II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 583

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22. Derjungedardus
Rundschau
nur Heimweh nennen kann. Wenn
denken —, die Agathe Klähr unserer
ich etwa durch den Schloßhof von
genialen Karoline Medelsky,
Schönbrunn schreite, (er ist der Schau¬
von der Künstlerin mit jener mädchen¬
platz der vorletzten Szene — im Burg¬
haften Mütterlichkeit umgeben, die ihr
theater hat ihn Lefflers Meister¬
eignet, und zutiefst in eine Traurigkeit
hand, die auch die übrigen Dekorationen
getaucht, über welche hin und wieder
schuf, verblüffend getreu hingezaubert):
ein verirrtes Lachen auffliegt.
*
dann verwünsche ich die Wirklichkeit
Und dies alles sollte ebenso gut fern
und sehne mich in den verdunkelten
von Wien, außerhalb des Burgtheaters,
Raum vor den gemalten Prospekt.
zu Fleisch und Blut erstehen können?
Nein, es sollte nicht, es hat nicht
Oder ich begegne an einem Abend,
sollen sein. Die Berichte, die von der
da man den „Medardus“ gibt und ich
Berliner Aufführung kamen, haben
doch der Vorstellung nicht beiwohnen
meinen Gefühlszweifeln recht gegeben.
kann, den zuströmenden Theatergästen:
„Und alles kam, wie es kommen mußte,
wie beneide ich sie, und welche Traurig¬
alles, wie es kommen mußte“ — ihr
keit befällt mich selbst, als ob ich
erinnert euch wohl, daß es so in „Jett¬
immerdar verdammt sei und ausge¬
chen Gebert“ heißt. „Der junge Me¬
schlossen von aller Freude.
darbus“ wird auch weiterhin „Der
Und wenn ich, fern von Wien, die
junge Medardus“ des Burgtheaters
Buchausgabe des lieben Stückes her¬
bleiben. Für seinen guten, bundes¬
nehme: so klingt mir jedes Wort dieser
brüderlichen Willen möge das Lessing¬
wundervoll edel stilisierten und dennoch
theater gleichwohl bedankt sein.
natürlichen Sprache in der Kadenz im
Ohr, die ich von den Schauspielern des
Burgtheaters vernahm. Mit ihrer
Stimme werden sie dann selbst lebendig:
Alfred Geraschs mit tobender
Zeit=Rundschan.
Leidenschaft aufgefüllter Medardus
Klähr; die marmorkalte und mit einem
Von Geheimrat Dr. Richard Paasch.
jäh aufglühende Prinzessin Helene der
unbeschreiblich schönen Else Wohl¬
Von Raum und Zeit.
gemuth, (die in dieser Rolle ihren
Burgtheaterruhm begründete); der
Memento momenti! Vergangen¬
Meister Eschenbacher, den Robert
heit und Zukunft sind Bilder —, viel¬
Balajthy im Ebenbild des alten
leicht Trugbilder.
Grillparzer schuf, (nun ist der Part an
Mar Paulsen, Ritter des Eisernen
Das zeitlose Ich bedarf des
Kreuzes übergegangen, und auch bei ihm
Schleiers der Maja als einer Hülle,
in guter Hut); die mater dolorosa
um, fern vom Licht der Erkenntnis,
des Medardus, vom Dichter unver¬
nicht zu erfrieren; wie es andererseits
gleichlich konzipiert, von Hedwig
seiner als eines Schutzes bedarf, um
Bleibtren unvergleichlich darge¬
nicht geblendet zu werden, sobald es sich
mit seinen unzureichenden Organen der
stellt, in ihrer Tränenlosigkeit zu Tränen
Sonne des Unbedingten zu nähern ge¬
rührend; Otto Treßlers Etzelt,
eine virtuos ausgeprägte Raisonneur¬
wagt hat. Am Gewebe dieses Schleiers
figur; und endlich — ich kann hier
bilden Vergangenheit und Zukunft die
nicht jeder der 78 handelnden Personen,
Kette, deren Einschlag uns die Umwelt
die der Zettel nennt, besonders ge= liefert. Beide sind Anschauungsformen,
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