II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 507

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22. Derjunge Medandus
Zeitung: Vossische Zeitung
(Morgen-Ausgabe)
Adresse: Berlin
Datum:
„Der junge Medardus.“
Arthur Schnitzlers Drama im Lessing=Theater.
Von einem jüngeren, bisher nur in Wien gespielten Werke Arthun
Schnitzlers konnte gestern, im Lessingtheater, nur ein Fragment dar¬
geboten werden. Ein Fragment, das immerhin noch fast fünf Stun¬
den beansprucht. Stück und Aufführung sanken im Laufe dieser Zeit
in gleicher Linie vom frischen Anfang zum matten Ende. Auch der Er¬
folg folgte einer ähnlichen, nur am Schlusse wieder stärker ansteigen¬
den Kurve.
Für die Aerzte, für seine ehemaligen Berufskollegen, hat Arthur
Schnitzier immer etwas übrig. In seinen Dramen legt er darum
gern klugen Medizinern das Wort des Räsonneurs in den Mund.
Einer von ihnen sagt, im Schauspiel „Der Ruf des Lebens“, von
einem Leutnant, der sich nach der Schlacht, als einziger Ueber¬
lebender der blauen Kürassiere, erschossen hat: „Er wird vielleicht
der einzige sein, dessen Name bleiben wird, weil er nicht nur ein
Held, sondern auch eine Art von Narr gewesen ist. Solche Launen
hat der Ruhm.“
Heldentum, Narrentum — so heißt das Thema, das im „Jungen
Medardus“ wiederkehrt. Es liegt nun einmal tief in Schnitzlers
Natur begründet, daß er vor den großen Begriffen Liebe, Ehre,
Familie gern Ibsens Grüblerfrage stellt: Ist es wirklich groß, das
Große? Die Unwirklichkeit aller Erdenwerte, so heißt die Grund¬
lehre seiner Weltanschauung. Auch hinter das Wort: Heroismus
setzt sein skeptischer Sinn ein Fragezeichen.
Wenn ihm bei diesem Beginnen, wie dem Entgötterer des Helden¬
tums, wie Bernard Shaw, ein höhnisches Lächeln den Mund
umspielte, so wäre sein Werk, in der Stimmung unserer Tage,
schwerlich zu Ende gespielt worden. Doch Schnitzler prüft das
Problem ohne Spott, in nachdenklicher Ruhe. Ihm liegt nicht
viel daran, ein abschließendes Schlagwort zu finden. Was ist
Liebe, Ehre, Heldentum? Wie läßt sich das Verschwimmende for¬
mulieren? Ein Achselzucken ist die Antwort. Denn alle Grenzen
zerfließen vor dem Blick des Lebensphilosophen Schnitzler. Immer
wieder antwortet sein Paracelsus auf alle Fragen mit den pro¬
grammatischen Worten:
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns.
Wir spielen immer. Wer es weiß, ist klug.
Das Leben ein Spiel. So heißt die Devise der Schnitzlerschen
Kunst. Kein Wunder, daß sie überall im Gefälligen triumphiert,
überall, wo die Geister der Ironie und der Melancholie sich ver¬
mählen. Kein Wunder aber auch, daß sie bisher noch immer vor
den Aufgaben der Tragik versagen mußte.
So waren auch die Hände des Dichters nicht stark genug, um
einen großen historischen Sto, zu packen. Die Erhebung des
Jahres 1809 gegen Napoleon trägt das Heldentum des jungen
Medardus aufwärts, nach Treitschkes Zeugnis das schönste Jahr
der österreichischen Geschichte. In ungeheurer, figurenreichet Breite
soll das Bild einer ganzen Stadt aufgerollt werden. Zwei Lebens¬
kreise stehen im Vordergrunde, von der Welt abgrundtief geschieden,
vom Drama allzu gewaltsam verknüpft. Aus dem Kleinbürgertum
stammt der frische Student Medardus, eines Sortimenters Sohn.
Zur höchsten Aristokratie gehört die Familie des französischen
Emigranten und Thronprätendenten, des Herzogs von Valois. Als
Medardus eben ins Feld rücken will, den Franzosen entgegen,
ertränkt sich seine Schwester Agathe mit dem jungen Sohn des
vertriebenen Herzogs, weil er sie nicht heiraten darf. Nun bleibt
Medardus in Wien, um der Selbstmörderin seltsame Rache zu
bereiten. Die hochmütige Prinzessin Helene, des Herzogs Tochter,
soll Agathes Schande teilen. Das tolle Unterfangen gelingt, aber
nur zur Hälfte. Wohl erobert der Student, durch ein Duell in
seiner Haltung legitimiert, das Bett einer jungen Fürstkn. Doch
von nun an ist sein Entschluß, anfangs so spannkräftig, gelähmt.
Als ein Verliebter wird er der Prinzessin hörig, und sie verwirrt
sogar seinen Plan, Napoleon zu töten, indem sie verlangt, daß er
die Tat im Interesse ihres Hauses vollbringe. Aber auch die Prin¬
zessin, die Judiths Tat an dem Franzosenkaiser erproben will,
erliegt einer lähmenden Gewalt. Sie wird Napoleons Geliebte,
und Medardus ersticht sie mit dem Dolche, der für den Eroberer