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22. Derjunge Med—dus
Zeitung:
Saule-Zeitung
Adresse:
Halle a. S.
28. 0Kl. 1914
Datum:
— 161—
Kunst und Wiffenschaft.
Schnitzlers „Junger Medardus“ im Lessingtheater.
Aus Berlin wird uns geschrieben: Fünf Jahre nach der
Entstehung und vier Jahre nach der, Uraufführung von Arthur
Schnitzlerg dramatischer Historig „Der junge Medar¬
dus“ ist dassfiguren= und szenenreiche Werk nun zum erstenmal
auf einer Bekliner Bühne erschiegen. Das Lessingtheater
hat an die Darstellung dieser Wiener Bilder aus der napoleo¬
nischen Zeit viel Mühe und Koften gewandt und eine vortreffliche
Aufführung herausgebracht, die in den entzückenden von Karl
Walser gemalten Dekoratioten, im Kostüm und Dialekt von
frischer Echtheit war und den vom Dichter so fein empfundenen
Anmutsduft der Kaiserstadt festhielt. Trotzdem war diese Pre¬
wiere ein verfehltes Unternehmen, das keinen warmen Wider¬
hall in den Herzen der Zuschauer erweckte und ohne rechten Er¬
folg blieb, denn man hatte mit der Verpflanzung des Schnitzler¬
schen Geschichtsdramas auf reichsdeutschen Boden solange gewartet,
zu soät war. Der große Erfolg des Stückes an der
Burg“ war ja wohl in erster Linie dem meisterhaften Spiegel¬
bild zuzuschreiben, das dieser wienerische Dichter in aller Schärfe
und doch in einem warmen Lichte der Liebe seinen Wienern vor¬
gehalten. Aber auch der merkwürdige Held, der im Mittelvunkt
steht, mochte vor vier Jahren noch so manchem als ein Typus
unserer Zeit erscheinen, denn er war ja nur der ewige Held
Schnitzlers, der Anatol seines Erstlingswerkes, der im Kostüm der
napoleonischen Zeit seine alten Zweifel und Sehnsüchte, Ent¬
täuschungen und Liebeleien beibehalten. Der graße Tatensturm
der letzten Monate hat dieses bläßliche und zwitterhafte Ge¬
schlecht Schnitzlerscher Helden mit so manchen andern Schemen und
Vorurteilen einer langen Friedenszeit hinweggefegt. Dieser
Herd ohne Heldentum, Nieses Opfer der Phrase, das sich selbst um
seine Taten belügt, war jetzt doppelt unerträglich. Aber auch
objektiv betrachtet ist die Hauptgestalt dieses Medardus der
schwerste Fehler des an vielen dichterischen Feinheiten reichen und!
doch so veinlichen Stückes. Dieser Jüngling der seinem Vater¬
lande mit Leib und Blut dienen will, der dann dem Phantom
einer eingebildeten Rache nachjagt und in ein bedenkliches Liebes¬
abenteuer gerät, ersticht schließlich, da er sich zur Befreiungstat
aufraffen und den korsischen Eroberer töten will, aus Eisersucht
seine Geliebte. Echt Schnitzlerisch hat ihn „Gott zum Helden
schaffen wollen, aber der Lauf der Dinge hat einen Narren aus
ihm gemacht". Und dieses Narrensviel vermischt sich mit dem!
hohlen Kulissensviel eines Sardouschen Ausstattungsstückes, in
dem ein Thronprätendent aus dem Königshause der Valois
dunkle Pläne gegen den Korsen schmiedet und seine dämonische
Tochter sich bald als vaterlandrettende Judith, bald als verliebte
Kokette aufspielt. So ist keine Echtheit in der Tragik des Helden,
der nur aus Eigensinn in den Tod geht, da er zum Schluß das
Versprechen verweigert, nichts mehr gegen Napoleon zu unter¬
nehmen; so ist keine Notwendigkeit in der dramatischen Span¬
nung, die nur Effekt sucht. Dichterisch schön und ergreifend ist
allein das Wiener Bürgerhaus geschildert mit der prächtigen
Mutter und dem aufrechten Oheim, ist das Wiener Leben gesehen
mit seinen lebensvollen Tynen und seinen bunten Bildern. All
riese liebenswerten Züge drängte jedoch der Eindruck zurück, daß
Schnitzler der Dichter einer vergangenen Zeit ist, der Schilderer
eines zwiesdältigen und dämmerigen Zwischenlandes, daß seine
Kunst sich überlebt hat in einer Zeit des vollen Lichts und der ##
Dr. P. L.M
tarken Toten.
bos 27/2
„(Quellenangabe ohne Gewähll. Tflauel¬
Ganoralanzoiger
Ausschnitt aus:
Düsseldu
191
vom:
* Schnitzters=JungerMedardus im Ber¬
Einer Lessingtheater. Aus Berlin wird uns ge¬
gschrieben: Fünf Jahre nach der Entstehung und vier
Jahre nach der Uraufführung von Arthur Schnitz¬
lers dramatischer Historie Der junge Medardus
ist das figuren= und szenenreiche Werk nun zum ersten
Male auf einer Berliner Bühne erschienen. Das Les¬
singtheater hat an die Darstellung dieser Wiener
Bilder aus der napoleonischen Zeit viel Mühe und Kosten
gewandt und eine vortreffliche Aufführung herausge¬
bracht, die in den entzückenden von Karl Walser gemalten
Dekorationen, im Kostüm und im Dialekt von frischer
Echtheit war und den vom Dichter so sein empfundenen
Anmutsduft der Kaiserstadt festhielt. Trotzdem war diese
Premiere ein verfehltes Unternehmen, das keinen warmen
Widerhall in den Herzen der Zuschauer erweckte und ohne
rechten Erfolg blieb, denn man hatte mit der Ver¬
pflanzung des Schnitzlerschen Geschichtsdramas auf reichs¬
deutschen Boden so lange gewartet, bis °s — zu spät
war. Der große Erfolg des Stückes an der „Burg“!
1
AMAN
war ja wohl in erster Linie dem meisterhaften Spiegel¬
bild zuzuschreiben, das dieser wienerische Dichter in aller
Schärfe und doch in einem warmen Lichte der Liebe seinen
Wienern vorgehalten. Aber auch der merkwürdige Held,
der im Mittelpunkt steht, mochte vor vier Jahren noch so
manchem als ein Typus unserer Zeit erscheinen, benn er
war ja nur der ewige Held Schnitzlers, der Anatol seines
Erstlingswerkes, der im Kostüm der napoleonischen Zeit
seine alten Zweifel und Sehnsüchte, Enttäuschungen und
Liebeleien beibehalten. Der große Tatensturm der letzten
Monate hat dieses bläßliche und zwitterhafte Geschlecht
Schnitzlerscher Helden mit so manchen anderen Schemen
und Vorurteilen einer langen Friedenszeit hinweggefegt.
Dieser Held ohne Heldentum, dieses Opfer der Phrase,
das sich selbst um seine Taten belügt, war jetzt doppelt
unerträglich. Aber auch objektiv betrachtet, ist die Haupt¬
gestalt dieses Medardus der schwerste Fehler des an vielen
dichterischen Feinheiten reichen und doch so peinlichen
Stückes. Dieser Jüngling, der seinem Vaterlande mit
Leib und Blut dienen will, der dann dem Phantom einer
eingebildeten Rache nachjagt und in ein bedenkliches
Liebesabenteuer gerät, ersticht schließlich, da er sich zur
Befreiungstat aufraffen und den korsischen Eroberer töten
will, aus Eifersucht seine Geliebte. Echt Schnitzlerisch
hat ihn „Gott zum Helden schaffen wollen, aber der Lauf
der Dinge hat einen Narren aus ihm gemacht“. Und dies
Narrenspiel vermischt sich mit dem hohlen Kulissenspiel
eines Sardouschen Ausstattungsstückes, in dem ein Thron¬
prätendent aus dem Königshause der Valois dunkle Pläne
gegen den Korsen schmiedet und seine dämonische Tochter
sich bald als vaterlanderrettende Judith, bald als ver¬
kliebte Kokette aufspielt. So ist keine Echtheit in der Tragik
des Helden, der nur aus Eigensinn in den Tod geht, da
er zum Schluß das Versprechen verweigert, nichts mehr
gegen Napoleon zu unternehmen; so ist keine Notwendig¬
keit in der dramatischen Spannung, die nur Effekte sucht.
Dichterisch schön und ergreifend ist allein das Wiener
Bürgerhaus geschildert mit der prächtigen Mutter und
dem aufrechten Oheim, ist das Wiener Leben gesehen mit
seinen lebensvollen Typen und seinen bunten Bildern.
All diese liebenswerten Züge dräugte jedoch der Eindruck
zurück, daß Schnitzler der Dichter einer vergangenen Zeit
ist, der Schilderer eines zwiespältigen und dämmerigen K
Zwischenlandes, daß seine Kunst sich überlebt hat in einer ###
Zeit des vollen Lichts und der starlen
W Ein Amerikaner als Herold der deutschenn
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Zeitung:
Saule-Zeitung
Adresse:
Halle a. S.
28. 0Kl. 1914
Datum:
— 161—
Kunst und Wiffenschaft.
Schnitzlers „Junger Medardus“ im Lessingtheater.
Aus Berlin wird uns geschrieben: Fünf Jahre nach der
Entstehung und vier Jahre nach der, Uraufführung von Arthur
Schnitzlerg dramatischer Historig „Der junge Medar¬
dus“ ist dassfiguren= und szenenreiche Werk nun zum erstenmal
auf einer Bekliner Bühne erschiegen. Das Lessingtheater
hat an die Darstellung dieser Wiener Bilder aus der napoleo¬
nischen Zeit viel Mühe und Koften gewandt und eine vortreffliche
Aufführung herausgebracht, die in den entzückenden von Karl
Walser gemalten Dekoratioten, im Kostüm und Dialekt von
frischer Echtheit war und den vom Dichter so fein empfundenen
Anmutsduft der Kaiserstadt festhielt. Trotzdem war diese Pre¬
wiere ein verfehltes Unternehmen, das keinen warmen Wider¬
hall in den Herzen der Zuschauer erweckte und ohne rechten Er¬
folg blieb, denn man hatte mit der Verpflanzung des Schnitzler¬
schen Geschichtsdramas auf reichsdeutschen Boden solange gewartet,
zu soät war. Der große Erfolg des Stückes an der
Burg“ war ja wohl in erster Linie dem meisterhaften Spiegel¬
bild zuzuschreiben, das dieser wienerische Dichter in aller Schärfe
und doch in einem warmen Lichte der Liebe seinen Wienern vor¬
gehalten. Aber auch der merkwürdige Held, der im Mittelvunkt
steht, mochte vor vier Jahren noch so manchem als ein Typus
unserer Zeit erscheinen, denn er war ja nur der ewige Held
Schnitzlers, der Anatol seines Erstlingswerkes, der im Kostüm der
napoleonischen Zeit seine alten Zweifel und Sehnsüchte, Ent¬
täuschungen und Liebeleien beibehalten. Der graße Tatensturm
der letzten Monate hat dieses bläßliche und zwitterhafte Ge¬
schlecht Schnitzlerscher Helden mit so manchen andern Schemen und
Vorurteilen einer langen Friedenszeit hinweggefegt. Dieser
Herd ohne Heldentum, Nieses Opfer der Phrase, das sich selbst um
seine Taten belügt, war jetzt doppelt unerträglich. Aber auch
objektiv betrachtet ist die Hauptgestalt dieses Medardus der
schwerste Fehler des an vielen dichterischen Feinheiten reichen und!
doch so veinlichen Stückes. Dieser Jüngling der seinem Vater¬
lande mit Leib und Blut dienen will, der dann dem Phantom
einer eingebildeten Rache nachjagt und in ein bedenkliches Liebes¬
abenteuer gerät, ersticht schließlich, da er sich zur Befreiungstat
aufraffen und den korsischen Eroberer töten will, aus Eisersucht
seine Geliebte. Echt Schnitzlerisch hat ihn „Gott zum Helden
schaffen wollen, aber der Lauf der Dinge hat einen Narren aus
ihm gemacht". Und dieses Narrensviel vermischt sich mit dem!
hohlen Kulissensviel eines Sardouschen Ausstattungsstückes, in
dem ein Thronprätendent aus dem Königshause der Valois
dunkle Pläne gegen den Korsen schmiedet und seine dämonische
Tochter sich bald als vaterlandrettende Judith, bald als verliebte
Kokette aufspielt. So ist keine Echtheit in der Tragik des Helden,
der nur aus Eigensinn in den Tod geht, da er zum Schluß das
Versprechen verweigert, nichts mehr gegen Napoleon zu unter¬
nehmen; so ist keine Notwendigkeit in der dramatischen Span¬
nung, die nur Effekt sucht. Dichterisch schön und ergreifend ist
allein das Wiener Bürgerhaus geschildert mit der prächtigen
Mutter und dem aufrechten Oheim, ist das Wiener Leben gesehen
mit seinen lebensvollen Tynen und seinen bunten Bildern. All
riese liebenswerten Züge drängte jedoch der Eindruck zurück, daß
Schnitzler der Dichter einer vergangenen Zeit ist, der Schilderer
eines zwiesdältigen und dämmerigen Zwischenlandes, daß seine
Kunst sich überlebt hat in einer Zeit des vollen Lichts und der ##
Dr. P. L.M
tarken Toten.
bos 27/2
„(Quellenangabe ohne Gewähll. Tflauel¬
Ganoralanzoiger
Ausschnitt aus:
Düsseldu
191
vom:
* Schnitzters=JungerMedardus im Ber¬
Einer Lessingtheater. Aus Berlin wird uns ge¬
gschrieben: Fünf Jahre nach der Entstehung und vier
Jahre nach der Uraufführung von Arthur Schnitz¬
lers dramatischer Historie Der junge Medardus
ist das figuren= und szenenreiche Werk nun zum ersten
Male auf einer Berliner Bühne erschienen. Das Les¬
singtheater hat an die Darstellung dieser Wiener
Bilder aus der napoleonischen Zeit viel Mühe und Kosten
gewandt und eine vortreffliche Aufführung herausge¬
bracht, die in den entzückenden von Karl Walser gemalten
Dekorationen, im Kostüm und im Dialekt von frischer
Echtheit war und den vom Dichter so sein empfundenen
Anmutsduft der Kaiserstadt festhielt. Trotzdem war diese
Premiere ein verfehltes Unternehmen, das keinen warmen
Widerhall in den Herzen der Zuschauer erweckte und ohne
rechten Erfolg blieb, denn man hatte mit der Ver¬
pflanzung des Schnitzlerschen Geschichtsdramas auf reichs¬
deutschen Boden so lange gewartet, bis °s — zu spät
war. Der große Erfolg des Stückes an der „Burg“!
1
AMAN
war ja wohl in erster Linie dem meisterhaften Spiegel¬
bild zuzuschreiben, das dieser wienerische Dichter in aller
Schärfe und doch in einem warmen Lichte der Liebe seinen
Wienern vorgehalten. Aber auch der merkwürdige Held,
der im Mittelpunkt steht, mochte vor vier Jahren noch so
manchem als ein Typus unserer Zeit erscheinen, benn er
war ja nur der ewige Held Schnitzlers, der Anatol seines
Erstlingswerkes, der im Kostüm der napoleonischen Zeit
seine alten Zweifel und Sehnsüchte, Enttäuschungen und
Liebeleien beibehalten. Der große Tatensturm der letzten
Monate hat dieses bläßliche und zwitterhafte Geschlecht
Schnitzlerscher Helden mit so manchen anderen Schemen
und Vorurteilen einer langen Friedenszeit hinweggefegt.
Dieser Held ohne Heldentum, dieses Opfer der Phrase,
das sich selbst um seine Taten belügt, war jetzt doppelt
unerträglich. Aber auch objektiv betrachtet, ist die Haupt¬
gestalt dieses Medardus der schwerste Fehler des an vielen
dichterischen Feinheiten reichen und doch so peinlichen
Stückes. Dieser Jüngling, der seinem Vaterlande mit
Leib und Blut dienen will, der dann dem Phantom einer
eingebildeten Rache nachjagt und in ein bedenkliches
Liebesabenteuer gerät, ersticht schließlich, da er sich zur
Befreiungstat aufraffen und den korsischen Eroberer töten
will, aus Eifersucht seine Geliebte. Echt Schnitzlerisch
hat ihn „Gott zum Helden schaffen wollen, aber der Lauf
der Dinge hat einen Narren aus ihm gemacht“. Und dies
Narrenspiel vermischt sich mit dem hohlen Kulissenspiel
eines Sardouschen Ausstattungsstückes, in dem ein Thron¬
prätendent aus dem Königshause der Valois dunkle Pläne
gegen den Korsen schmiedet und seine dämonische Tochter
sich bald als vaterlanderrettende Judith, bald als ver¬
kliebte Kokette aufspielt. So ist keine Echtheit in der Tragik
des Helden, der nur aus Eigensinn in den Tod geht, da
er zum Schluß das Versprechen verweigert, nichts mehr
gegen Napoleon zu unternehmen; so ist keine Notwendig¬
keit in der dramatischen Spannung, die nur Effekte sucht.
Dichterisch schön und ergreifend ist allein das Wiener
Bürgerhaus geschildert mit der prächtigen Mutter und
dem aufrechten Oheim, ist das Wiener Leben gesehen mit
seinen lebensvollen Typen und seinen bunten Bildern.
All diese liebenswerten Züge dräugte jedoch der Eindruck
zurück, daß Schnitzler der Dichter einer vergangenen Zeit
ist, der Schilderer eines zwiespältigen und dämmerigen K
Zwischenlandes, daß seine Kunst sich überlebt hat in einer ###
Zeit des vollen Lichts und der starlen
W Ein Amerikaner als Herold der deutschenn
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