22. Derjunge Madaraus
Zeitung: Neue Preussische Kreuz-Zeitung
(Abend-Ausgabe)
Adresse: Berlin
2.8,0K
Datum:
Lessing=Theater. Die Aufführung der dramatischen Historie
Der junge Medardus“ von Arthur Schnitzler
bedeutete eine Enttäuschung für die, die gekommen waren,
sich durch dramatische Werte aus dem Alltagsgetriebe in
reinere Höhen heben zu lassen. Was auch immer
redet
und geschrieben wird von dem ernsten Ton
einer Kunst die unsrer großen Zeit gerecht würde
in der Praxis des Theaterlebens stellt sich den Leuten von der
idealen Forderung eine unüberwindliche Mauer entgegen, hinter
der es eigen und seltsam zugeht. Schnitzlers Stück ist trotz eines
ernsten Untergrundes ebenso wenig der Macht dieser Tage ge¬
wachsen wie tausend zeitgenössische Possen. Ja, man empfindet
eine herzliche Langeweile bei den vierzehn Bildern, die viereinhalb
Stunden lang Auge und Ohr in Anspruch nehmen. Das Herz
aber bleibt ungetroffen, trotz reichlicher Sentimentalitätsmache,
Schnupftuchlyrik und angehender Filmdramatik. Ein unreises
Pärchen nimmt sich das Leben. Er ist ein Prinz aus dem Hause
Valois (die noch immer, trotz Bonapartes Kaisertum, nach Frank¬
reichs Thron gieren);
sie ein Wiener Bürgermädchen. Ihr
Bruder, der junge Medardus, will sich an der Schwester des
Prinzen, der hochmütigen Helene, rächen. Aber er gerät daber
ein ihre Liebesnetze, schwankt in den Niederungen sinnlicher Glut
und wilden Tyrannenhasses, wird von ihr klug zum Mörder
Napoleons gedungen, senkt aber schließlich doch den Dolch in das
Herz der treulosen Marquise, die Napoleons Geliebte sein soll.
Der Dichter phantasiert viel von dem „edlen Kaiser der Frau¬
zosen“, läßt ihm begeisterte Huldigungen der Wiener Bürger dar¬
bringen und findet keinen bessern Helden für sein Stück, als diesen
haltlosen törichten Burschen Medardus. Denn daß auch nur ein
Lichtgedanke den langen Wortschwall durchzuckte, daß auch nur
ein echtes Menschentum, wie wir es jetzt von Dichtern verlangen
müssen, in diesem historisch=sentimentalen Bilderbogen gezeigt
würde — das wäre zu viel behauptet. Gewiß ist der Wiener
Lokalton gut getroffen. Aber das reicht nicht hin, um eine Dich¬
tung zu erfüllen. Die Langeweile lag lahmend auf den Zu¬
schauern, die die meisten Bilder schweigend und gleichgültig auf¬
nahmen. Gespielt wurde unter der Regie Viktor Barnowskys
ganz vortrefflich. Ilka Grüning als Mutter Theodor Loos als
Medardus, Lina Lossen als Heiene und Alfred Abel als Etzelt
bemühten sich, blutvolle Menschen aus dem kargen Sinn zu
schälen.
Ds.
box 27/2
zeuung: Liee La#lase #r
Adresse: Cjeltiin
2 6. 0KT. 1914
Datum:
Lessing=Theater. Zum ersten Male: Der junge Me¬
kardus. Dramatische Historie von Axthur Schnitzler.
Det bliebte Wiener Novellist und Dramatiker hat hier die
beiden hets#nen des unglücklichen Nüxnberger Buchhändlers Palm
und desfachtsehnjährigen JünglingsFriedrich Staps aus Naum¬
burg gü einer Gestalt verschmolzen. Wir befinden uns in dem
Wien des Jahres 1809. Zahlreiche Männer sind zu den Waffen
geeilt. Auch Medardus Klär, der Sohn einer Buchhändlerswitwe.
Aber noch andere sind da, die den großen Korsen hassen. Da ist
besonders die Familie der Valois. Die Tochter Helene läßt den
Medardus, wegen einer Beleidigung am Grabe seiner Schwester,
zum Duell fordern. Medardus wird dabei verwundet, fühlt sich
aber doch durch eine sentimentale Liebe zu dieser Helene hinge¬
zogen. Auch sie zeigt eine gewisse Neigung zu ihm, weil sie in
ihm das Werkzeug zu ihren Plänen gegen Napoleon erblickt. Um
den Kaiser ganz sicher zu machen, läßt sie sogar das Gerücht ver¬
breiten, daß sie eine Liebschaft mit Napoleon habe. Medardus,
darüber empört, ersticht sie. Erst im Gefängnis erfährt er, daß
er dem Kaiser das Leben gerettet habe, weil die Markise von
Valois in der Absicht gekommen war, Napoleon zu ermorden.
Aber er weist die ihm angebotene Belohnung nicht nur zurück,
sondern versichert, daß er, freigelassen, auf jede Weise versuchen
würde, ein Attentat gegen Napoleon durchzuführen. Im Gang
der Ereignisse ist sein Charakter geläutert und gestählt worden,
er geht ruhigem Herzens in den Tod. Leider kommt erst in dem
letzten der vierzehn Bilder der Sinn des Ganzen dem Zuschauer
zum Bewußtsein. Der dramatische Nerv fehlt durchaus. Theo¬
dor Loos gab dem Medardus treffend die weichen, erst zuletzt
sich erhärtenden Töne, und Lina Lossen war als Helene von
Valois die berechnende, immer ihr politisches Ziel im Auge be¬
haltende Geliebte. Ilka Grüning schuf in der Witwe Klär
eine ihrer ausgezeichneten Frauengestellen, und Heinz Salf¬
ner war ein tüchtiger Saltlermeister Eschenbacher, der trotz seines
nervösen Kopfzuckens fest in den Tod zu gehen versteht.
Alfred Abel sei als getreuer Geschäftsleiter der Buchhand¬
lung hervorgehoben, ebenso Max Landa als adelstolzer blin¬
der Valois, besonders aber Friedrich Kayßler, der in
seinem General Rapp eine Gestalt wie aus Eisen auf die Bühne
stellte. Die Inszenierung Victor Barnowsky war vor¬
trefflich, wenn auch die gebotenen Bilder teilweise zu sehr nach
Sczessionaussahen.
Zeitung: Neue Preussische Kreuz-Zeitung
(Abend-Ausgabe)
Adresse: Berlin
2.8,0K
Datum:
Lessing=Theater. Die Aufführung der dramatischen Historie
Der junge Medardus“ von Arthur Schnitzler
bedeutete eine Enttäuschung für die, die gekommen waren,
sich durch dramatische Werte aus dem Alltagsgetriebe in
reinere Höhen heben zu lassen. Was auch immer
redet
und geschrieben wird von dem ernsten Ton
einer Kunst die unsrer großen Zeit gerecht würde
in der Praxis des Theaterlebens stellt sich den Leuten von der
idealen Forderung eine unüberwindliche Mauer entgegen, hinter
der es eigen und seltsam zugeht. Schnitzlers Stück ist trotz eines
ernsten Untergrundes ebenso wenig der Macht dieser Tage ge¬
wachsen wie tausend zeitgenössische Possen. Ja, man empfindet
eine herzliche Langeweile bei den vierzehn Bildern, die viereinhalb
Stunden lang Auge und Ohr in Anspruch nehmen. Das Herz
aber bleibt ungetroffen, trotz reichlicher Sentimentalitätsmache,
Schnupftuchlyrik und angehender Filmdramatik. Ein unreises
Pärchen nimmt sich das Leben. Er ist ein Prinz aus dem Hause
Valois (die noch immer, trotz Bonapartes Kaisertum, nach Frank¬
reichs Thron gieren);
sie ein Wiener Bürgermädchen. Ihr
Bruder, der junge Medardus, will sich an der Schwester des
Prinzen, der hochmütigen Helene, rächen. Aber er gerät daber
ein ihre Liebesnetze, schwankt in den Niederungen sinnlicher Glut
und wilden Tyrannenhasses, wird von ihr klug zum Mörder
Napoleons gedungen, senkt aber schließlich doch den Dolch in das
Herz der treulosen Marquise, die Napoleons Geliebte sein soll.
Der Dichter phantasiert viel von dem „edlen Kaiser der Frau¬
zosen“, läßt ihm begeisterte Huldigungen der Wiener Bürger dar¬
bringen und findet keinen bessern Helden für sein Stück, als diesen
haltlosen törichten Burschen Medardus. Denn daß auch nur ein
Lichtgedanke den langen Wortschwall durchzuckte, daß auch nur
ein echtes Menschentum, wie wir es jetzt von Dichtern verlangen
müssen, in diesem historisch=sentimentalen Bilderbogen gezeigt
würde — das wäre zu viel behauptet. Gewiß ist der Wiener
Lokalton gut getroffen. Aber das reicht nicht hin, um eine Dich¬
tung zu erfüllen. Die Langeweile lag lahmend auf den Zu¬
schauern, die die meisten Bilder schweigend und gleichgültig auf¬
nahmen. Gespielt wurde unter der Regie Viktor Barnowskys
ganz vortrefflich. Ilka Grüning als Mutter Theodor Loos als
Medardus, Lina Lossen als Heiene und Alfred Abel als Etzelt
bemühten sich, blutvolle Menschen aus dem kargen Sinn zu
schälen.
Ds.
box 27/2
zeuung: Liee La#lase #r
Adresse: Cjeltiin
2 6. 0KT. 1914
Datum:
Lessing=Theater. Zum ersten Male: Der junge Me¬
kardus. Dramatische Historie von Axthur Schnitzler.
Det bliebte Wiener Novellist und Dramatiker hat hier die
beiden hets#nen des unglücklichen Nüxnberger Buchhändlers Palm
und desfachtsehnjährigen JünglingsFriedrich Staps aus Naum¬
burg gü einer Gestalt verschmolzen. Wir befinden uns in dem
Wien des Jahres 1809. Zahlreiche Männer sind zu den Waffen
geeilt. Auch Medardus Klär, der Sohn einer Buchhändlerswitwe.
Aber noch andere sind da, die den großen Korsen hassen. Da ist
besonders die Familie der Valois. Die Tochter Helene läßt den
Medardus, wegen einer Beleidigung am Grabe seiner Schwester,
zum Duell fordern. Medardus wird dabei verwundet, fühlt sich
aber doch durch eine sentimentale Liebe zu dieser Helene hinge¬
zogen. Auch sie zeigt eine gewisse Neigung zu ihm, weil sie in
ihm das Werkzeug zu ihren Plänen gegen Napoleon erblickt. Um
den Kaiser ganz sicher zu machen, läßt sie sogar das Gerücht ver¬
breiten, daß sie eine Liebschaft mit Napoleon habe. Medardus,
darüber empört, ersticht sie. Erst im Gefängnis erfährt er, daß
er dem Kaiser das Leben gerettet habe, weil die Markise von
Valois in der Absicht gekommen war, Napoleon zu ermorden.
Aber er weist die ihm angebotene Belohnung nicht nur zurück,
sondern versichert, daß er, freigelassen, auf jede Weise versuchen
würde, ein Attentat gegen Napoleon durchzuführen. Im Gang
der Ereignisse ist sein Charakter geläutert und gestählt worden,
er geht ruhigem Herzens in den Tod. Leider kommt erst in dem
letzten der vierzehn Bilder der Sinn des Ganzen dem Zuschauer
zum Bewußtsein. Der dramatische Nerv fehlt durchaus. Theo¬
dor Loos gab dem Medardus treffend die weichen, erst zuletzt
sich erhärtenden Töne, und Lina Lossen war als Helene von
Valois die berechnende, immer ihr politisches Ziel im Auge be¬
haltende Geliebte. Ilka Grüning schuf in der Witwe Klär
eine ihrer ausgezeichneten Frauengestellen, und Heinz Salf¬
ner war ein tüchtiger Saltlermeister Eschenbacher, der trotz seines
nervösen Kopfzuckens fest in den Tod zu gehen versteht.
Alfred Abel sei als getreuer Geschäftsleiter der Buchhand¬
lung hervorgehoben, ebenso Max Landa als adelstolzer blin¬
der Valois, besonders aber Friedrich Kayßler, der in
seinem General Rapp eine Gestalt wie aus Eisen auf die Bühne
stellte. Die Inszenierung Victor Barnowsky war vor¬
trefflich, wenn auch die gebotenen Bilder teilweise zu sehr nach
Sczessionaussahen.