box 27/2
22. Derjunge Medandug
Zeitung
Zeitung: Frankfurter
(bend-Alsgabe) ie
Adresser Frankfurt a. M.
26. 0kr. 1914
Datum:
Suen
MATR
n
Man findet den Denker Schnitzler in der „Historie vom
Berliner Theater.
jungen Medardus“ wieder, und er ist reich geblieben und bietet
neue Edelmünze. Doch will sie erspürt sein. Man kann den
Lessing=Theater: „Der junge Medardus“,
„jungen Medardus“ auf der Bühne sehen und von dem
Dramatische Historie von Arthur Schnitzler.
ewesentlichen Gehalt der Historie nichts, oder doch beinahe
nichts, gewahren.
Berlin, 25. Oktober.
„Eins Jugend leuchtet dunkelglühend auf — und im Dunst
Ich bin mir zweifelhaft, ob sich Schnitzler der ungeheuren
deiner Alternden Jahre siehst du nur ihren trüben Flacker¬
Schwierigkeit, seine Gedanken, diese psychologisch überspitzten
scheine! Viel tiefer, als es den Anschein gewinnt, hat sich
Spekulationen, in dramatische Dichtung umzusetzen, überhaupt
Arthür Schnitzler in seiner dramatischen Historie „Der
bewußt geworden ist. In alter Bühnenpraxis ist das Wort
junge Medardus“ wiederum in Gedankenland hineinge¬
Vehikel für die Tat: seine Fahrt aber galt der Zerstörung
wagt: je lieber uns der Denker Schnitzler, ein Deuter unserer
des Wagens. Und schlimmer noch waren die Hemmungen, die
nur geahnten Gedanken, damit wird, umso schmerzlicher ver¬
ihm in seiner eigenen Brust entgegenstanden, Aus der Schule
lieren wir den Dichter Schnitzler.
des Realismus, des wortskeptischen, ist Schnitzler, sind wir alle
„Der junge Medardus“, und über dieser Jugend sollte
mehr oder weniger hervorgegangen. In der Tragövie des
es leuchten. Was ist Jugend? Wortseligkeit und Wort¬
Wortes aber mußte das Wort als solches jung und leuchtend
befangenheit zugleich; wie dem Mannesalter die Tat, so ge¬
und meteorgleich aufgehen, um dann ein feuriger Widerschein
hört ihr das Wort. Dem Wortschwarmer Medardus tritt der
im Meer der kalten Wahrheit zu versinken. Das aber ist bei
wackere Sattlermeister Eschenbacher gegenüber, der Wortver¬
Schnitzler nicht der Fall, dies Streben, wenn anders er es
schmäher und Tatensichere, und beide haben einander lieb, ohne
überhaupt begriff, ist ihm ins Nichts zerronnen. Seine Tra¬
einander zu begreifen, und grüßen sich wie Jugend und
gödie des Wortes ist wortnüchtern. Ist darum auch untragisch.
Mannesalter und finden sich da, wo Wort zu Tat und Tat zu
Hat sich Arthur Schnitzler, dem im Gedanklichen unsere
Worte wird: im Tod.
Sympathien zu tiefst gehoren, im „jungen Medardus“ neue
Den feinen Verästelungen zwischen Spiel und Wirklichkeit
Wege gesucht —- in die Historie hinein —, so waren das nur
ist Schnitzler früher wohl mannigfach nachgegangen; hier
Verlegenheitspfade. Gleichsam das weite und weitere Kreise¬
gilt es die gefährlicheren, Schlingpflanzen gleich erdrosselnden,
ziehen eines Verirrten. Nicht nur, daß bei der Kompliziert¬
zwischen Tat und Wort. Die Tragödie des Wortes
heit der feelischen Vorgänge hier äußerste Konzentration ge¬
kann man den „jungen Medardus“ nennen, und in Mysterien
boten war, sie allein das Verständnis ermöglichte: die breite
führt Schnitzler denkerlsch hinein.
Historie der Zustandsschilderung des „napoleonischen“ Wien
Die Tragödie des Wortes. Das Wort „Rache“
brennt
im Jahre 1809 ist mit der Handlung kaum verflochten, be¬
dem jungen Medardus auf den Lippen, so macht er sich an
lichtet sie nicht, ist —
bei vielen seinen Einzelzügen — auch
Helene, Prinzessin von Valois heran, die Schwester des jungen
als dramatische Milieuschilderung verfehlt. Sie ermüdet auf
Prinzen, der mit seiner Schwester in den Tod gegangen ist.
der Bühne. Sie konnte nicht einmal durch energische Strei¬
Das Wort heißt Rache, und das Erlebnis wird Liebe und
chungen (an denen es, gottlob, nicht fehlte) gerettet werden.
Eifersuchtsraserei. Das Wort heißt Machtgewinnen über sie,
Im Gegenteil: den sehr notwendigen Streichungen mußten
und das Erlebnis ist ihr — Dienstbarwerden. Die Tragödie des
nicht entbehrliche Handlungsmittelglieder zum Opfer fallen,
Wortes, die das Vielgestaltige unter dem Einfachen nackt und
so sehr ist alles hier gestaltloses In= und Durcheinander.
bloß reißt, hat aber zugleich Kraft, Zweck in Widerzweck zu
Die Aufführung des Lessingtheaters setzte nicht nur
wandeln: Napoleon zu erstechen, macht sich Medardus auf —
beste Kräfte an die schwere, doch gewiß würdige Aufgabe,
sein Dolch bohrt sich Helene in die Brust. Und wiederum: Der
sie wahrte auch in sich Kraft bis zum weitabliegenden Ende.
tolle Wirbeltanz der Worte und Erlebnisse, dem Medardus
Bei bescheidener Ausstattung des Dekorativen w aller Nach¬
zur Beute fiel, wiederholt sich, gespiegelt und gespenstisch lebend
druck auf die darstellerische Leistung gelegt; lebendiges Men¬
zugleich, in Helenes Brust. Das Wort von den „hochmütig¬
schentum schien durchaus verkörpert. Frl. Lossen durfte
mörderischen Fingern einer Valois“ vief Medardus bei erster
selbst ihre Bewunderer überraschen: aus gebannter Haltung
Begegnung ihr entgegen. Das Wort gebiert die Liebe und
und kühlem Sichgeben und verschlossenen Mienen wußte sie
die Leidenschaft; es geht aber auch mit dem verbrecherischen
Leidenschaftlichkeit des Liebens und Hassens, ja der Sinnlich¬
Mordplan auf das Leben Napoleons, den Helene ausheckt und
keit, durchleuchten zu lassen. Herr Loos war als Medardus
zu dem sie Medardus dingt, schwanger und gibt schließlich der
feurig und müde, aufbegehrend und niedergeschlagen zugleich,
den Tod, die die Frucht in sich ausgetragen.
stark im Eigenleben, sehr glücklich als Typus der Zeit. Frl.
Die Tragödie des Wortes. Konsequent bis ins Letzte ist
Grüning als Mutter des Medardus, Herr Salfner als
sie durchgeführt. Seiner Tat halber soll Medardus begngdigt
Sattlermeister Eschenbacher verkörperten solcher Jugend ge¬
werden. Nur mit einem Worte — daß er fürderhin Napo¬
gen die zur Tat Gereiften in reicher Individualisierungs¬
leon nach dem Leben trachten wolle, rettet sich Medardus inku
den Tod.
guter Gemütsart. Herr Kayßler machte als
Al
Napolcons Figur, Herr Abel gab die Brackenburg¬
gestalt des Etzell nicht ohne
ner Typen durften besonder
Adalbert gefallen, der blin
Landa prägte sich der Er
Das Publikum war dan
wir alle Schnitzlers Entwicklu
es, bei der Fahrt zu den Müt
mal freigaben, seine Helene
Helena.
22. Derjunge Medandug
Zeitung
Zeitung: Frankfurter
(bend-Alsgabe) ie
Adresser Frankfurt a. M.
26. 0kr. 1914
Datum:
Suen
MATR
n
Man findet den Denker Schnitzler in der „Historie vom
Berliner Theater.
jungen Medardus“ wieder, und er ist reich geblieben und bietet
neue Edelmünze. Doch will sie erspürt sein. Man kann den
Lessing=Theater: „Der junge Medardus“,
„jungen Medardus“ auf der Bühne sehen und von dem
Dramatische Historie von Arthur Schnitzler.
ewesentlichen Gehalt der Historie nichts, oder doch beinahe
nichts, gewahren.
Berlin, 25. Oktober.
„Eins Jugend leuchtet dunkelglühend auf — und im Dunst
Ich bin mir zweifelhaft, ob sich Schnitzler der ungeheuren
deiner Alternden Jahre siehst du nur ihren trüben Flacker¬
Schwierigkeit, seine Gedanken, diese psychologisch überspitzten
scheine! Viel tiefer, als es den Anschein gewinnt, hat sich
Spekulationen, in dramatische Dichtung umzusetzen, überhaupt
Arthür Schnitzler in seiner dramatischen Historie „Der
bewußt geworden ist. In alter Bühnenpraxis ist das Wort
junge Medardus“ wiederum in Gedankenland hineinge¬
Vehikel für die Tat: seine Fahrt aber galt der Zerstörung
wagt: je lieber uns der Denker Schnitzler, ein Deuter unserer
des Wagens. Und schlimmer noch waren die Hemmungen, die
nur geahnten Gedanken, damit wird, umso schmerzlicher ver¬
ihm in seiner eigenen Brust entgegenstanden, Aus der Schule
lieren wir den Dichter Schnitzler.
des Realismus, des wortskeptischen, ist Schnitzler, sind wir alle
„Der junge Medardus“, und über dieser Jugend sollte
mehr oder weniger hervorgegangen. In der Tragövie des
es leuchten. Was ist Jugend? Wortseligkeit und Wort¬
Wortes aber mußte das Wort als solches jung und leuchtend
befangenheit zugleich; wie dem Mannesalter die Tat, so ge¬
und meteorgleich aufgehen, um dann ein feuriger Widerschein
hört ihr das Wort. Dem Wortschwarmer Medardus tritt der
im Meer der kalten Wahrheit zu versinken. Das aber ist bei
wackere Sattlermeister Eschenbacher gegenüber, der Wortver¬
Schnitzler nicht der Fall, dies Streben, wenn anders er es
schmäher und Tatensichere, und beide haben einander lieb, ohne
überhaupt begriff, ist ihm ins Nichts zerronnen. Seine Tra¬
einander zu begreifen, und grüßen sich wie Jugend und
gödie des Wortes ist wortnüchtern. Ist darum auch untragisch.
Mannesalter und finden sich da, wo Wort zu Tat und Tat zu
Hat sich Arthur Schnitzler, dem im Gedanklichen unsere
Worte wird: im Tod.
Sympathien zu tiefst gehoren, im „jungen Medardus“ neue
Den feinen Verästelungen zwischen Spiel und Wirklichkeit
Wege gesucht —- in die Historie hinein —, so waren das nur
ist Schnitzler früher wohl mannigfach nachgegangen; hier
Verlegenheitspfade. Gleichsam das weite und weitere Kreise¬
gilt es die gefährlicheren, Schlingpflanzen gleich erdrosselnden,
ziehen eines Verirrten. Nicht nur, daß bei der Kompliziert¬
zwischen Tat und Wort. Die Tragödie des Wortes
heit der feelischen Vorgänge hier äußerste Konzentration ge¬
kann man den „jungen Medardus“ nennen, und in Mysterien
boten war, sie allein das Verständnis ermöglichte: die breite
führt Schnitzler denkerlsch hinein.
Historie der Zustandsschilderung des „napoleonischen“ Wien
Die Tragödie des Wortes. Das Wort „Rache“
brennt
im Jahre 1809 ist mit der Handlung kaum verflochten, be¬
dem jungen Medardus auf den Lippen, so macht er sich an
lichtet sie nicht, ist —
bei vielen seinen Einzelzügen — auch
Helene, Prinzessin von Valois heran, die Schwester des jungen
als dramatische Milieuschilderung verfehlt. Sie ermüdet auf
Prinzen, der mit seiner Schwester in den Tod gegangen ist.
der Bühne. Sie konnte nicht einmal durch energische Strei¬
Das Wort heißt Rache, und das Erlebnis wird Liebe und
chungen (an denen es, gottlob, nicht fehlte) gerettet werden.
Eifersuchtsraserei. Das Wort heißt Machtgewinnen über sie,
Im Gegenteil: den sehr notwendigen Streichungen mußten
und das Erlebnis ist ihr — Dienstbarwerden. Die Tragödie des
nicht entbehrliche Handlungsmittelglieder zum Opfer fallen,
Wortes, die das Vielgestaltige unter dem Einfachen nackt und
so sehr ist alles hier gestaltloses In= und Durcheinander.
bloß reißt, hat aber zugleich Kraft, Zweck in Widerzweck zu
Die Aufführung des Lessingtheaters setzte nicht nur
wandeln: Napoleon zu erstechen, macht sich Medardus auf —
beste Kräfte an die schwere, doch gewiß würdige Aufgabe,
sein Dolch bohrt sich Helene in die Brust. Und wiederum: Der
sie wahrte auch in sich Kraft bis zum weitabliegenden Ende.
tolle Wirbeltanz der Worte und Erlebnisse, dem Medardus
Bei bescheidener Ausstattung des Dekorativen w aller Nach¬
zur Beute fiel, wiederholt sich, gespiegelt und gespenstisch lebend
druck auf die darstellerische Leistung gelegt; lebendiges Men¬
zugleich, in Helenes Brust. Das Wort von den „hochmütig¬
schentum schien durchaus verkörpert. Frl. Lossen durfte
mörderischen Fingern einer Valois“ vief Medardus bei erster
selbst ihre Bewunderer überraschen: aus gebannter Haltung
Begegnung ihr entgegen. Das Wort gebiert die Liebe und
und kühlem Sichgeben und verschlossenen Mienen wußte sie
die Leidenschaft; es geht aber auch mit dem verbrecherischen
Leidenschaftlichkeit des Liebens und Hassens, ja der Sinnlich¬
Mordplan auf das Leben Napoleons, den Helene ausheckt und
keit, durchleuchten zu lassen. Herr Loos war als Medardus
zu dem sie Medardus dingt, schwanger und gibt schließlich der
feurig und müde, aufbegehrend und niedergeschlagen zugleich,
den Tod, die die Frucht in sich ausgetragen.
stark im Eigenleben, sehr glücklich als Typus der Zeit. Frl.
Die Tragödie des Wortes. Konsequent bis ins Letzte ist
Grüning als Mutter des Medardus, Herr Salfner als
sie durchgeführt. Seiner Tat halber soll Medardus begngdigt
Sattlermeister Eschenbacher verkörperten solcher Jugend ge¬
werden. Nur mit einem Worte — daß er fürderhin Napo¬
gen die zur Tat Gereiften in reicher Individualisierungs¬
leon nach dem Leben trachten wolle, rettet sich Medardus inku
den Tod.
guter Gemütsart. Herr Kayßler machte als
Al
Napolcons Figur, Herr Abel gab die Brackenburg¬
gestalt des Etzell nicht ohne
ner Typen durften besonder
Adalbert gefallen, der blin
Landa prägte sich der Er
Das Publikum war dan
wir alle Schnitzlers Entwicklu
es, bei der Fahrt zu den Müt
mal freigaben, seine Helene
Helena.