22. Der junge Medandus
Ausschnitt aue: Wiener Ibau 9
260KT 1974
vom:
Nud ern wird uns telegraphiert:
el „Der junge Medardus“
Kminneis Schmin
hurde gestern im Rssingtheater gegeben. Die bei¬
kahe fünfstündige Aufführung endigte erst gegen
Mitternacht. Der Verfasser war anwesend und
wurde am Schluß mehrmals gerufen. Das vom
Direktor Carnowsky stark zusammengestrichene
Stück erweckte Interesse, jedoch keine tiefere Anteil¬
nahme. Die Aufführung war sorgfältig vorbereiteh¬
Theodor Loos als Medardus, Lina Lossan all
Prinzeß Helene, Ilsa Grüning als Frau Klähr,
Salfasar als Eschenbacher dürfen besonders ge¬
nanntFrhen.
26. 0K1. 1944
Datum:
Aus den Berliner Theatern.
„Der junge Mehardus“ von Schnitzler im Lessing¬
theater.
Im Lelfingtheater ging am Sonnabend Arthur Schnitzlers
dramatischeistorie „Der junge Medardus“, die vor einer Reihe
von Jahrensihre Wiener=Uraufführung erlebte, erstmalig in Szene.
Das Stück errang, wie #ir den Berliner Kritiken entnehmen, einen
zwischen kühler Aufnahns und gegen den Schluß gesteigertem Interesse
schwankenden Erfolg. „Am meisten erwärmte man sich, wie das augen¬
blicklich ja nur natürlich ist, für die riegerischen Szenen des locker
gefügten, mehr romärhaften als dramatischen Wekks, dessen geschicht¬
lichen Hintergrund die Erhebung Oesterreichs gegen das Napoleonische
Joch, insbesondere die Schlachten von Aspern und Wagram, bilden.
Der Titelheld, der Buchhändlerssohn Medardus Klär, zieht mit
in den Befreiungskrieg, um den Selbstmord seiner Schwester, die mit
dem Sohn eines verbannten französischen Royalisten in den Tod ging,
zu rächen. Er hat dem korsischen Tyrannen den Tod geschworen, wird
aber in eine Liebschäft mit der Schwester des französischen Exilisten
verstrickt, die wiederum die Geliebte Napoleons wird, und erdolcht die
Ungetreue anstatt des verhaßten Feindes. Medardus wird, obwohl er
seine ursprüngliche Absicht bekennt, auf freiem Fuße belassen unter der
Bedingung, daß er Napoleon nicht mehr nach dem Leben trachtet. Da
er sich weigert, dies Versprechen abzugeben, wird er zum Tode ver¬
urteilt
Der Hauptreiz des Stücks liegt nicht in dieser mehr von außen
in Bewegung gesetzten als innerlicher Notwendigkeit entsprungenen
Handlung sondern in den realistischen Volksszenen, die das Leben und
Treiben des Alt=Wien jener großen Zeit schildern. Bei der Berliner
Aufführung hatte leider hier gerade der Regiestift Barnowskys
recht empfindlich eingegriffen, was freilich bei dem übermäßigen Um¬
fang des Werks notwendig war. Im übrigen stand die Aufführung
auf beinerkenswerter Höhe. Besonders gerühmt werden die herb=schöne
Vertreterin der weiblichen Hauptgestalt, Liu Lossen und Theodor
Loos, der den verträumt=grüblerischen Grundzug des Titelhelden,
dieses „Wiener Hamlet“ wie ihn Emil Faktor nennt, vorzüglich traf.
Unter den übrigen Darstellern ragte Ilka Grüning ais Mutter des
Medardus durch die schlichte Gestaltung ihrer Rolle hervor.
bos 27/2
Zeitung: Welt am Montag
Adresse: Berlin
Datum:
„Der junge Medardus.“
(Lessing=Theater.)
Diese nicht mehr ganz neue „dramatische Historie“ des Herrn
[Arthur Schnitzler ist schlechtweg ein dramatisierter Roman,
Erzählt wird die Geschichte von der unglücklichen Doppelliebschaft,
die sich zwischen den Geschwisterpaaren einer Wiener Kleinbürger¬
familie und der französischen Thronprätendentenfamilie des Herzogs
von Valois entspinnt und mit dem tragischen Untergang der vier
jungen Menschenkinder endet. Den farbigen Hintergrund bildet
Alt=Wien und die kriegerischen Ereignisse von 1809 bis zum
Frieden von Schönbrunn. Der junge Medardus, Sohn einer Buch¬
händlerswitwe, steht von seinem begeisterten Vorhaben, gegen
Napoleon ins Feld zu ziehen, ab, als man seine Schwester und
ihren Geliebten, den Prinzen von Valois, aus der Donau zieht,
in die der Adelsstolz des Herzogs und seiner hochmütigen Tochter,
die eine Mesalliance weit von sich weisen, das Paar getrieben.
Der Familienrache will sich Medardus nun weihen. Aber zwischen
ihm und der stolzen Prinzessin Helene, die sich am Grabe des er¬
trunkenen Paares begegnen, entwickelt sich eine wilde Liebes¬
leidenschaft. Sie jagt den jungen Medardus durch alle Höllen,
die der Zwiespalt zwischen Haß und Liebe zu entfachen vermag,
und reißt die kalt intrigierende, stolze Aristokratin in die Arme
des Bürgersohnes. Wie er aber das Gerücht vernimmt, das sie Napo¬
leons Maitresse nennt, ersticht sie der Rasende auf der Schlo߬
treppe von Schönbrunn in dem Augenblick, als sie zu dem
Cäsaren will, ihm den verborgenen Dolch ins Herz zu bohren.
Als ihn dann für diese Tat der Kaiser begnadigen will, der in¬
zwischen die Absicht der Prinzessin Valois erfahren, schreit der
junge Medardus heraus: daß er selbst ebenfalls den Kaiser habe
töten wollen. Und erzwingt so seine Erschießung. Dieser hero¬
rische Schluß stützt sich auf eine historische Begebenheit, die John
Holland Rose in seiner Napoleon=Biographie berichtet. In die
vierzehn Einzelbilder, welche die Historie veranschaulichen, hat der
Dichter eine reiche Fülle Alt=Wiener Volksleben, nächtlicher Schlo߬
garten=Romantik und kriegerischer Soldatenszenen getan. Dank
der geschickten Regie des Herrn Barnows¬i, der keinen Aufwand
gespart, ist das alles auch reichlich bunt und lebendig geworden.
Aber die Ueberfülle ermüdet, und diese Ermüdung wird noch ge¬
fördert durch eine papierne Sprache, welche diejenigen Szenen, die
nur auf dem Dialog stehen, großenteils unausstehlich macht. Der
Stil des flachen Konversationsromans, über den die Sprachkunst
des Dichters nur selten hinauskommt, bricht dem Ganzen den
Hals.
Daß der Dichter trotzdem einen Achtungserfolg errang, dankt#
er dem Regisseur sowie den erstklassigen Darstellern, die ihref
Kraft für das Experiment einsetzten. Theodor Loos gab sich
mit dem Medardus redliche Mühe. Die blonde Lina Lossen,
deren starke Innigkeit uns sonst bezaubert, kämpfte wacker mit der!
Rolle der schwarzhaarigen dämonischen Intrigantin Helene von
Valois. Heinz Salfner, Guido Herzfeld Alfred
Abel, John Gottowt,
Max Adalbert, Kurte
Goetz ließen eine bunte Gesellschaft heroischer und komischer
Bürgertypen lebendig werden, neben ihnen Ilka Grüning,
Irmgard v. Hansen, Senta Söneland, Paula
Eberty. Einen famosen Kammerzofen=Typ charakterisierte
Traute Duncke=Carlsen. Als blinder Herzog und Thron¬
prätendent war Max Landa gut in Maske und Spiel. Friedr.
[Kayßler aber lieh seine prachtvolle Heldenstimme dem Fran¬
zosengeneral Rapp. Auch alle übrigen Mitwirkenden bis zu den
kleinsten Chargen waren mit Geschick bei der Sache. So wurde
die Aufführung, trotz der Mängel des Stücks, ein Triumph der
Barnowskyschen Bühne.
Albert Weidner.
Ausschnitt aue: Wiener Ibau 9
260KT 1974
vom:
Nud ern wird uns telegraphiert:
el „Der junge Medardus“
Kminneis Schmin
hurde gestern im Rssingtheater gegeben. Die bei¬
kahe fünfstündige Aufführung endigte erst gegen
Mitternacht. Der Verfasser war anwesend und
wurde am Schluß mehrmals gerufen. Das vom
Direktor Carnowsky stark zusammengestrichene
Stück erweckte Interesse, jedoch keine tiefere Anteil¬
nahme. Die Aufführung war sorgfältig vorbereiteh¬
Theodor Loos als Medardus, Lina Lossan all
Prinzeß Helene, Ilsa Grüning als Frau Klähr,
Salfasar als Eschenbacher dürfen besonders ge¬
nanntFrhen.
26. 0K1. 1944
Datum:
Aus den Berliner Theatern.
„Der junge Mehardus“ von Schnitzler im Lessing¬
theater.
Im Lelfingtheater ging am Sonnabend Arthur Schnitzlers
dramatischeistorie „Der junge Medardus“, die vor einer Reihe
von Jahrensihre Wiener=Uraufführung erlebte, erstmalig in Szene.
Das Stück errang, wie #ir den Berliner Kritiken entnehmen, einen
zwischen kühler Aufnahns und gegen den Schluß gesteigertem Interesse
schwankenden Erfolg. „Am meisten erwärmte man sich, wie das augen¬
blicklich ja nur natürlich ist, für die riegerischen Szenen des locker
gefügten, mehr romärhaften als dramatischen Wekks, dessen geschicht¬
lichen Hintergrund die Erhebung Oesterreichs gegen das Napoleonische
Joch, insbesondere die Schlachten von Aspern und Wagram, bilden.
Der Titelheld, der Buchhändlerssohn Medardus Klär, zieht mit
in den Befreiungskrieg, um den Selbstmord seiner Schwester, die mit
dem Sohn eines verbannten französischen Royalisten in den Tod ging,
zu rächen. Er hat dem korsischen Tyrannen den Tod geschworen, wird
aber in eine Liebschäft mit der Schwester des französischen Exilisten
verstrickt, die wiederum die Geliebte Napoleons wird, und erdolcht die
Ungetreue anstatt des verhaßten Feindes. Medardus wird, obwohl er
seine ursprüngliche Absicht bekennt, auf freiem Fuße belassen unter der
Bedingung, daß er Napoleon nicht mehr nach dem Leben trachtet. Da
er sich weigert, dies Versprechen abzugeben, wird er zum Tode ver¬
urteilt
Der Hauptreiz des Stücks liegt nicht in dieser mehr von außen
in Bewegung gesetzten als innerlicher Notwendigkeit entsprungenen
Handlung sondern in den realistischen Volksszenen, die das Leben und
Treiben des Alt=Wien jener großen Zeit schildern. Bei der Berliner
Aufführung hatte leider hier gerade der Regiestift Barnowskys
recht empfindlich eingegriffen, was freilich bei dem übermäßigen Um¬
fang des Werks notwendig war. Im übrigen stand die Aufführung
auf beinerkenswerter Höhe. Besonders gerühmt werden die herb=schöne
Vertreterin der weiblichen Hauptgestalt, Liu Lossen und Theodor
Loos, der den verträumt=grüblerischen Grundzug des Titelhelden,
dieses „Wiener Hamlet“ wie ihn Emil Faktor nennt, vorzüglich traf.
Unter den übrigen Darstellern ragte Ilka Grüning ais Mutter des
Medardus durch die schlichte Gestaltung ihrer Rolle hervor.
bos 27/2
Zeitung: Welt am Montag
Adresse: Berlin
Datum:
„Der junge Medardus.“
(Lessing=Theater.)
Diese nicht mehr ganz neue „dramatische Historie“ des Herrn
[Arthur Schnitzler ist schlechtweg ein dramatisierter Roman,
Erzählt wird die Geschichte von der unglücklichen Doppelliebschaft,
die sich zwischen den Geschwisterpaaren einer Wiener Kleinbürger¬
familie und der französischen Thronprätendentenfamilie des Herzogs
von Valois entspinnt und mit dem tragischen Untergang der vier
jungen Menschenkinder endet. Den farbigen Hintergrund bildet
Alt=Wien und die kriegerischen Ereignisse von 1809 bis zum
Frieden von Schönbrunn. Der junge Medardus, Sohn einer Buch¬
händlerswitwe, steht von seinem begeisterten Vorhaben, gegen
Napoleon ins Feld zu ziehen, ab, als man seine Schwester und
ihren Geliebten, den Prinzen von Valois, aus der Donau zieht,
in die der Adelsstolz des Herzogs und seiner hochmütigen Tochter,
die eine Mesalliance weit von sich weisen, das Paar getrieben.
Der Familienrache will sich Medardus nun weihen. Aber zwischen
ihm und der stolzen Prinzessin Helene, die sich am Grabe des er¬
trunkenen Paares begegnen, entwickelt sich eine wilde Liebes¬
leidenschaft. Sie jagt den jungen Medardus durch alle Höllen,
die der Zwiespalt zwischen Haß und Liebe zu entfachen vermag,
und reißt die kalt intrigierende, stolze Aristokratin in die Arme
des Bürgersohnes. Wie er aber das Gerücht vernimmt, das sie Napo¬
leons Maitresse nennt, ersticht sie der Rasende auf der Schlo߬
treppe von Schönbrunn in dem Augenblick, als sie zu dem
Cäsaren will, ihm den verborgenen Dolch ins Herz zu bohren.
Als ihn dann für diese Tat der Kaiser begnadigen will, der in¬
zwischen die Absicht der Prinzessin Valois erfahren, schreit der
junge Medardus heraus: daß er selbst ebenfalls den Kaiser habe
töten wollen. Und erzwingt so seine Erschießung. Dieser hero¬
rische Schluß stützt sich auf eine historische Begebenheit, die John
Holland Rose in seiner Napoleon=Biographie berichtet. In die
vierzehn Einzelbilder, welche die Historie veranschaulichen, hat der
Dichter eine reiche Fülle Alt=Wiener Volksleben, nächtlicher Schlo߬
garten=Romantik und kriegerischer Soldatenszenen getan. Dank
der geschickten Regie des Herrn Barnows¬i, der keinen Aufwand
gespart, ist das alles auch reichlich bunt und lebendig geworden.
Aber die Ueberfülle ermüdet, und diese Ermüdung wird noch ge¬
fördert durch eine papierne Sprache, welche diejenigen Szenen, die
nur auf dem Dialog stehen, großenteils unausstehlich macht. Der
Stil des flachen Konversationsromans, über den die Sprachkunst
des Dichters nur selten hinauskommt, bricht dem Ganzen den
Hals.
Daß der Dichter trotzdem einen Achtungserfolg errang, dankt#
er dem Regisseur sowie den erstklassigen Darstellern, die ihref
Kraft für das Experiment einsetzten. Theodor Loos gab sich
mit dem Medardus redliche Mühe. Die blonde Lina Lossen,
deren starke Innigkeit uns sonst bezaubert, kämpfte wacker mit der!
Rolle der schwarzhaarigen dämonischen Intrigantin Helene von
Valois. Heinz Salfner, Guido Herzfeld Alfred
Abel, John Gottowt,
Max Adalbert, Kurte
Goetz ließen eine bunte Gesellschaft heroischer und komischer
Bürgertypen lebendig werden, neben ihnen Ilka Grüning,
Irmgard v. Hansen, Senta Söneland, Paula
Eberty. Einen famosen Kammerzofen=Typ charakterisierte
Traute Duncke=Carlsen. Als blinder Herzog und Thron¬
prätendent war Max Landa gut in Maske und Spiel. Friedr.
[Kayßler aber lieh seine prachtvolle Heldenstimme dem Fran¬
zosengeneral Rapp. Auch alle übrigen Mitwirkenden bis zu den
kleinsten Chargen waren mit Geschick bei der Sache. So wurde
die Aufführung, trotz der Mängel des Stücks, ein Triumph der
Barnowskyschen Bühne.
Albert Weidner.