II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 574

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22. Der junge-Medardus
Schlafzimmeraffären, wie sie zwi= nolinen= und Vatermörderstück be¬
reitete. Und nicht bloß das: auch
schen dem jungen Wiener Buch¬
für den Ernstesten gab es Augen¬
händlerssohn und der stolzen, kal¬
blicke, wo ihn vor dem kleinbürger¬
ten, doch unterm Eise um so be¬
lich=preziösen Getue der Frau
gieriger glühenden Prinzessin von
Unter=Steuereinnehmerin, des Herrn
Valois spielen, drückt man die
Bau=, Berg= und Wegeinspektors¬
innere Wucht und Größe solcher
Substituten, der Frau Stadt=Akzise¬
Stücke nur um so tiefer herab.
Kassa=Schreiberin und des Herrn
Eine Melodie zu falschen Worten
Vize=Kirchenvorstehers und Gewürz¬
auf untauglichem Instrument
krämers das Lachen überwältigte.
In der ersten Szene dieses Stückes
Dann aber kam die Langeweile
setzt sich der ehrliche Sattlermeister
und der Arger über die Selbst¬
Jakob Eschenbacher (der merkwürdig
gefälligkeit dieses Banalitätenkrams,
gut über die innere Verfassung
man schämte sich des Lachens und
seiner Wiener Landsleute unter¬
litt nun erst recht unter dem schrei¬
richtet ist) ans dünne Spinett und
enden Widerspruch von Einst und
spielt, was ihm just so aus den
Heute. Die Literaturgeschichte mag
Fingern kommt. „Was ist's denn,
manche Sünden auf dem Gewissen
was du da spielst?“ fragt ihn Frau
haben, mag oft ihr heiligstes Ge¬
Klähr, seine Schwester. „Die Melo¬
bot vergessen haben, daß sie nicht
die, die fordert ein andres Instru¬
töten, sondern lebendig machen soll,
ment, da wünscht man sich Trom¬
den Mann des trivialen Wohlbeha¬
meln und Pfeifen dazu! Es möchte
gens, der zu seinen Lebzeiten einen
ja beinahe ein kriegerischer Marsch
Goethe und Schiller um die Gunst
sein.“ — „Möchte wohl und weiß
des Publikums betrog, hat sie mit
es nicht!“ antwortet er ironisch ..
Recht abgetan. Auch in der falschen
Wenn sich nun schon der furcht¬
Maske eines von der Wirklichkeit
baren Wirklichkeit dieses Krieges
ablenkenden Trösters soll er uns
nicht mit gleichen stählernen Waffen
nicht über die Schwelle dieser Tage!
beikommen läßt, so vielleicht mit
Louis Angely, Kotzehues
den Mitteln sanften Kontrastes. Als
Theatersekretär, dann Komiker am
der Himmel eingesehen hatte, wie
Königstädtischen Theater in Berlin
vergeblich all sein Bemühen war,
und Verfasser unzähliger Singspiele
dem Wanderer durch Wind und
und Possen, den aus ähnlichen
Sturm den Mantel vom Leibe zu
Motiven befreiender Kontrastwir¬
reißen, ließ er die Sonne scheinen:
kungen das Kleine Theater Unter
da legte der Erwärmte die Hülle
den Linden wieder aufleben ließ,
aus freien Stücken ab. Frommt
könnte eigentlich allein schon durch
Nähe nicht, so vielleicht Flucht in
seine altmodisch=umständliche Harm¬
äußerste schußsichere Ferne, denken
losigkeit alle Kritik der Gegenwart
die Kammerspiele des Deutschen
entwaffnen. Aber das ist es nicht
Theaters und führen Kotzebues
allein, weswegen man sein „Fest
„Deutsche Kleinstädter“ auf,
der Handwerker“ und selbst sein
diese Philistersatire eines Krähwink¬
verstaubtes Liederspiel „Familie
lers, der selber im Glashause saß.
Rüstig“ ungern mit den „Deut¬
Wer Reinhardtische Biedermeier¬
schen Kleinstädte.n“ in einen Topf
Inszenierungen kennt, wird sich un¬
werfen möchte. Es steckt doch ein
schwer vorstellen können, welchen
gut Stück kernigen, tapferen Volks¬
mit Selbstironie und Spielwitz ge¬
witzes in jenem munteren Bilde
würzten Festschmaus er sich und sei¬
nen Schauspielern mit diesem Kri= aus dem Berliner Alltagsleben der
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