box 27/2
Meda
22. per jungedus
———
Freie Deutsche Presse
Ausschnitt aus:
Freizinnige Zeitung, Berlin
20.0
vom:
Kunst und Wissenschaft
Lessing=Theater.
„Der junge Medardus“ von Artur Schnitzler.
In 14 Bildern wickelt sich die „dramatische Hif
Wieer Kriegsjahr 1809 ab und dauert trotz Kürzungen 4¾ Stun¬
dack. Am Schluß des 13. Bildes werden die Flügeltüren des Schön¬
Funner Schlsses vor Napoleon aufgerissen, alles starrt elektrisiert
'nach der Oeffnung, viele schreien Hoch, aber ehe Napoleon sein Ant¬
litz zeigen kann, fällt der Vorhang. Kurz zuvor aber ward auf den
Stufen zum Schloß durch einen Dolchstich des jungen Medardus
die stolze Helene getötet, die Tochter des Herzogs von Valois, des
französischen Thronprätendenten, die seit zwei Tagen die Gattin
des Marquis von Valois und außerdem Geliebte Napoleons und des
jungen Buchhändlersohnes Medardus ist Schon dieser kleine Schnitt
aus den 14 Bildern läßt erkennen, daß das Kriegsjahr 1809 von
Schnitzler romantisch, man darf wohl sagen romanhaft geschaut
ward. Man hört wohl Trommeln und Militärmusik und zweimal
sogar Salven, durch die achtbare Wiener Bürger, von denen wir den
einen liebgewonnen haben, standrechtlich erschossen werden. Aber
die Schauer des Krieges und jener aufwühlenden Zeit wehen nicht
durch dieses Stück, das vielmehr stellenweise an Hintertreppen¬
romantik erinnert.
Der Sohn des Thronprätendenten und Bruder Helenes,
der junge Valois, und die Schwester des jungen Medardus,
Agathe, lieben einander. Er darf sie nicht heiraten. Sie haben sich
aber schon vereint und waschen die Schuld im Wasser, wo es am
tiefsten ist. Der
junge Medardus, schon zum Kriegs¬
ausmarsch gegen Napoleon gerüstel, bleitt zu unserer Ueberraschung
zurück, weil er, vie er glaubt, zu Hause noch eine Mission hat. Am
frischen Grabe der Beiden beleidigt er Helene, die der Theaterzufall
ihm in den Weg jährt. „Töten Sie ihn und ich werde die Ihre“
sagt sie zum Marqu's von Valois, der plötzlich neben ihr am Grabe
steht. Und nun tormt es, wie es in derlei Romanen geschieht.
Der junge Medardus wird im Duell nur verwundet. Die beiden,
der Buchhändlerssohn und die stolze Valois, finden sich, indem sie
sich hassend zerfleischen und liebend umkrallen. Helene ist nämlich
0
#e Teufelin Sardouschen Gepräges. Sie wird auch die Geliebte
Naxoleons mit dem heimlichen Ziel, ihn zu erdolchen. Auf dem
Wege zu diesem Ziel wird sie zu derselben Stunde von Modardus,
der — stets ohne festen Willen — Napoleon töten wollte, aus Eifer¬
sucht erdolcht. So bleibt Bonaparte am Leben. Und das ist gut,
weil senst für Preußen das erhebende Befreiungsjahr 1813 nicht an¬
gebrochen wäre. Im letzten Bilde erscheint endlich Medardus als
Held, aber als närrischer Held. Ei will — aus Laune? aus Ueber¬
zeugung? — keine Begnadigung. Er verweigert das Versprechen,
Napoleon nicht mehr nach dem Leben zu trachten und wird er¬
schossen. Als Toter kann er Napoleon natürlich noch weniger
schaden. Zwecklos und auch völlig unmotiviert, wie dieser „hel¬
dische“ Schluß, erscheint die ganze Handlung.
Es tut mir leid, von einer Schnitzlerschen Arbeit so respettlos
sprechen zu müssen; darum sei rasch hinzugefügt, daß sich auch in
diesem Stück dichterische Schönheiten finden, überall da, wo eine
abgeklärte, leis ironische Menschenbetrachtung zu Worte kommt.)
Die vielen Wiener Typen, überhaupt alle Nebenrollen, sind gut ge¬
zeichnet. Das Drum und Dran ist echt. Aber der Kern, der Kern!
Ein großer Stoff ward zur Anekdote, ein großes Geschehen zum
Roman, ein historisches Drama zur dramatischen Historie. Die
feine Sonde eines Arztes ist kein Schwert, und wie dem Stück der¬
starke Napoleon fehlt, so fehlt ihm auch der starke Arm, der
die Begebenheiten zu einem kraftvollen unzerfaserten Drama ge¬
stalten konnte.
Barnowskys Regie verdient alles Lob. Leider hatte er für die
Titelrolle keinen passenden Vertreter. Theodor Loos mit seinen ge¬
quetschten Tönen, die immer weinerlich klingen, fehlt der jugend¬
liche Leichtsinn, der wienerische Uebermut. Mit einem anderen
das früher
Medardus würde das Schnitzlersche Stück,
im Burgtheater Erfolg erzielte, wohl mehr Beifall er¬
rungen haben. Alle übrigen Rollen, es sind gegen 60, waren gut
besetzt. Nur einige Namen: Lina Lossen (in einer schillernden
Schlangenrölle über Erwarten gut), Kayßler, Ilka Grüning,
Salfner, Abel, Adalberk, Guido Herzfeld, Landa. Am stärksten hat
sich mir eine kleine Episodenrolle eingeprägt: der sturrile Arzt des
John Gottowt, der an eine der dämonisch=komischen Gestalten
#1A Hoffmannserinnerte— Der Dichter wurde am Schluß
wiederholt gerufen.
Schk.
Im Berliner Theater
wurde Sonnabend ein Stück zum ersten Male aufgeführt, dessen.
(*
Inhalt die kriegerischen Ereignisse der letzten Wochen zu verwerten¬
sucht, ohne dem bisher an dieser Bühne gepflegten Genre untreu
zu werden. So entstanden die „Extrablätter, heitere Bilder aus
ernster Zeit“, wie sie sich nennen. Die Zahl der Mitarbeiter an
diesem Opus ist nicht gering. Der Tert rührt her von den Herren
Vernauer, Schanzer und Gordon, die Musik von Kollo und Bred¬
schneider. Trotz dieser vielen Köche ist der Brei indessen nicht ver¬
dorben worden. Wenn man schon dieser Art „Literatur“ Geschmack
abzugewinnen vermag, dann wird einem im Berliner Theater jetzt
eine gut mundende Schüssel davon vorgesetzt. Sehr anziehend ist es
auch, daß die „Extrablätter“ sich hlierlei bühnentechnischer Tricks
bedienen, die durch ihre Originalität und durch geschickte Nachah¬
mung der Natur in gleicher We
ihren Reiz auf die Zuschauer
1194
ausüben.
So war Die Dort
Meda
22. per jungedus
———
Freie Deutsche Presse
Ausschnitt aus:
Freizinnige Zeitung, Berlin
20.0
vom:
Kunst und Wissenschaft
Lessing=Theater.
„Der junge Medardus“ von Artur Schnitzler.
In 14 Bildern wickelt sich die „dramatische Hif
Wieer Kriegsjahr 1809 ab und dauert trotz Kürzungen 4¾ Stun¬
dack. Am Schluß des 13. Bildes werden die Flügeltüren des Schön¬
Funner Schlsses vor Napoleon aufgerissen, alles starrt elektrisiert
'nach der Oeffnung, viele schreien Hoch, aber ehe Napoleon sein Ant¬
litz zeigen kann, fällt der Vorhang. Kurz zuvor aber ward auf den
Stufen zum Schloß durch einen Dolchstich des jungen Medardus
die stolze Helene getötet, die Tochter des Herzogs von Valois, des
französischen Thronprätendenten, die seit zwei Tagen die Gattin
des Marquis von Valois und außerdem Geliebte Napoleons und des
jungen Buchhändlersohnes Medardus ist Schon dieser kleine Schnitt
aus den 14 Bildern läßt erkennen, daß das Kriegsjahr 1809 von
Schnitzler romantisch, man darf wohl sagen romanhaft geschaut
ward. Man hört wohl Trommeln und Militärmusik und zweimal
sogar Salven, durch die achtbare Wiener Bürger, von denen wir den
einen liebgewonnen haben, standrechtlich erschossen werden. Aber
die Schauer des Krieges und jener aufwühlenden Zeit wehen nicht
durch dieses Stück, das vielmehr stellenweise an Hintertreppen¬
romantik erinnert.
Der Sohn des Thronprätendenten und Bruder Helenes,
der junge Valois, und die Schwester des jungen Medardus,
Agathe, lieben einander. Er darf sie nicht heiraten. Sie haben sich
aber schon vereint und waschen die Schuld im Wasser, wo es am
tiefsten ist. Der
junge Medardus, schon zum Kriegs¬
ausmarsch gegen Napoleon gerüstel, bleitt zu unserer Ueberraschung
zurück, weil er, vie er glaubt, zu Hause noch eine Mission hat. Am
frischen Grabe der Beiden beleidigt er Helene, die der Theaterzufall
ihm in den Weg jährt. „Töten Sie ihn und ich werde die Ihre“
sagt sie zum Marqu's von Valois, der plötzlich neben ihr am Grabe
steht. Und nun tormt es, wie es in derlei Romanen geschieht.
Der junge Medardus wird im Duell nur verwundet. Die beiden,
der Buchhändlerssohn und die stolze Valois, finden sich, indem sie
sich hassend zerfleischen und liebend umkrallen. Helene ist nämlich
0
#e Teufelin Sardouschen Gepräges. Sie wird auch die Geliebte
Naxoleons mit dem heimlichen Ziel, ihn zu erdolchen. Auf dem
Wege zu diesem Ziel wird sie zu derselben Stunde von Modardus,
der — stets ohne festen Willen — Napoleon töten wollte, aus Eifer¬
sucht erdolcht. So bleibt Bonaparte am Leben. Und das ist gut,
weil senst für Preußen das erhebende Befreiungsjahr 1813 nicht an¬
gebrochen wäre. Im letzten Bilde erscheint endlich Medardus als
Held, aber als närrischer Held. Ei will — aus Laune? aus Ueber¬
zeugung? — keine Begnadigung. Er verweigert das Versprechen,
Napoleon nicht mehr nach dem Leben zu trachten und wird er¬
schossen. Als Toter kann er Napoleon natürlich noch weniger
schaden. Zwecklos und auch völlig unmotiviert, wie dieser „hel¬
dische“ Schluß, erscheint die ganze Handlung.
Es tut mir leid, von einer Schnitzlerschen Arbeit so respettlos
sprechen zu müssen; darum sei rasch hinzugefügt, daß sich auch in
diesem Stück dichterische Schönheiten finden, überall da, wo eine
abgeklärte, leis ironische Menschenbetrachtung zu Worte kommt.)
Die vielen Wiener Typen, überhaupt alle Nebenrollen, sind gut ge¬
zeichnet. Das Drum und Dran ist echt. Aber der Kern, der Kern!
Ein großer Stoff ward zur Anekdote, ein großes Geschehen zum
Roman, ein historisches Drama zur dramatischen Historie. Die
feine Sonde eines Arztes ist kein Schwert, und wie dem Stück der¬
starke Napoleon fehlt, so fehlt ihm auch der starke Arm, der
die Begebenheiten zu einem kraftvollen unzerfaserten Drama ge¬
stalten konnte.
Barnowskys Regie verdient alles Lob. Leider hatte er für die
Titelrolle keinen passenden Vertreter. Theodor Loos mit seinen ge¬
quetschten Tönen, die immer weinerlich klingen, fehlt der jugend¬
liche Leichtsinn, der wienerische Uebermut. Mit einem anderen
das früher
Medardus würde das Schnitzlersche Stück,
im Burgtheater Erfolg erzielte, wohl mehr Beifall er¬
rungen haben. Alle übrigen Rollen, es sind gegen 60, waren gut
besetzt. Nur einige Namen: Lina Lossen (in einer schillernden
Schlangenrölle über Erwarten gut), Kayßler, Ilka Grüning,
Salfner, Abel, Adalberk, Guido Herzfeld, Landa. Am stärksten hat
sich mir eine kleine Episodenrolle eingeprägt: der sturrile Arzt des
John Gottowt, der an eine der dämonisch=komischen Gestalten
#1A Hoffmannserinnerte— Der Dichter wurde am Schluß
wiederholt gerufen.
Schk.
Im Berliner Theater
wurde Sonnabend ein Stück zum ersten Male aufgeführt, dessen.
(*
Inhalt die kriegerischen Ereignisse der letzten Wochen zu verwerten¬
sucht, ohne dem bisher an dieser Bühne gepflegten Genre untreu
zu werden. So entstanden die „Extrablätter, heitere Bilder aus
ernster Zeit“, wie sie sich nennen. Die Zahl der Mitarbeiter an
diesem Opus ist nicht gering. Der Tert rührt her von den Herren
Vernauer, Schanzer und Gordon, die Musik von Kollo und Bred¬
schneider. Trotz dieser vielen Köche ist der Brei indessen nicht ver¬
dorben worden. Wenn man schon dieser Art „Literatur“ Geschmack
abzugewinnen vermag, dann wird einem im Berliner Theater jetzt
eine gut mundende Schüssel davon vorgesetzt. Sehr anziehend ist es
auch, daß die „Extrablätter“ sich hlierlei bühnentechnischer Tricks
bedienen, die durch ihre Originalität und durch geschickte Nachah¬
mung der Natur in gleicher We
ihren Reiz auf die Zuschauer
1194
ausüben.
So war Die Dort