II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 573

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22. Denjunge Medardus
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Wenn schon mit den Zweiundvierzi¬
gern selbst schlecht Kirschen essen ist,
so findet man doch vielleicht am
äußersten Gürt“' ihrer Schallwir¬
kung einen friedlichen Punkt, wo
wenigstens noch ein Gruseln, ein
Schauer oder gar eine wohlig nach¬
schwingende Erschürterung von den
großen Creignissen her zu spüren ist.
So oder ähnlich mag das Lessing¬
theater gerechnet haben, als es sich
jetzt doch noch, fünf Jahre nach der
Entstehung des Werkes, dazu ent¬
schloß, AESmm „Jun.
gen Medardus“ aufzuführen. Das
Stück spielt 1800 in Wien, als die
Österreicher, einstweilen noch allein,
ohne Preußen, den Freiheitskampf
gegen Napoleon begannen; sein
junger Held, voller Feuer und Haß
gegen den seine schöne Vaterstadt
bedrohenden Feind, zieht gleich in
der ersten Szene die Uniform des
Landwehrmannes an und brennt
auf die erste Schlacht; es klingt von
Trommeln und Pfeifen, blitzt von
Gewehren und Säbeln in den acht¬
zehn Bildern, die diese dramatische
Historie entrollt, und am Ende fällt
gar der heroische Schatten des ver¬
haßten Tyrannen selber drohend
und unheimlich in das Stück —
wenn wir bisher kein Zutrauen zu
dem wort= und personenreichen
Sechsakter fassen konnten, jetzt, wo
in Galizien und Flandern die
Kanonen donnern und in Polen
Reichsdeutsche und Österreicher
Schulter an Schulter im Kugelregen
stehen, muß einem solchen Stück,
sollt man denken, die Wirkung doch
von selber zufallen. Freilich, es ist
kein eigentliches Kriegsstück, in dem
die Völker aufeinanderschlagen, und
zu Schluß wird nicht Viktoria ge¬
schossen, sondern der Wiener Bür¬
gerssohn, der anfangs so entschlos¬
sen und siegesgewiß tat, fällt im
Gefängnishof als Opfer seiner ziel¬
losen Halbheit unter den Gewehr¬
kugeln napoleonischer Füsiliere
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aber vielleicht verschafft gerade diese
kluge Enthaltsamkeit vom öffent¬
lichen Kriegsschauplatz, diese fried¬
liche Besiedelung bürgerlicher Be¬
zirke dem Werke den menschlichen
Erfolg, von dem seine jüngeren
kriegerisch gewollten Brüder so weit
entfernt bleiben. Die Hoffnung
möchte sich erfüllen, wenn sich die
Halbheit des „Helden“, der seinen
kriegerischen und vaterländischen
Beruf nur zu bald über romantisch¬
erotischen Eitelkeiten seines kleinen
Ichs vergißt, nicht auch auf das
Stück fortpflanzte. Es möchte ein
Vaterlandsdrama, und wenn das
nicht, so doch eine „dramatische Hi¬
storie“ sein, in der des Krieges
bald schriller bald dumpfer Wider¬
hall die menschlichen Geschicke be¬
stimmt, und es wird doch nur eine
krause, aufgelöste Bilderfolge dar¬
aus, die allenfalls durch ihre feinen
kulturgeschichtlichen Aquarellveduten
den Liebhaber bloßer Antiquitäten
fesseln, nun und nimmer aber mit
ihren phantastisch wuchernden Ro¬
manhaftigkeiten dem aus Vater¬
landsnot und Schicksalsschwere ge¬
horenen sehnsüchtigen Hochgefühl
lodernder Seelen Genüge leisten
kann. Möglich, daß wir noch vor
einem Jahre dieses seelische Klein¬
maß des Stückes übersehen oder
doch weniger schmerzlich empfunden
hätten — vor den großen Erleb¬
nissen, die inzwischen über uns ge¬
kemamen sind, schrumpft dieser Me¬
dardus Klähr, dieser kleinbürgerliche
Hamletino, der „kaum geschaffen
ist, andres zu erleben, als den
Klang seiner Worte“, vollends zu
einem belanglosen „Narren der Tat“
zusammen, und die halben Unter¬
töne tragischen Geschehens, über die
Schnitzler hier weniger denn je hin¬
auskommt, finden jetzt, wo alltäg¬
lich die vollen Akkorde mächtiger
Wirklichkeit zu uns dringen, erst
recht nicht den Weg zu unsern
Herzen. Mit Duell=, Dolch= und