II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 547

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22. Derjunge -Nedardus
he Landeszeitung

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Enthüllung der zerrisssenen, an der Zeit und am Ich kranken¬
Junger Medardus“.
besessen ist, von ihm die Tat als Lohn der Liebesnächte
den Seele.
erwartet.
Schnitzlers Panorama heißt Alt=Wien 1809. Was jedoch
im Berliner Lessingtheater.
Noch weiter geht die tragische Ironie. Medardus steht,
anschaulich an ihm, das schuf die dekorative Kunst des
den Dolch im Gewande, an der Treppe von Schönbrunn,
Korrespondenten.)
Malers Karl Walser mit stillen Stuben, dem Glacis,
des Kaisers gewärtig. Da kommt Helene, von der jetzt
den Parkmauern, dem Gartensaal über allen Wipfeln, der
2 Berlin, 25. Oktober.
das Gerücht geht, sie sei Napoleons Geliebte. Medardus
Vedute (das altmodische Wort gibt gut die Stimmung des
von Raserei gepackt, ersticht seine Feindin statt seines
für den, dem Schnitzler als Wis¬
Bild= und Schildereihaften, die hier statt derberer Wirklich¬
Volksfeindes und
da ist der Schicksalswitz
r Gefühlsgewebe viel bedeutet, —
rettet
keitstäuschung entrückend spielt), also der Vedute von Schön¬
damit ihm, dem Bonaparte, das Leben. Helene hatte,
trreichischer Franzosenzeit ist wohl
brunn. Und wirksam kam Barnowskys Regie hinzu,
wie sich heraussteltt, selbständiger Weise auch ein eigenes
vertan. Und es bleibt eine der
mit lebhaft bewegten Militär= und Zivilstandsgruppen, mit
Attentat vor.
n) Folge=Erscheinung des Krieges,
dem Blau und Weiß der Monturen, den geblümten Umschlag¬
Diesen Hohn, als das Zerrbild eines Schutzengels
matlichen „Burg“ an der Donau
tüchern der Frauen, dem Kaffeebraun der bürgerlichen
für den großen Widersacher dazustehen, erträgt Medardus
Führte Stück nicht im schonenden
Glockenröcke unter schweifigen Castorhüten. Schnitzlers In¬
ärt
nicht. Er weist alle Gnaden ab, erklärt seinen Entschluß,
t hervorholte, nur weil es auf
halt dieser Volksszenen ist mit den bequemsten Mitteln ge¬
nie von seiner Bedrohung des Kaisers abzulassen und
achten gemalt ist. Kein Berliner
macht, er zieht, um Leben in die Schaubude zu bringen, die
wählt so, mit der Verurteilung zur Kugel, die reinliche
diese neugeartete Heimatskunst
allgemeinsten Register: seine Leute klatschen herum, auf
Sicherheit des Todes gegenüber der bemakelnden, narren¬
baute nur aus den äußerlichen
Straßen und Plätzen, bekannegießern Napoleons Strategie,
den Ungewißheit des Lebens.
Nebengeräusche das Lessing¬
sind voll zudringlicher, schlecht mit Teilnahme verkappten
Vielleicht wollte Schnitzler hier zeigen wie in einer
und riesengroßen Apparat dieses
Neugier für die Unglücke des Nächsten: Randalmacher und
edlen, aber schwachen Natur die große, reine Miene der
Massen=Aufgebot unter Mobil¬
Angstmeier werden vorgeführt, und als ein recht mühsamer
Seele sich zur Grimasse verstellt, so daß der Mensch schau¬
auf. Für das Haus eine gewiß
„Clown“ tritt der „uralte Herr“ auf, der überall, wo etwas
e
dernd vor sich selber flieht. Des Medardus Freund,
ose Verschwendung; für die Zu¬
los ist, sein Gemecker erhebt.
der Buchhändler Etzelt, der philosophische Kopf des Stückes,
tder Vorstellung (von sieben bis
Das sind nun doch die bescheidensten Farben und die dünn¬
drückt das so aus: „Gott wollte ihn zum Helden schaffen,
es „theatralisch Vergnügen“ mit
sten Züge, um Wiener Geschichte in napoleonischer Sphäre zu
der Lauf der Dinge machte einen Narren aus ihm.“
nd deutlicher Lichtung der Reihen;
malen. Und leider werden wir auch nicht befriedigter, wenn
Von Schnitzler, dem scharfsinnigen und zugleich
eise nicht gescheut, eine peinliche
wir aus dem großen Raum in das helldunkle Extrakabinett
schöpferisch darstellenden Psychologen, hätte man freilich
hman ihn noch mit seinem
mit der Aufschrift: „Der junge Medardus“ treten.
verlangt, daß er nicht nur obenhin den „Lauf der Dinge“
dem Mann von fünfzig Jahren
Das Zwielicht der Seele, die Schnitzler einmal das „weite
zeigt, sondern daß er uns einversetzt und zum Miterlebnis
am Logenrand im Vordertreffen,
Land“ genannt, die Gefühlsverwirrung, sein Lieblingsthema,
der inneren Vorgänge seines „halben Helden“ macht. Dies
ich ins Dunkel zurück. Mir
soll hier in einer ungewohnten Umrahmung welthistorischen
bleibt aus.
Geschehens behandelt werden.
Noch schlimmer wirds, daß die Ankurblerin der Schick¬
Der junge Medardus Klähr ist wie seine Freunde, voll
salsmaschinerie, die Prinzessin, kein Wesen, sondern eine
n sich, nachdem man die schwere
Inbrunst und Begeisterung für Vaterland und Recht und
mit Makulaturfetzen ausgestopfte Theaterschlange ist. Man
dieses Abends überwunden —
voll brennendem Haß gegen Napoleon. Diese einfach gerad¬
schämt sich für Schnitzler, den Frauenmann, dieses pa¬
rs, den Schritt vom einsamen
linige Leidenschaft wird ihm zersetzt und ätzend durche
pierenen Zwitters, gezeugt vom Federhalter im Schmink¬
Esgewühl=Dramatik?
einander gewirbelt durch Gefühle, die aus dem verborgenen
topf. Lina Lossens Innerlichkeit war zu schade dafür.
ter dieses: bunte Kulissen öffent¬
Boden seines innerlichsten Seins emporwuchern. Haß und
Der Darsteller des Medardus, Herr Loos, wand sich
nlicher Luft mit der Bewegung
Rachesucht spalten sich und richten sich gegen die vertriebene
krampfhaft durch die Vorgänge seiner Rolle, brachte aber
n, Zeitstimmungsvertreter) hin¬
herzogliche Familie der Valois, der „Emigrierten“ in Wien,
nicht mehr zu Tage, als eben „halt“ seinen Schwächling,
n Bilderbogen, die Panoramen¬
deren Sohn des Medardus Schwester verführt und mit ihr ins
und der kann nicht fünf Stunden fesseln.
lksstücks; in diesem Panoptikum
Wasser gegangen. (Das Vorstadt=Melodramatische in diesem
„Nebenfiguren sind immer das beste“ sagt mal Fantane.
besonderen Figur mit Schnitz¬
Motiv brachte Schnitzler bewußt als stilgemäßes Motiv des
So auch hier: Ilka Grünings tätig wirkende Wiener
ickelt widerspruchsvolle Gefühls¬
„Volksstücks.“)
Hausfrau, gut bürgerlich, aus der dann der elementare
Durcheinander der von den Er¬
Tragische Ironie liegt nun darin: daß Medardus, der
Aufschrei des geängsteten Muttergeschöpfes erschütternd
und der von persönlich innerstem
mit seinem Privathaß die Valois verfolgt, mit seinem
herausbricht. Heinz Salfners ehrenfester Meister
Leidenschaften in einem jungen
Napoleonhaß, der ihm der höhere sein müßte, unfreiwillig
Enchenbacher, der aufrechte, wartkarge Märtyrer; Kay߬
der Parteigänger der verbannten Kronprätendenten und
lers General Rapp, kantig „sehnig, in stählerner Form,
ubude mit Extrakabinett, worin
Feinde des „korsischen Emporkömmlings“ wird. Und nicht
ein Charakter, wie er ihn gern gibt, mit scharf=unerbittlichem
der Seele natürlich
— in
nur Parteigänger, sondern Werkzeug und Handlanger. Denn
Ton und schmalen Lippen. Damals napoleonisch, heute
Vereinigung unter ein Dach zu
Helene von Valois, die Herzogstochter und Prinzessin um¬
würde man sagen: Potsdam.
auch die Einzelteile gerieten
strickt ihn, und er, der Napoleon mit seinen Händen als
Und Landas Herzog von Valois, das Royalisten¬
nhafte, noch, was viel mehr ein Vollstrecker höheren Willens töten wollte, lauert ihm
Phantom, glich im Soleil=Antlitz trotz blinder Augen mit
hSchnitzlerische, die kennerische jetzt auf, weil das Weib, von dem er haß= und liebezerfleischt Puderverücke, Brokat und Delphinkrückstock einem, dem
Ahweifigen Goldrahmen entstiegenen Ahnenbild aus den
orridoren von Versailles.
Felix Poppenberg.