II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 520

22. Derjunge -Madandus
Zeiung: Ostsee-Zeitung
Adresse: Stettin
26, 0KT.1974
Datum:
Berliner Erstaufführung.
Aus Berlin wird uns geschrieben: Das schon vor Jahren
entstandene und) wiederholt aufgeführte Drama „Der junge
Medardus“ voy Artur Schnitzler wurde am Sonnabend
in Berlin, trotzden de in das Jahr 1809, in die Zeit des zweiten
Einzugs Napin Wien verlegte, sehr umständliche Hand¬
lung der St
uing der Stünde sehr entgegenzukommen schien,
mit viel geringerer Wärmelausgenommen, als bei seiner Wiener
Uraufführung. Das Lestngtheater hatte diesen dickbändigen ver¬
kappten Roman, den Schnitzler selbst eine „dramatische Historie
in einem Vorspiel und Fünf Aklen“ nennt, sehr wesentlich zu¬
sammengestrichen und auch von den etwa hundert Personen, die
da auftreten sollen, eine ganze Schar geopfert. Dennoch währte
die Aufführung von 7 Uhr bis gegen Mitternacht, und es schälte
sich, dem wütenden Blaustift zum Trotz, doch kein klarer und kein
fester Kern heraus. Gar zu kraus sind die Schicksale der Bürger
Wiens, mit denen der Familie des närrischen Herzogs von Valo=s
versirickt, der seine schwach begründeten Ansprüche auf die Krone
Frankreichs gegen einen Bonaparte behaupten will. Eine allzu
weichliche Romantik drängt sich in das eiserne Regiment Napo¬
leons, der in einer opernhaft aufgebauten Schönbrunner Szene
beinahe in Person erscheint. Gar zu widerspruchsvoll ist diese
Herzogstochter, die selbst am Grabe ihres Bruders, der mit einem
Bürgermädchen den Tod gesucht hat, starr und stolz einen so
kleinen Selbstmord hoffnungsloser Liebe gegen die Erhabenheit
der Thronansprüche ihres Geschlechts abwägt und gleich darauf
nach einem von ihr selbst entfesselten Theaterduell ihres Bewer¬
bers gegen den achtungheischenden Bruder der Toten, diesen
Bruder, Medardus, in ihre Nähe lockt und in wilder Leidenschaft
gefangen hält. Am widerspruchsvollsten ist
aber Medardus
selbst, der seinen Napoleonhaß an der Bahre der Schwester sofort
vergißt, sehr unklare Rachegedanken hegt, diese in den Armen der
Prinzessin bald aufgibt, bald wieder hochflackern läßt, den gegen
Napoleon gezückten Dolch in plötzlicher Eifersucht der Geliebten
ins Herz stößt. Noch in seiner letzten Stunde weiß er selbst nicht
recht und läßt er auch uns im Zweifel barüber, ob sein gegen die
Gnade Napoleons ertrotzter Opfertod dem Vaterlande (dem er
nicht nützen kann) oder der erotischen Enttäuschung eines Jüng¬
lings galt, der immer mit seinem Leben gespielt hat. Die mit
größter Sorgfali vorbereitete und im ganzen vortroffliche Auf¬
führung konnte die Verschwommenheit und Zwitterhaftigkeit der
Dichtung nicht überwinden und trug dem anwesenden Poeten erst
am Schlusse den Beifall seiner Freunde ein, die ihn begrüßen
wollten.
Zeitung: Rostocker Anzeiger
Aaresse: Rostock 27. OKL 1944
Datum:
Berliner Erstaufführung. Aus Berlin wird uns
geschrieber:. Das schon vor Jahren entstandene und
wiederholt, ausgeführte Drama „Der junge
Medardu von Arthur Schnitzler wurde
am Somkabend am Lessing=Theater, trotzdem die in
die Zeik des zweiten Einzugs Napoleons in Wien
verlegte, sehr umständliche Handlung der Stimmung
der Stunde sehr entgegenzukommen schien, mit viel
geringerer Wärme ausgenommen, als bei seiner
Wiener Aufführung. Die mit größter Sorgfalt vor¬
bereitete und im ganzen vortreffliche Aufführung
konnte die Verschwommenheit der Dichtung nicht
überwinden und trug dem anwesenden Poeten erst
am Schlusse den Beifall seiner Freunde ein.
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[Der junge Medardus.] Aus Berlin wird uns geschriebell:
Das schon vor Jahren entstandene und wiederholt aufgeführte Drama
Der junge Medardus von Artur Schnitzler wurde dieser Tage
hier, trotzdem die in das Jahr 1809, in die Zeit des zweiten Einzugs
Napoleons in Wien verlegte Handlung der Stimmung der Stunde sehr
entgegenzukommen schien, mit geringerer Wärme aufgenommen, als bei
seiner Wiener Uraufführung. Das Lessingtheater hatte diesen dicbän¬
digen verkappten Roman, den Schnitzler selbst eine „dramatische Historle
in einem Vorspiel und fünf Akten“ nennt, wefentlich zusammengestrichen
und auch von den etwa hundert Personen, die da auftreten sollen, eine
ganze Schar geopfert. Dennoch währte die Aufführung von 7 Uhr bis
gegen Mitternacht, und es schälte sich, dem wütenden Blaustift zum
Trotz, doch kein klarer und fester Kern heraus. Gar zu kraus sind die
Schicksale der Bürger Wiens mit denen der Familie des närrischen Her¬
zogs von Valois verstrickt, der seine schwach begründeten Ansprüche auf
die Krone Frankreichs gegen einen Bonaparte behaupten will. Eine
allzu weichliche Romantik drängt sich in das eiserne Regiment Napo¬

vom: 270K11914“
Aeee Atllig,
Theaker und Musik.
Bekliner Theater. — Der junge Medardus, von Artur
Echnigler.
*. Etwas spät kommt das historische Stllck des istereichischen Dichters,
das schon vor mehrern Jahren in Wien aufgeführt wurde, nach Berlin.
Die Theaterleiter müssen wohl ihre begründeten Bedenken gehabt haben,
und einen rechten Erfolg stellte die Berliner Erstaufführung am
Samstag den 24. im Lessingtheater nicht dar. Das Publikum.
folgte der 4½ Stunden währenden Aufführung mit sichtlicher Ermüdung,
und das Interesse am Stück war sehr gering, bis am Schluß einige leb¬
hafte Szenen doch Aufmerksamkeit und Beifall erzwangen, so daß man
von einer ziemlich günstigen Aufnahme sprechen kann. Dabei hatte die
Spielleitung durch im ganzen recht verständige Kürzungen noch dafür
gesorgt, den Umfang des Stückes zu vermindern, und wären nur die
Dekorationen etwas besser und nicht gar so ärmlich gewesen, so hätte
man mit der Aufführung als solcher zufrieden sein können. Aber es
liegen eben in dem Stück selbst Schwächen, die nicht zu überwinden
sind und die eine nachhaltige Wirkung dauernd ausschließen. Schnitzler,
der unsern Bühnen geistreiche und selbst bedeutende Stücke geliefert hat,
wollte in dem jungen Medardus einen Helden, den österreichischen
Bürgerssohn von 1809, geben, aber einen Helden schaffen, geht über
Schnitzlers Können; er kann es nicht, und wenn er sich noch so sehr an¬
strengt (er hat uns das auch noch mit dem „Professor Bernhardi“ be¬
wiesen). So ist aus dem Ganzen ein Riesen=Freskogemälde des Wiener
Bürgertums von 1809 geworden, eine dramatische Historie in einem
Vorspiel und fünf Aufzügen, in der etwa 70 Personen auftreten, und
deren ungekürzte Aufführung sicher gegen sechs Stunden beanspruchen
dürfte. Die Regie Viktor Barnowskys im Lessingtheater hatte daraus
vernünftigerweise 14 Bilder gemacht, aber auch so wirkt die Handlung
sehr schleppend. Die technischen Fehler des Stückes sind so, daß sie
selbst einem Anfänger in die Augen springen müßten. Ihr größter ist
diese Geschichte mit der französischen Emigranten= und Prätendenten¬
samilie, den Valois, die in Wien auf einem alten Schloß sitzen, und in
deren dämonische Tochter Helene sich der junge Medgrdus Klähr verliebt
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und an der er schließlich zugrunde geht. Alles an dieser Geschichte ist
unwahr, unglaubhaft, und in einem so gespreizten Ton gehalten, daß der
Zuschauer nicht mitgeht. Medardus ist hier weiter nichts als der verliebte
junge Wiener, den Schnitzler in andern Stücken und Novellen unendlich
besser geschildert hat. Das eigentliche Dramatische jener Tage in Wien.
die Schlacht von Aspern, mit all ihren Hoffnungen, Befürchtungen und
Aussichten, geht ganz im Hintergrund vor sich; von ihr erfahren wir
wenig. Statt dessen schwatzen und reden die Bürger, verarbeiter
Schnitzler historische Erinnerungen an den erschossenen Buchhändler
Palm, an Friedrich Staps, und macht aus dem Ganzen, wie er sagt,
eine „Historie“. Aber die Historie ist nicht dramatisch genug, und dos
Drama nicht interessant genug. Daß manches in den Einzelheiten trotz¬
dem vorzüglich ist, ist bei Schnitzler kein Wunder. In der Charakteristil
sind ihm zwei sehr gute Figuren gekungen; besser als der Brausekopf
Medardus ist seine Mutter, die Buchhändlerswitwe Klähr, und vor
allem ihr Bruder, der Sattlermeister Eschenbacher, der am Schluß,
weil er einen verbotenen Atlas aufbewahet, erschossen wird. Dieser
Sattlermeister fand in der Aufführung durch Herrn Heinz Salfner eine
sehr gute Vertretung; noch besser war freilich der Geschäftsführer Karl
Etzelt, den Alfred Abel spielte. Herr Theodor Loos gab den jungen
Medardus nicht ohne Geschicklichkeit, ohne ihn uns ganz glaubhaft zu
machen, während seine Mutter, die vortreffliche Ilka Grüning, ihre
Rolle etwas kalt spiekte. Von der französischen Gruppe zeichnete sich am
meisten aus Lina Lossen als Prinzessin Helene von Valois; sie bemühte
sich, die Alnnatur wenigstens durch etwas Temperament abzuschwächen.
Das Publimm, wie erwähnt, blieb dem Stück gegenüber im gangen PähL