Werk gipfelt,
seltsamsten Helden“.
wo die Konflikte sich bäumen und widerstandslos mit¬
reißen.
Sonderbarerweise hat gerade dieser gesuchte, aus
Unwahrscheinlichkeiten hervorgequälte Schluß dem
Es gibt viele dramatische Momente und noch viel Publikum gefallen, das zum ersten Male während
mehr Figuren. Die den besten Eindruck machen, haben eines langen Abends nach dem anwesenden Dichter
an der Verknüpfung der Ereignisse. an ihrer tragischen
Mt aus:
verlangte. Im übrigen verhielt es sich gegen das
Cna Caue
Zuspitzung geringen Anteil. Es sind zumeist Bürger,
Werk kühl und manchmal auch ungnädig. Bloß die
die mitreden, dabei ind und von Ungefähr hineinge¬
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Szenen im Freien und ein paar heitere Situationen
zogen werden. Sie dringen mit ihrer Geschwatzigkeit,
erzeugten gelegentliche Erfolgstimmung.
mit ihrer Neugier ins Haus und bevöllern die Straßen,
Daß es zu dieser zwischen Ablehnung und Inter¬
lauern auf Spektakel, schüren die Angst, sind vorsich¬
lesse schwankenden Aufnahme kam, liegt nicht bloß an
tig tapfer und noch rascher ins Schicksal ergeben lauter
der sich dehnenden, die Wirkung zersprechenden Dichtung,
echte Wiener, die der Dichter mit der ganzen Lust einer
Theater und Musik
Es ist ein anderes Werk, defsen wesentliche Züge ich
liebenswürdigen Ironie ins Gebet nimmt. Unter
im Vorausgehenden skizzierte und ein anderes, das
thur Schnitzlers: „Der junge Medardus“
ihnen wandeln auch wertvolle, wie der kernige Humo¬
man zu sehen bekam. Gewiß waren dramaturgische
—Theater.
rist Eschenbacher, der das Wort Patriotismus auf den Eingriffe wichtig, und man hätte alle Ursache einem
Lippen nicht feil hält, aber sich wegen einiger denkklug und besonnen streichenden Rotstifte dankbar zu
Man sieht eine historische Tragödie in fünf Akten,
Franzosen wichtiger Landkartei ohne ein Wörtchen des
einem doppelszenigen Vorspiel. Ein richtiges
sein. Aber höchst gefährlich war der Umstand, daß
Bedauerns totschießen läßt. Und einer der Merkwür¬
Kegsdrama: Ausmarsch von Kriegsfreiwilligen, Be¬
durch radikale Kürzungen sich die Dimensionen völlig
digsten ist ein uralter Herr, der überall herumstolziert, verschoben und die unnatürlichsten Partien rings um
erung und Okkupation von Wien, Unterzeichnung
und Kanonenschüsse wie das Niesen eines Hundes be¬l die unechten Gestalten der Valois in den Vordergrund
k Friedensakten Ein Napoleonsstück aus Wiener
lächelt. Tod und Leben nunmehr wie aus der Vogel=kamen. Ihnen wurden Szenen auf der Bastei und
gen des Jahres 1809, das mit seinem Drum und
verspektive wahrnimmt. Und junge Mädchen wan=andere szenische Wertsachen geopfert, was die Ver¬
kan, mit seinem Geschützendonner und dem Lebens¬
deln hindurch, sterben an den Küssen eines Prinzen, wandlung des immerhin durchwogten, mit Tumult
kult einer bedrängten Stadt in unsere Zeitstim¬
oder hätscheln ihre unglückliche Liebe als Lazarett¬
ng irgendwie hineinpassen könnte.
und Sarkasmus geladenen Kriegsdramas in eine
schwestern oder sind Luderchen, die es mit den Sie= Stuben= und Gartentragödie bedeutete. Die starke
Schnitzler hat seinen Medardus vor mehreren Jah=gern halten.
geschrieben, und es ist wahrhaftig kein Gelegen¬
Wirkung der schlichten Straßenszene, wie der Eschen¬
Quer durch diesen Bilderbogen von Altwien, das bacher in den Tod geführt wird, bewies, in welcher
sstück. Etwa achtzig Personen teöten auf neben
zum zweiten Male Napoleons Faust fühlt, zieht sich
Ungezählten, die sich auf Basteien, auf Friedhöfen,
Richtung gesündigt wurde.
ein Roman von Thronanwärtern, die den Namen
dem Schlosse in Schönbrunn und in den Straßen
Davon abgesehen, soweit sich von einer schweren
der Valois führen, groteske, aber ernst gemeinte
ens drängen, auf Karren ihre Habseligkeiten in die
Schädigung des Gesamteindruckes absehen läßt, wurde
Gespräche über den Stur; des Großen führen — ein von Barnowsky viel tüchtige und sehenswerte Ar¬
dt schleppen, die singen und wehklagen, Gerüchte
Libretto von Intrigendrama, flach in der Psychologie, beit geleistet. Sehr fein geriet die Friedhofsszene, in
kbreiten, den Drang und die Hitze bewegter Tage steif in den Handlungsmomenten, die bei jeder neuen welcher bitterer Humor der Trauer wich, um von sel¬
strahlen Mit ausholenden Kräften macht Schnitz= Siene frisch angekurbelt werden müssen. Haupt=ten scharfen Spannungsreizen abgelöst zu werden.
einen Beutezug jenseits seiner angestammten Be¬gestalt dabei ist die Prinzessin Helene, von Beruf Hier gab Lina Lossen eine herbe Musik knapper
Der Dichter resignierter Wehmut, dessen beste dämonisches Weib. Bei Tag verlobt sie sich mit Ausdrucksformen, geriet aber später in eine steife Mo¬
hffen aus Witz und Fronie geschmiedet sind, sucht
einem Valois um der Krone Frankreichs willen, bei numentalität, der man keine Sinnlichkeit glaubte. Und
hen Schatten zu überspringen Es dürstet ihn nach
Nacht buhlt sie mit dem jungen Medardus, den siel die um sie herumspielten, suchten durch eine nüchterne!
n stählernen Pathos einer Ausnahmsepoche, nach
kühl und hart wie eine bleiche Gräfin vor Zeugen Sachlichkeit die Geister des Pathos zu verscheuchen.
in Blutrausche einer Welttragödic.
verleugnet.
Es gibt einen Schnitzler der im knappen Einakter¬
Einen guten Abend hatte Herr Loos, der Spieler
Nun fiel auch der Name des Jünglings der die
des Medardus der den Jüngling durch kräftiges
hmen seiner Komödie „Der grüne Kakadu“] Mission hai, Held der Dichtung zu sein. Aber wie Außenspiel und geheimnisvolle Innerlichkeit durch
lstimmiges Gewirre zu fassen wußte. In frech ge=wird ihm? Wenn das Stück beginnt, zieht er in den
alle Lügen seines Daseins zu steuern wußte. Neben
aute Zustandsbilder schäumt ein Gischtstreifen auf= Krieg, um des Vaters Tod zu rächen. Ein Unglücks= ihm fesselte Abel als eine Art Horatio, mit warmen,
egter Revolutionstage. Hier ist die Anknüpfung zu
fall, der Selbstmord seiner Schwester Agathe, die mit edel tönenden Freundschaftstönen. Leider hat er gar
khen. Der überlegene Schilderer einer außer Rand einem Valois ins Wasser ging, treibt ihn zurück, und so viel Worte. Als Heldenmutter der Gefaßtheit hielt
5 Band geratenen Gruppe hoffte sich für ausgrei¬
nun will er zunächst mit dessen hochmütiger Familiel sich Frau Grüning auf gemessener Höhe. Unter
de Dramatik reif geworden. Und glückhaft im ein= Gerichtstag halten. Es beginnt mit einem Wortduelll den Wiener Figuren gefiel am besten Quido Herz¬
nen schleppt er Interessantes heran, schüttet Kräftel am Grabe und setzt sich mit Abenteuern im Schlaf=[feld, während die wirksamste dieser Nebengestalten
, schaukelt Schicksale, stellt Macht und Ohnmacht, gemach der Prinzessin fort. Der bald so, bald anders von Heinz Salfner zu nobel angefaßt wurde und
das Sattlermeistergewerbe zugunsten der nebensäche
lichen Spinettliebhaberei in den Hintergrund drängte.
Auch Adalbert als Denunziant machte Spaß,
und eine aparte Arztfigur brachte Gottowt mit
aller Delikatesse heraus. Ich erwähne noch Fri.
Hansen und Emmi v. Emmering als an¬
genehme Vertreterinnen des weichen, plauderseligen
Wienertums, wozu sich sogar das sonst Urberlinerische
der Frau Eberty bereit fand.
Schade, daß bei so viel gutem und wirksamem
Aufwand sich Barnowsky um ein paar Schwie¬
rigkeiten der Inszenierung gedrückt hat. Es hätte der
Abend ganz anders ausfallen können.
Emil Faktor.