II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 552

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22. DerE
Zeitang. Strassburger Post
Adresse: Strassburg K-Els.
Datum:
29. 0Kr 191
ie ine etenge en gersteun un esen.
Das schon vor Jahren entstandene und wiederholt aufgeführte Drama
Der junge Medardy's von Artur Schnitzler wurde dieser Tage
hier, trotzdem die in das Bahr 1809, in die Zeit des zwe en Einzugs
Mapoleons in Wien verlegte Handlung der Stimmung der Stunde sehr
entgegenzukommen schieht mit geringerer Wärme aufgenommen, als bei
seiner Wiener Uraufführung. Das Lessingtheater hatte diesen dickbän¬
digen verkappten Rofuhn, den Schnitzler selbst eine „dramatische Historie
in einem Vorspiel unb fünf Akten“ nennt, wesentlich zusammengestrichen
und auch von den etwa hundert Personen, die da auftreten sollen, eine
ganze Schar geopfert. Dennoch währte die Aufführung von 7 Uhr bis
gegen Mitternacht, und es schälte sich, dem wütenden Blaustift zum
Trotz, doch kein klarer und fester Kern heraus. Gar zu kraus sind die
Schicksale der Bürger Wiens mit denen der Familie des närrischen Her¬
zogs von Valois verstrickt, der seine schwach begründeten Ansprüche auf
die Krone Frankreichs gegen einen Bonaparte behaupten will. Eine
allzu weichliche Romantik drängt sich in das eiserne Regiment Napo¬
leons, der in einer opernhaft aufgebauten Schönbrunner Szene — bei¬
nahe in Person erscheint. Gar zu widerspruchsvoll ist diese Herzogstoch¬
ter, die selbst am Grab ihres Bruders, der mit einem Bürgermädchen
den Tod gesucht hat, starr und stolz einen so kleinen Selbstmord hoff¬
nungsloser Liebe gegen die Erhabenheit der Thronansprüche ihres Ge¬
schlechts abwägt und gleich darauf nach einem von ihr selbst entfesselten
Theaterduell ihres Bewerbers gegen den achtungheischenden Bruder der
Toten, diesen Bruder Medardus in ihre Nähe lockt und in wilder Lei¬
denschaft gefangen hält. Am widerspruchsvollsten aber ist Medardus
selbst, der seinen Napoleonshaß an der Bahre der Schwester sofort ver¬
gißt, sehr unklare Rachegedanken hegt, diese in den Armen der Prin¬
zessin bald aufgibt, bald wieder hochflackern läßt, den gegen Napoleon
gezückten Dolch in plötzlicher Eifersucht der Geliebten ins Herz stößt.
Noch in seiner letzten Stunde weiß er selbst nicht recht und läßt er auch
uns im Zweifel darüber, ob sein gegen die Gnade Napoleons ertrotzter
fertod dem Vaterland (dem er nicht nützen kann) oder der erotischen
ttäuschung eines Jünglings galt, der immer mit seinem Leben gespielt
Die mit großer Sorgfalt vorbereitete und im ganzen vortreffliche
fführung konnte die Verschwommenheit und Zwitterhaftigkeit der
chtung nicht überwinden und trug dem anwesenden Poeten erst am
Schluß den Beifall seiner Freunde ein, die ihn begrüßen wollten.
W.
box 27/2
Zeitung: General-Anzeiger für Düsseldorf
Adyesse: Düsseldorf
2 8. 0KT 10 1
Datum:
* Schnitzlers Junger Medardus im Ver¬
liner Lessingtheater. Aus Berlin wird uns ge¬
schrieben: Fünf Jahre nach der Entstehung und vier
Jahre nach der Utaufführung von Arthur Schnitz¬
lers dramatischer Historie Der junge Medardus
ist das figucen= und szenenreiche Werk nun zum ersten
Male auf einer Berliner=Bühne erschienen. Das Les¬
singtheater hat an die Darstellung dieser Wiener
Bilder aus der napoleonischen Zeit viel Mühe und Kosten

gewandt und eine vortreffliche Aufführung herausge¬
bracht, die in den entzückenden von Karl Walser gemalten
Dekorationen, im Kostüm Hun im Dialekt von frischer
Echtheit war und den vom Dichter so fein empfundenen
Anmutsduft der Kaiserstadt festhielt. Trotzdem war diese
Premiere ein verfehltes Unternehmen, das keinen warmen
Widerhall in den Herzen der Zuschauer erweckte und ohne
rechten Erfolg blieb, denn man hatte mit der Ver¬
pflanzung des Schnitzlerschen Geschichtsdramas auf reichs¬
deutschen Boden so lange gewartet, bis es — zu spät¬
Kr. Der große Erfolg des Stückes an der „Burg“
war ja wohl in erster Linie dem meisterhaften Spiegel¬
bild zuzuschreiben, das dieser wienerische Dichter in aller
Schärfe und doch in einem warmen Lichte der Liebe seinen
Wienern vorgehalten. Aber auch der merkwürdige Held,
der im Mittelpunkt steht, mochte vor vier Jahren noch so
manchem als ein Typus unserer Zeit erscheinen, denn er
war ja nur der ewige Held Schnitzlers, der Anatol seines
Erstlingswerkes, der im Kostüm der napoleonischen Zeit
seine alten Zweifel und Sehnsüchte, Enttäuschungen und
Liebeleien beibehalten. Der große Tatensturm der letzten
Monate hat dieses bläßliche und zwitterhafte Geschlecht
Schnitzlerscher Helden mit so manchen anderen Schemen
und Vorurteilen einer langen Friedenszeit hinweggefegt.
Dieser Held ohne Heldenium, dieses Opfer der Phrase,
das sich selbst um seine Taten belügt, war jetzt doppelt
unerträglich. Aber auch objektiv betrachtet, ist die Haupt¬
gestalt dieses Medardus der schwerste Fehler des an vielen
dichterischen Feinheiten reichen und doch so peinlichen
Stückes. Dieser Jüngling, der seinem Vaterlande mit
Leib und Blut dienen will, der dann dem Phantom einer
eingebildeten Rache nachjagt und in ein bedenkliches
Liebesabenteuer gerät, ersticht schließlich, da er sich zur
Befreiungstat aufraffen und den korsischen Eroberer töten
will, aus Eifersucht seine Geliebte. Echt Schnitzlerisch
hat ihn „Gott zum Helden schaffen wollen, aber der Lauf
der Dinge hat einen Narren aus ihm gemacht". Und dies
Narrenspiel vermischt sich mit dem hohlen Kulissenspiel
eines Sardouschen Ausstattungsstückes, in dem ein Thron¬
prätendent aus dem Königshause der Valois dun de Pläne
gegen den Korsen schmiedet und seine dämonische Tochter
hich bald als vaterlanderrettende Judith, bald als ver¬
liebte Kokette aufspielt. So ist keine Echtheit in der Tragik
des Helden, der nur aus Eigensinn in den Tod geht, da
er zum Schluß das Versprechen verweigert, nichts mehr
gegen Napoleon zu unternehmen; so ist keine Notwendig¬
keit in der dramatischen Spannung, die nur Effekte sucht.
Dichterisch schön und ergreifend ist allein das Wiener
Bürgerhaus geschildert mit der prächtigen Mutter und
dem aufrechten Oheim, ist das Wiener Leben gesehen mit
seinen lebensvollen Typen und seinen bunten Bildern.
All diese liebenswerten Züge drängte jedoch der Eindruck
zurück, daß Schnitzler der Dichter einer vergangenen Zeit
ist, der Schilderer eines zwiespältigen und dämmerigen
Zwischenlandes, daß seine Kunst sich überlebt hat in einer¬