II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 548

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22. Derjunge dardus
Zeitung: Kölnische Zeitung
(Morgen-Ausgabe)
Adresse: Köln a. Nh.
2 7. 0KL. 191
Datum:
Theater und Musik.
Bepliner Theater. — Der junge Medardus, von Artur
Schnitzler.
2./ Elwas spät kömmt das historische Stück des österreichischen Dichters,
das"schon vor mehrern Jahren in Wien aufgeführt wurde, nach Berlin.
Die Theaterleitermüssen wohl ihre begründeten Bedenken gehabt haben,
und einen rechten Erfolg stellte die Berliner Erstaufführung am
Samstag den 24. im Lessingtheater nicht dar. Das Publikum
folgte der 4¾4 Stunden währenden Aufführung mit sichtlicher Ermüdung,
und das Interesse am Stück war sehr gering, bis am Schluß einige leb¬
hafte Szenen doch Aufmerksamkeit und Beifall erzwangen, so daß man
von einer ziemlich günstigen Aufnahme sprechen kann. Dabei hatte die
Spielleitung durch im ganzen recht verständige Kürzungen noch dafür
gesorgt, den Umfang des Stückes zu vermindern, und wären nur die
Dekorationen etwas besser und nicht gar so ärmlich gewesen, so hitte
es,
man mit der Aufführung als solcher zufrieden sein können. Abe
liegen eben in dem Stück selbst Schwächen, die nicht zu überwitdel
sind und die eine nachhaltige Wirkung dauernd ausschließen. Schnißler,
der unsern Bühnen geistreiche und selbst bedeutende Stücke geliefert hat,
wollte in dem jungen Medardus einen Helden, den österreichischen!
Bürgerssohn von 1809, geben, aber einen Helden schaffen, geht über
Schnitzlers Können; er kann es nicht, und wenn er sich noch so sehr an¬

strengt (er hat uns das auch noch mit dem „Professor Bernhardt“ be¬
wiesen). So ist aus dem Ganzen ein Riesen=Freskogemälde des Wiener
Bürgertums von 1809 geworden, eine dramatische Historie in einem
Vorspiel und fünf Aufzügen, in der etwa 70 Personen auftreten, und
deren ungekürzte Aufführung sicher gegen sechs Stunden beanspruchen
dürfte. Die Regie Viktor Barnowskys im Lessingtheater hatte daraus
vernünftigerweise 14 Bilder gemacht, aber auch so wirkt die Handlung
sehr schleppend. Die technischen Fehler des Stückes sind so, daß sie
selbst einem Anfänger in die Augen springen müßten. Ihr größter ist
diese Geschichte mit der französischen Emigranten= und Prätendenten¬
familie, den Valois, die in Wien auf einem alten Schloß sitzen, und in
deren dämonische Tochter Helene sich der junge Medardus Klähr verliebt 1
und an der er schließlich zugrunde geht. Alles an dieser Geschichte ist
unwahr, unglaubhaft, und in einem so gespreizten Ton gehalten, daß der
Zuschauer nicht mitgeht. Medardus ist hier weiter nichts als der verliebte
junge Wiener, den Schnitzler in andern Stücken und Novellen unendlich
besser geschildert hat. Das eigentliche Dramatische jener Tage in Wien,
die Schlacht von Aspern, mit all ihren Hoffnungen, Befürchtungen und
Aussichten, geht ganz im Hintergrund vor sich; von ihr erfahren wir
wenig. Statt dessen schwatzen und reden die Bürger, verarbeiter
Schnitzler historische Erinnerungen an den erschossenen Buchhändle:
Palm, an Friedrich Staps, und macht aus dem Ganzen, wie er sagt,
eine „Historie“. Aber die Historie ist nicht dramatisch genug, und des
Drama nicht interessant genug. Daß manches in den Einzelheiten trotz¬
dem vorzüglich ist, ist bei Schnitzler kein Wunder. In der Charakteristik
sind ihm zwei sehr gute Figuren gelungen; besser als der Brausekopf
Medardus ist seine Mutter, die Buchhändlerswitwe Klähr, und vor
allem ihr Bruder, der Sattlermeister Eschenbacher, der am Schluß,
weil er einen verbotenen Atlas aufbewohrt, erschoffen wird. Dieser
Sattlermeisier fand in der Aufführung durch Herrn Heinz Salfner eine
sehr gute Vertretung; noch besser war freilich der Geschaftsführer Karl
Etzelt, den Aifred Abel spielte. Herr Theodor Loos gab den jungen
Medardus nicht ohne Geschicklichkeit, ohne ihn uns ganz glaubhaft zu
machen, während seine Mutter, die vortreifliche Ilka Grüning, ihre
Rolle etwas kalt spiekte. Von der französischen Gruppe zeichnete sich am
meisten aus Lina Lossen als Prinzessin Helene von Valois; sie bemühte
sich, die Unnatur wenigstens durch etwas Temperament abzuschwächen.
Das Puhlikum, wie erwähnt, blieb dem Stück gegenüber im ganzen kühl.
bos 27/2
Adresse: Stuttgart 28. 0K1194
batun: W
Theater in Berlin.
Unser Berliner Schauspielreferent schreibt:
Wenn man absieht von demskurzen szenischen Prolog
Schmidtbonns, mit dem Reinhardt das Theaterkriegs¬
ahr einsegnete, so hatten wir' am 24. Oktober in Berlin
die erste litetarische Première. Auch das keine Ur¬
r die erste Aufführung im Deutschen
rufführung
Reich sor Athur Schnitzlers Altwiener und
NapoleonsHistchie „Der junge Medardus“. Dem
groß= und koch knehr feinzügigen Drama stand bisher im
Wege, daß außer dem Wiener Burgtheater keine Bühne
sich an das Aufgebot einer ganzen Armee von Schau¬
spielern wagen konnte. Jetzt wurde die Unternehmungs¬
lust des Lessingtheaters gefördert von der zeit¬
gemäßen Vorliebe für Bühnenstücke mit kriegerischem
Prospekt. Die sehr problematische, tiefsinnige und nur
in einzelnen grausamen Szenen vom Kriegsgeist berührte
Dichtung Schnitzlers hat indessen zu der Stimmung
unserer Tage nur geringe Beziehung. Man müßte denn
in dem Wiener Buchhändlersohn Medardus, in diesem
jungen Lebensästheten, den Stepfis und irrende Liebe
tatlos im Kreise drehen, bis er in der Todesstunde sich
selbst und zugleich den Anschluß an die allgemeine Sache
findet, die symbolistische Darstellung des österreichischen
Charakters erblicken. Ein Anatol (Schnitzlers weich¬
mütiger Lebenskünstler) in harter Zeit! An die Psycho¬
logie des Medardus ist Schnitzlers reichstes Wissen und
Können verschwendet. Um das Historienbild zieht sich
ein feingeschnitzter Rahmen. Das köstlichste an dem weit¬
ausgezogenen dramatischen Panorama sind jedoch die
Wiener Volkstypen. Aus spielerischem Element heben sich
so wundervolle Gestalten, wie der skeptisch spöttische Satt¬
lermeister Eschenbacher, der, ein Opfer des Henkers Na¬
poleon, einen erhaben schlichten Heldentod stirht. Den
vollen Glockenton der Tragödie vernahmen wir erst im
allerletzten von den siebzehn Bildern (drei waren für Ber¬
lin gestrichen). Auch ganz zum Schlusse erst erwärmte
sich das Publikum für das ungewöhnliche Drama, und
der Dichter wurde gerufen. —
Ob auch in diesen ernsten Zeiten die deutschen Thea¬
ter von Tilsit bis Graz, von Czernowitz bis Metz auf die
neue Posse der Berliner Firma warteten?
Die neue
Losziehung ist im „Berliner Theater“ vor sich gegangen,
und wenn der laute Beifall des ersten Abends maßgebend
wäre, ist's ein Treffer. Das Sammelsurium alter und
neuer Ulke, das zu Hauf gebracht wird, nennt sich kriegs¬
zeitgemäß „Extrablätter". Doch abgeschwächt wird der
Aerger der Ideologen durch viele Witze, die wenigstens
wirklich witzig sind. Warum aber durchaus den Patrio¬
tismus in's Lachkabinett hineinzerren? Die dazu applau¬
dieren, meinen es gedankenlos-ehrlich.
H. %
P