II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 527

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22. Der junge nedardus
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(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aas:
nal Zeitung, Berüir
70111974
vom:
F
keit, Napoleon niederzuringen, glaubt, und der über Vaterland weiß Medardus es wohl selbst n
Jeuisleton.
und Heldentum sehr ketzerische Meinungen hegt — ein musik¬
des Franzosenkaisers abgetrotzter
#2“ begabter Satilermeister — der einzige, der hier eine kühne Tat er nicht mehr nützen kann) oder
wagt, den Geboten Napoleons trotzt und stolz den Tod dafür er=] Jünglings galt, der bei jeder no
Rund um Napoleon.
leidet. Und der einzige, der von Anbeginn bis zum Schluß fest ganze Existenz aufs Spiel gesetzt
seinen Charakter wahrt, ist ein alter Narr, der Herzog von Valois,
Zweifel darüber, und wohl auch se
„Der junge Medardus“ Arthur Schnitzlers im
e von seinen Ansprüchen auf den Thron Frankreichs nichts übrig
Brackenburg, der nach seiner A
Lessing=Theater
geblieben ist, als eine fixe Idee, die ein Irrenarzt sehr behutsam
Bruders der Geliebten immerzu
* Das Kriegsdrama eines vornehmen Künstlers, in Berlin noch
pflegt. (Vielleicht dachte Schnitzler dabei an einen Hofstaat, der
Das Lessing=Theater hatte
unaufgeführt. Das Lessing=Theater griff darnach. Warum es
bis in die jüngste Zeit hinein in Habsburgs Schutz Träume von
ein Ende und ein Ziel finden #
zns in endlosen fünf Stunden (denen der gar nicht faule Blau¬
scheinbar ähnlicher Hoffnungslosigkeit starr, aber am Ende doch
Schere, sondern auch mit großer
stift noch immer Raum ließ) so wenig ergriffen hat? Trotz 1809?
mit besserem Erfolg behütete).
Ueberbleibsel angenommen. Sch#
Dem korsischen Riesenschatten, der Begeisterung der Kriegs¬
Aber welche mondscheinüberglänzten Widersprüche ringsum!
Der dunklen, geheimnisvollen Sc
freiwilligen, der Angst der Bedrängten, erschütternden Füsilierun¬
Vorklang: ein französischer Prinz und ein Wiener Bürgermädchen
man zuweilen sogar die Prinze
gen zum Trotz? Weil der Krieg hier nicht Seele, sondern De¬
spielen Ferdinand und Luise. Zwei Wasserleichen. An ihrer Bahre
alles über einen Königstraum ##
koration, Ausstattungsmittel ist. Es ist ein entmannter, ein zer¬
der Bruder des Doppelselbstmord=Mädchens. Halb Valentin, halb
Zucker der Genüsse nascht. Herr
redeter Krieg. Das Ganze wird ein verschämter, ein holdver¬
Laertes, aber ganz von aller Logik verlassen, beschließt er unmittel¬
erfreuender Erscheinung noch me
brämter Kitsch. Wohl spürt man immer wieder den Hauch der
bar nach seinem Todesschwur gegen Napoleon, nicht als Frei¬
schon in seiner zerschäumenden I#
Wienerstadt: ihre Plätze, Gäßchen und Gärten, auch der Wiener
williger gegen die heranrückenden Franzosen zu ziehen, sondern die
wie sehr diesem bürgerlichen Ham
Menschen Hundert feingezogene Linien verkünden den Dichter.
Tote zu rächen. An wem? Am Grabe lernen sich der brüderliche
sehr seine Entschlußkraft immer
Aber doch nur den in seine Welt beschaulich verliebten Erzähler,
Medardus und die schwesterliche Prinzessin kennen. „Hinweg mit
Bescheiden und doch königlich (wi
der aller Farben und Zwischenfarben achtet, alles durch den
den Blumen, Sie Hochmütige, die sollen in Ihren mörderischen
des Medardus Mutter Ilka Gr
Doppelspalt der Klugheit sieht, immer, wenn er gestaltet, zugleich
Fingern welken!“ Prinzessin zu einem herzukommenden Mar¬
Herr Götz ließ den Neunzigjähr
räsonniert. Zum Drama fehlt nicht das geistige Band, fehlt nur
quis! „Töten Sie ihn, dann will ich Ihre Frau werden“. Nach
ständnislos, fast gleichgültig zwei
der selbstherrliche, klare Schöpferwille. Der Held, Medardus, hat
dem Duell schickt ihm die Stolze (die keine andere Wichtigkeit auf
weis Enkelkinder in die Gruft fin
so wenig Herrschaft über sein Schicksal wie der Dichter über sein
Erden anerkennt als die sehr schwachfüßigen Ansprüche ihres
einer dauernden Erinnerung wer
in alle Himmelsrichtungen zerrinnendes Gedicht. Im Grunde ist
Papas auf die Krone Frankreichs) dieselben Blumen, die er vom
Epigramm eines dichtenden Arzte
Medardus wieder ein Anatol, nur mit größerer Ehrlichkeit gegen
Grabhügel geschleudert hat. Noch am selben Abend liegt der ver¬
sich selbst, nur mit etwas heißerem Blut, dessen Wärmegrad hin¬
wundete Medardus in ihren erhabenen Armen. Die tödlich Ver¬
reicht, seine Abenteuer zu steigern.
liebten, die Nacht um Nacht sich trunken einander hingeben (trotz¬
Uebrig bleiben ein paar sehr natürlich fließende Bürger¬
Im Zeichen
dem das konsequente Prinzeßchen inzwischen Marquise geworden
gespräche, heimatliche Klänge und ein Bündel sehr scharf ge¬
ist, um später einmal — bei gegebener Gelegenheit — einem
S. Pg. Bei der Aufführung
schliffener Aperaus, deren blasierte Gescheidtheit uns darüber hin¬
Valois, einem König von Frankreich, das Leben zu schenken) bleiben
Singakademie wurde Beethor
wegtäuschen soll, daß dieses mit Empfindsamkeit und Prinzessinnen¬
Todfeinde. Wirklich? Medardus will Napoleon töten, in heiligem
der Bemühungen eines Musikers
romantik so schwer beladene Drama seinem Wesen nach ein ver¬
vaterländischen Zorn. Vielleicht auch nur um seiner krankhaften
manns abfallen konnte. Der Nat
klärter, sehr dickbäuchiger Mühlbach=Roman ist. Es ist bezeichnend
Unruhe ein neues Erruptionsziel zu geben. Tuts nicht, weil die
bedeutend mit unverbrüchlicher T
für den zwitterhaften, zwischen Pathos und Ironie, zwischen Be¬
Geliebte dieselbe Tat zu anderem Zweck, zum Besten der Valois,
staben und sicherstem Musikinstinkt.
jahung und Zweifel ewig hin und her gaukelnden Geist dieses
von ihm verlangt. Ersticht sie selbst aus Eifersucht, als sie zu
gerade bei der Missa solemnis nich
Dichters.
Napoleons Empfang nach Schönbrunn geht. (Eine sehr üppig
der hier tieferer Erfassung des Texte
In diesem Kanonendonner=Stück aus der Zeit des zweiten
aufgebaute Opernszene, an deren Schluß Bonaparte in Person —
des Klanglichen galt, blieb unerfüll
Einmarsches der Franzosen in Wien ist der Mann, der nicht recht beinahe — erscheint.) Napoleon begnadigt ihn, weil die Valois bereitete ein Mahl, das man nicht
an die Waschechtheit des Wiener Patriotismus und an die Möglich= selbst den Dolch im Gewande trug. Noch in seiner letzten Stunde aber die Würze des Persönlichen,