II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 582


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hefte M. —,25. Verlag von
B. G. Teubner, Leipzig¬
Berlin), entgegen. Ich weise zu¬
nächst darauf hin, daß das, „was man
Militarismus gruni, keine Eigentüm¬
lichkeit Deutschlands allein sei; es ist das
gemeinsame Kennzelchen der europäischen
„ #
Rundschau
aus dem „Der junge Medardus“ her= Identifizierung von Kunstwerk und
Publikum durch das Gefühl erfolgt,
vorging, in gewissem Sinne jener
möchte ich doch hervorheben, daß dieses
„äußeren Freiheit“ ermangelt, die nach
Gefühl sich nicht momentan Durch¬
Schiller zur Genesis jedes großen
bruch verschafft, nicht „auf den ersten
Kunstwerkes erforderlich ist; er war
Blick". Bei seiner Wiener Première
sozusagen zu seiner Inspiration ver¬
(24. November 1910) tat „Der junge
pflichtet. Richts destoweniger ist „Der
Medardus“ keineswegs das, was man
junge Medardus“ die Krone seiner
durchschlagen nennt. Es war eine
Schöpfungen geworden und geblieben
Première wie jede andere, eine Schnitz¬
bis auf den heutigen Tag. Auf dem
ler=Première allerdings und von einer
Hintergrund eines erotischen Konflikts
Spieldauer, wie man sie am gleichen
hat Arthur Schnitzler eine volkstypische
Ort nur dem „Faust" und „Don
Dichtung geschaffen, — denn das ist
Carlos“ verstattet hatte. Im übrigen
„Der junge Medardus“. Richt Me¬
aber eine durchschnittliche Burgtheater¬
dardus Klähr und Helene von Valois,
première mit dem durch hundertjährige
die der Dichter als Liebes= und Hasses¬
Übung geheiligten Zeremoniell (— nur
paar zusammenführt, sind die Prota¬
einmaliges Offnen desselben Bühnen¬
gonisten des Dramas. Es hat, wir
bildes, nach dem ersten Fallen des
sagten es, nur einen Helden: Wien¬
Vorhangs Erscheinen eines Regisseurs,
Österreich.
der den Dank des Autors ausdrückt,
Das Wiener Publikum nun, das
nach dem zweiten dann Vortreten und
Publikum des Burgtheaters, ist sich
Verbeugung des Autors in Person —).
dieser tiefern Bedeutung des Stückes
Auch die Stellungnahme des Publi¬
freilich nicht durchwegs bewußt ge¬
kums war kaum von der durchschnitt¬
worden; aber gefühlsmäßig er¬
lichen verschieden. Der Dichter er¬
faßt wurde sie von allen. Denn in dem
wachte am nächsten Morgen nicht be¬
Stücke bewegen sich nicht bloß Wiener
rühmter, als er des Abends gewesen war.
Menschen, werden nicht bloß Wiener
Aber allmählich vollzog sich der Um¬
Ortlichkeiten vorgeführt; in ihm liegt,
schwung, — die Stadien desselben
weiß Gott wie und wo verborgen,
lassen sich heute nicht mehr bezeichnen.
echteste Wiener Stimmung, und
Genug, etliche Monate nach der Erst¬
solche bedarf nicht verstandesmäßiger
aufführung war „Der junge Medar¬
Zergliederung, um nacherlebt zu werden.
dus“ berühmt, volkstümlich, zum
Es genügt, wenn ihr eine feelische
Standardwerk des Burgtheaters erhöht.
Disposition entgegengebracht wird, die,
Man sah das Stück zum zweiten Mal
von ihr angerührt, gleichsam ins Mit¬
an, zum dritten, immer wieder. Man
schwingen gerät und das befeuernde
entdeckte, nachdem man sich einmal in
Gefühl geistiger Selbsttätigkeit auslöst.
der verschlungenen Fabel zurecht ge¬
funden und häuslich eingerichtet hatte,
Wie soll es aber möglich sein, daß
norddeutsche Menschen diese Voraus¬
einen solchen Reichtum an Einzelschön¬
setzung erfüllten? . . . Thomas Mann
heiten, daß hier wirklich das Wort an¬
zuwenden und zu bejahen war: „Wer
sagt in seiner „Königlichen Hoheit“
vieles bringt, wird jedem etwas
daß Leute, die einem Fürsten Hoch
bringen.“
rufen, sich selbst damit meinen. Auch
Mir ist das Werk in der Beseelung,
einem Kunstwerk rufen wir nur Hoch,
die es vom Burgtheater erhalten, so
wenn wir uns selbst darin wieder¬
teuer geworden, daß ich ihm oft mit
finden
Wenn ich auch erwähnte, daß die einem Gefühl nachhänge, das ich richtig
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