II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 526

nn härt wahl Trommeln und Militärmusik und zmeimal
sogar Salven, durch die achtbare Wiener Bürger, von denen wir den
einen liebgewonnen haben, standrechtlich erschossen werden. Aber
die Schauer des Krieges und jener aufwühlenden Zeit wehen nicht
durch dieses Stück, das vielmehr stellenweise an Hintertreppen¬
romantik erinnert.
Der Sohn des Thronprätendenten und Bruder Helenes,
der junge Valois, und die Schwester des jungen Medardus,
Agathe, lieben einander. Er darf sie nicht heiraten. Sie haben sich
aber schon vereint und waschen die Schuld im Wasser, wo es am
tiefsten
ist. Der
junge Medardus, schon ium Kriegs¬
ausmarsch gegen Napoleon gerüstel, bleibt zu unserer Ueberraschung
zurück, weil er, wie er glaubt, zu Hause noch eine Mission hat. Am
frischen Grabe der Beiden beleidigt er Helene, die der Theaterzufall
ihm in den Weg führt. „Töten Sie ihn und ich werde die Ihre“.
sagt sie zum Marquis von Valois, der plötzlich neben ihr am Grabe
steht. Und nun kommt es, wie es in derlei Romanen geschieht.
Der junge Medardus wird im Duell nur verwundet. Die beiden,
der Buchhändlerssohn und die stolze Valois, finden sich, indem sie
sich hassend zerfleischen und liebend umkrallen. Helene ist nämlich
eine Teufelin Sardouschen Gepräges. Sie wird auch die Geliebte
Napoleons mit dem heimlichen Ziel, ihn zu erdolchen. Auf dem
Wege zu diesem Ziel wird sie zu derselben Stunde von Modardus,
der — stets ohne festen Willen — Napoleon töten wollte, aus Eifer¬
sucht erdolcht. So bleibt Bonaparte am Leben. Und das ist gut,
weil sonst für Preußen das erhebende Befreiungsjahr 1813 nicht an¬
gebrochen wäre. Im letzten Bilde erscheint endlich Medardus als
Held, aber als närrischer Held. Er will — aus Laune? aus Ueber¬
zeugung? — keine Begnadigung. Er verweigert das Versprechen,
Napoleon nicht mehr nach dem Leben zu trachten und wird er¬
schossen. Als Toter kann er Napoleon natürlich noch weniger
schaden. Zwecklos und auch völlig unmotiviert, wie dieser „hel¬
dische“ Schluß, erscheint die ganze Handlung.
Es tut mie leid, von einer Schnitzlerschen Arbeit so respettlos!
sprechen zu müssen; darum sei rasch hinzugefügt, daß sich auch in
diesem Stück dichterische Schönheiten finden, überall da, wo eine
abgeklärte, leis ironische Menschenbetrachtung zu Worte kommt.
Die vielen Wiener Typen, überhaupt alle Nebenrollen, sind gut ge¬
zeichnet. Das Trum und Dran ist echt. Aber der Kern, der Kern!
Ein großer Stoff ward zur Anekdote, ein großes Geschehen zum
Roman, ein historisches Drama zur dramatischen Historie. Die
feine Sonde eines Arztes ist kein Schwert, und wie dem Stück der
starke Napoleon fehlt, so fehlt ihm auch der starke Arm, der
die Begebenheiten zu einem kraftvollen unzerfaserten Drama ge¬
stalten konnte.
Barnowskys Regie verdient alles Lob. Leider hatte er für die
Titelrolle keinen passenden Vertreter. Theodor Loos mit seinen ge¬
quetschten Tönen, die immer weinerlich klingen, fehlt der jugend¬
liche Leichtsinn, der wienerische Uebermut. Mit einem anderen
das früher
Medardus würde das Schnitzlersche Stück,
im Burgtheater Erfolg erzielte, wohl mehr Beifall er¬
rungen haben. Alle übrigen Rollen, es sind gegen 60, waren gut
besetzt. Nur einige Namen: Lina Lossen (in einer schillernden
Schlangenrolle über Erwarten gut), Kayßler, Ilka Grüning,
Salfner, Abel, Adalberk, Guido Herzfeld, Landa. Am stärksten hat
sich mir eine kleine Episodenrolle eingepräg: der sturrile Arzt des
John Gottowt, der an eine der damonisch=komischen Gestalten
E. T. A. Hoffmanns erinnerte. — Der Dichter wurde am Schluß
Schk.
wiederholt gerusen.
Im Berliner Theater
wurde Sonnabend ein Stück zum ersten Male aufgeführt, dessen
Inhalt die kriegerischen Ereignisse der letzten Wochen zu verwerten
sucht, ohne dem bisher an dieser Bühne gepflegten Genre untreu
zu werden. So entstanden die „Extrablätter, heitere Bilder aus
ernster Zeit“ wie sie sich nennen. Die Zahl der Mitarbeiter an
diesem Opus ist nicht gering. Der Text rührt her von den Herren
Bernauer, Schanzer und Gordon, die Musik von Kollo und Bred¬
schneider. Trotz dieser vielen Köche ist der Brei indessen nicht ver¬
dorben worden. Wenn man schon dieser Art „Literatur“ Geschmack
abzugewinnen vermag, dann wird einem im Berliner Theater jetzt
eine gut mundende Schüssel davon porgesetzt. Sehr anziehend ist es
auch, daß die „Extrablätter“ sich allerlei bühnentechnischer Tricks
bedienen, die durch ihre Originalität und durch geschickte Nachah¬
mung der Natur in gleicher Weise ihren Reiz auf die Zuschauer
So war die Vorführung eines in Fahrt befindlichen
ausüben.
Militärzuges sowie eines Unterseebootes wirklich einmal etwas
anderes. Die Hauptsache war und bliob aber doch die vorzügliche
Schar von Komikern, über die das Theater in der Charlottenstraße
verfügt. Oskar Sabo als Flieger war einfach hinreißend und
Lisa Weise zeigte, daß sie nach wie vor eine Tänzerin und
Couplet=Sängerin ersten Ranges ist. Josefine Dora gewann
wie stets schon mit ihrem einfachen Erscheinen die Lacher auf ihre
Seite, erst recht mit ihrem trockenen Humor, über den sie ja reichlich
verfügt. Nicht minder lobenswert waren die übrigen Darsteller und
so gab es trotz einiger überflüssiger Längen einen durchschlagenden
Erfolg.
Gustav Wied †. Der dänische Schriftsteller Gustav Johannes
Wied ist am Sonnabend in Kopenhagen gestorben. Wied
war durch seine Komödien auch in Deutschland bekannt. Vor allem
hat sein Lustspiel 2X2=5 in Berlin einen ungeheuren Erfolg
gehabt.
Hochschulnachrichten. Professor Farl Lehmann Haupt
hat seine griechische Professur an der Universitäi Liverpool nieder¬
gelegt und die Vertretung des Faches der Alten Geschichte an der
Der frühere
Universität Greifswald übernommen.
Professor der Philosophie an der Kaiser=Wilhelm=Universität in
Straßburg, D. Dr. Alfred Weber, einer der ältesten Mitglieder
des Lehrkörpers der Universität, ist nach langjährigen Leiden im
Zur Eröffnung der Uni¬
Alter von 79 Jahren gestorben.
versität Frankfurt (Main) gibt die „Frankfurter Zeitung“
eine Sondernummer im Umfange von zwei Bogen heraus, die zahl¬
reiche wissenschaftliche Artikel und ein Verzeichnis des Lehrkörpers
enthält.
Local Anzeiger

mache
Kunst und Wissenschaft.
J. k. 54
ssing=Theatch braßte gesten
Artur Schußle
vielbesprochnf) „dec##atische
Historie":
##dus — mit
reichlicher Sch## #bic für Berlin —
r Aufführ# kritischen Akten über das
Ftück sind gesclossen. Alles, was über seine Vor¬
ige und Schwächen zu sagen war, ist nach Er¬
scheinen der Buchausgabe und gelegentlich seiner
Erstaufführung im Wiener Hofburg=Theater in
angehenden Besprechungen dargelegt worden.
Und der Eindruck, den das Werk gesteln in stark.
geürzter und doch noch immer bedrohlich langer
Form (14 Bilder!) machte, stimmt mit jenen Aus¬
führungen völlig überein. Man erkannte auch
gestern wieder: hier gelang Schnitzler ein Wurf
im Erfassen einer großen Idee, ohne daß ihm
die Kraft zu deren großzügigen Ausgestaltung
geblieben. Alles, was an volkstümlich=historischer,
speziell wienerischer Kleinmalerei den eigent¬
lichen Kern der Handlung umrankt, ist volkstüm¬
lich und historisch im besten Sinne, bringt eine
Fülle echter Typen aus der Wiener Franzosen¬
(1809)
zeit
Eigenart
und stilisiert die
100
der
geschilderten Periode trefflich,
ohne
zur Trockenheit der „echten“ Historie zu erstarren.
Das romantisch=konfuse Schicksal des jungen Me¬
dardus aber, des anscheinend so draufgängerisch
veraulagten Wiener Bürgersohnes, rückt, je be¬
wegter und rundlicher es sich ob der „Eigenart“
dieses Wirrkopfes ausgestaltet, desto mehr in den
Hintergrund unserer Teilnahme. Und so bunt
und tragisch es auch zugeht im Leben dieses selt¬
samen Jünglings, der just, da er ausziehen will,
um mitzuhelfen an der Befreiung seines Vater¬
landes vom napoleonischen Joch, ein Spielball an¬
derer kleinlicherer oder wenigstens rein persönlicher
Empfindungen wird, Taten der Rache in Fa¬
milien= und Herzenssachen plant und doch schlie߬
lich immer daneben handelt — nur hin und wie¬
der rüttelt er unsere bedächtige Achtung vor seinen
Drangsalen, die wir mit ihm teilen müssen, zu
lebhafterer Anteilnahme auf. Unser Herz und
unsere Sinne gehören eher all den andern Wie¬
nern und Wienerinnen um ihn her, all den zeit¬
geschichtlichen feinen und treffenden Zeugen. Ob
Dats
genügen wird, um dem an fesseln¬
den
Einzelreizen nicht armen Werk über
die
Bedeutung seines Titelhelden hinaus
Anziehungskraft zu sichern, bleibt abzuwarten.
Direktor Barnowsky hat mit Geschick versucht, die
Schrecken der schwierigen Inszenierung des ner¬
vigen anspruchsvollen Werkes zu überwinden.
Aus der fast verwirrenden Fülle der Gestalten
ragten als bedeutsamste schauspielerische Leistun¬
gen, die von schlichter Kraft und innerer Größe
erfüllt, Frau Klär Ilka Grünings und Heinz
Salfners ehrlich kerniger Jakob Eschenbacher her¬
vor. Der schwierigen Aufgebe, die Rätsel des
jungen Medardus zu lösen, wurde Theodor Loos
nur zum Teil gerecht. Er gab, vom Dichter zu
Irrtümern und Mißgriffen verführt, wohl kaum
ein rechtes Bild der schwer greifbaren Gestalt.
Auch Lina Lossens Helene von Valois fesselte nur
in etlichen reizvollen Zügen. Zur treffenden und
erschöpfenden Charakteristik dieser recht kompli¬
zierten Dame fehlte just das Entscheidendste oder
wurde von gar zu viel Hoheit und Würde über¬
strahlt. Unter den Darstellern der zahllosen
wichtigen Episoden seien in aller Eile die Herren
Gottowt, Herzfeld, Adalbert, vor allen aber Fried¬
rich Kayßler als General Rapp genannt.
Der Brackenburg =Gestalt des Karl Etzelt
vermochte auch die Kunst Alfred Abels neue
fesselnde Züge nicht zu verleihen. Das Publikum,
anscheinend recht kritisch gestimmt, verharrte in
achtungsvoller Kühle, und als nach dem zehnten
Bilde der Erschießung Eschenbachers, der zogernde
Beifall sich zu kräftigen versuchte, stieß er auf Lei¬
gung zu Widerspruch. Hoffentlich hielten die
Meinungsäußerungen auch nach den beiden letzten
Bildern, deren Wirkung abzuwarten, (die vor#
gerückte Stunde hinderte, sich in den Grenzen tat¬
voller Mäßigung.