II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 549

22. Derjunge Medardus
23 0KLI9Migisch Waeind. Tellune Eacen
m:
□ Berlin, 27. Oit.Schnitzlers „Junger Medardus“ im
Lessingtheater. Fünf Jahre nach der Entstehung und vier Jahre
nach der Uraufführung von Arthur Schnitzlers dramatischer
Historie „Der junge Medardus“ ist das figuren= und
szenenreiche Werk nun zum ersten Mal auf einer Berliner Bühne
erschienen. Das Lessingtheater hat an die Darstellung
ldieser Wiener Bilder aus der napoleonischen Zeit viel Mühe und
Kosten gewandt und eine vortreffliche Aufführung herausgebracht,
die in den entzückenden von Karl Walser gemalten Dekorationen,
im Kostüm und im Dialekt von frischer Schtheit war und den vom
Dichter so fein empfundenen Anmutsduft der Kaiserstadt festhielt.
Trotzdem war diese Premiere ein verfehltes Unternehmen, das
keinen warmen Widerhall in den Herzen der Zuschauer erweckten
und ohne rechten Erfolg blieb, denn man hatte mit der Ver¬
pflanzung des Schnitzlerschen Geschichtsdramas auf reichsdeutschen
Boden solange gewartet, bis es — zu spät war. Der große Erfolg
des Stückes an der „Burg“ war wohl in erster Linie dem meister¬
haften Spiegelbild zuzuschreiben, das dieser wienerische Dichter
jin aber Schärfe und doch n einem warmen Lichte der Liebe seinen
Wienern vorgehalten. Aber auch der merkwürdige Held, der im
Mittelpunkt steht, mochte vor vier Jahren noch so manchem als ein
Typus unserer Zeit erscheinen, denn er war ja nur der ewige Held
Schnitzsers, der Anatol seiner Erstlingswerke, der im Kostüm der
napoleonischen Zeit seine alten Zweifel. und Sehnsüchte, Ent¬
täuschungen und Liebeleien beibehalten. Der große Taten¬
sturm der letzten Monate hat dieses bläßliche uni
zwitterhafte Geschlecht Schnitzlerscher Helder
Mit so manchen andern Schemen und Vorurteile:
Ener langen Friedenszeit=hinweggefegt. Dieser
Geld ohne Heldentum, dieses Opfer der Phrase, das sich selbst un
seine Talen belügt, war jetzt doppelt unerträglich. Aber auch ob¬
Ifektiv betrachtel ist die Hauptgestalt dieses Medardus der schwerst

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geseschulerure
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Fehler des an vielen dichterischen Feinheiten reichen und doch
so peinlichen' Stückes. Dieser Jüngling. der seinem Vaierlande
mit Leib und Blut dienen will, der dann dem Phantom einer
eingebildeten Rache nachjagt und in ein bedeutliches Liebesaben¬
teuer gerät, ersticht schließlich, da er sich zur Befreiungstat auf¬
raffen und den korsischen Eroberer töten will, aus Eifersucht seine
Geliebte. Echt Schnitzlerisch hat ihn „Gott zum Helden schaffen
wollen, aber der Lauf der Dinge hat einen Narren aus ihm ge¬
macht". Und dies Narrenspiel vermischt sich mit dem hohlen Ku¬
lissenspiel eines Sardouschen Ausstattungsstückes, in dem ein
Thronprätendent aus dem Königshause der Valois dunkle Pläne
gegen den Korsen schmiedet und seine dämonische Tochter sich bald
als vaterlanderrettende Indith, bald als verliebte Kokette aufspielt.
So ist keine Echtheit in der Tragik des Helden. der nur aus Eigen¬
sinn in den Tod geht, da er zum Schluß das Versprechen ver¬
weigert, nichts mehr gegen Napoleon zu unternehmen; so ist keine
Notwendigkeit in der dramatischen Spannung, die nur Effekte
sucht. Dichterisch schön und ergreifend ist allein das Wiener Bür¬
gerhaus geschildert mit der prächtigen Mutter und dem aufrechten
Oheim, ist das Wiener Leben gesehen mit seinen lebensvollen
Typen und seinen bunten Bildern. All diese liebenswerten Züge
drängte jedoch der Eindruck zurück, daß Schnitzler der Dichter einer
vergangenen Zeit ist, der Schilderer eines zwiespältigen und däm¬
merigen Zwischenlandes, daß seine Kinst sich überlebt hat in einer
Zeit des vollen Lichts und der starken Taten.
7in# ureubischerussische Wette. Es darf jetzt an eine Weite
box 27/2
Zeitung: Rheinisch-Westfälische Zeitung
(Abend-Ausgabe)
Adresse: Essen a. R. 22
0Kr 1944
Datum:
Borlin, 27. Okt. Schnitzlers „Junger Medardus“ im
Lessingtheater. Fünf Jahre nach der Entstehung und vier Jahre
nach der Uraufführung von Arthur Schnitzlers dramatischer
Historie „Der jumge Medardus“ ist das figuren= und
szenenreiche Werk nün zum ersten Mal aufseiner Berliner Bühne
erschienen. Das Lessingtheater hat an die Darstellung
dieser Wiener Bilder,aus der napoleonischen Zeit viel Mühe und
Kosten gewandt und eine vortreffliche Aufführung herausgebracht,
die in den entzückenden von Karl Walser gemalten Dekorationen,
im Kostüm und im Dialekt von frischer= Echtheit war und den vom
Dichter so fein empfundenen Anmutsdüft der Kaiserstadt festhielt.
Trotzdem war diese Premiere ein verfehltes Unternehmen, das
keinen warmen Widerhall in den Herzen der Zuschauer erweckte
und ohne rechten Erfolg blieb, denn man hatte mit der Ver¬
pflanzung des Schnitzlerschen Geschichtsdramas auf reichsdeutschen
Boden solange gewartet, bis es — zu spät war. Der große Erfolg
des Stückes an der „Burg“ war wohl in erster Linie dem meister¬
haften Spiegelbild zuzuschreiben, das dieser wienerische Dichter
in aller Schärfe und doch in einem warmen Lichte der Liebe seinen
Wienern vorgehalten. Aber auch der merkwürdige Held, der im
Mittelpunkt steht, mochte vor vier Jahren noch so manchem als ein
Typus unserer Zeit erscheinen, denn er war ja nur der ewige Held
Schnitzkers, der Anatol seiner Erstlingswerke, der im Kostüm der
napoleonischen Zeit seine alten Zweifel, und Sehnsüchte, Ent¬
täuschungen und Liebeleien beibehalten. Der große Taten¬
sturm der letzten Monate hat dieses bläßliche und
zwitterhafte Geschlecht Schnitzlerscher Helden
mit so manchen andern Schemen und Vorurteilen
einer langen Friedenszeit hinweggefegt. Dieser
Held ohne Heldentum, dieses Opfer der Phrase, das sich selbst um
seine Taten belügt, war jetzt doppelt unerträglich. Aber auch ob¬
jektiv betrachtet ist die Hauptgestalt dieses Medardus der schwerste
Fehler des an vielen dichterischen Feinheiten reichen und doch
so peinlichen Stückes. Dieser Jüngling, der seinem Vaterlande
mit Leib und Blut dienen will, der dann dem Phantom einer
eingebildeten Rache nachjagt und in ein bedenkliches Liebesaben¬
teuer gerät, ersticht schließlich, da er sich zur Befreiungstat auf¬
raffen und den korsischen Eroberer töten will, aus Eifersucht seine
Geliebte. Echt Schnitzlerisch hat ihn „Gott zum Helden schaffen
wollen, aber der Lauf der Dinge hat einen Narren aus ihm ge¬
macht". Und dies Narrenspiel vermischt sich mit dem hohlen Ku¬
lissenspiel eines Sardouschen Ausstattungsstückes, in dem ein
Thronprätendent aus dem Königshause der Valois dunkle Pläne
gegen den Korsen schmiedet und seine dämonische Tochter sich bald
als vaterlanderrettende Judith, bald als verliebte Kokette aufspielt.
So ist keine Echtheit in der Tragik des Helden, der nur aus Eigen¬
sinn in den Tod geht, da er zum Schluß das Versprechen ver¬
weigert, nichts mehr gegen Napoleon zu unternehmen; so ist keine
Notwendigkeit in der dramalischen Spannung, die nur Effekte
sucht. Dichterisch schön und ergreifend ist allein das Wiener Bür¬
gerhaus geschildert mit der prächtigen Mutter und dem aufrechten
Oheim, ist das Wiener Leben gesehen mit seinen lebensvollen
Typen und seinen bunten Bildern. All diese liebenswerten Züge
drängte jedoch der Eindruck zurück, daß Schnitzler der Dichter einer
vergangenen Zeit ist, der Schilderer eines zwiespältigen und dämz
merigen Zwischenlandes, daß seine Kunst sich überlebt hat in einer
Zeit des vollen Lichts und der starken Taten.