II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 584

22. Denjunge-Medandus
Arthur Schnitzlers
Kriegsschauspiel.
„Der junge Medardus“ im Lessing¬
theater.
Wenn Authur Schnitzler schon vor fünf
Jahren diesen Ausflug in die Geschichte seiner
Wiener Heimat unternahm, so geschah es, zum
Teil vielleicht unbewußt, aus bestimmten öster¬
reichischen Stimmungen, deren Sinn wir jetzt erst
recht verstehen. Den „jungen Medardus“
könnte man als den Typus des Oesterreichertums
nehmen, wie es sich vor dem Kriege empfand:
eine Gestalt voll tapferer Anlagen, von Sehnsucht
erfüllt, sich großen Zielen und Gedanken hinzu¬
geben, doch „urett####verswrickt in porsönliche
Hefühlskonflikte zu schwach, um zuregewollken=Tat
zu schreiten.
Eine „dramatische Historie“, nicht ein „histo¬
risches Drama“ hat der Dichter vorsichtig das
Werk genannt. Denn was sich abrollt, ist eine
Reihe
von Bildern aus dem Jahre
1809, die mehr einen epischen Ablauf
als eine dramatische Verknupfung zeigen.
Er ging dabei auch ganz wie ein Ro¬
mandichter vor, mit breit ausgemaltem Zeit¬
hintergrund aus dem zweiten Krieg Napoleons
gegen die Habsburger Monarchie, und mit einer
richtigen Romanhandlung, die sich davon abhebt.
Der Buchhändlerssohn Medardus Klär zieht nicht
in den Krieg gegen die Franzosen, weil ihn der
Selbstmord seiner Schwester aus dem Gleichge¬
wicht-schleudert. Sie ging mit dem Sohn eines
französischen Royalisten##in den Tod, der im
Wiener Exil lebte. Und weiter: Medardus führt
seinen Vorsatz, Napoleon zu ermorden, nicht aus,
weil er sich in eine Liebesaffäre mit der Schwester
dieses Aristokraten verwickelt und, da sie die Ge¬
liebte Napoleons geworden, nicht den Kaiser der
Franzosen, sendern die Ungetreue erdolcht.
Die bedeutsame Schlußszene aber bringt den
Umscht
Medardus bekennt seine Absicht.
Er sc
ch die Freiheit erlangen, wenner
sein¬
Napoleon nicht mehr nach dem¬
Lebe
ten. Er verweigert es. Und geht
ruhig
Todn Der junge Wiener Bürgers¬
sohn ist aus weschem Schwanken zu helden¬
mütiger Festigkeit erwacht. Wir nehmen auch
das heute als ein österreichisches Symbol.
Das alles erscheint bei Schnitzler freilich sehr
lose gefügt und nicht in einer innerlichen Not¬
wendigkeit aufgezeigt, sondern mehr von außen
in Bewegung gesetzt. Der Hauptreiz liegt in den
fast volksstückmäßig gehaltenen Szenen, die
Wiener Wesen und Leben zur Zeit der Schlacht
bei Aspern schildern, und von denen gestern leider
bei den unvermeidlichen Streichungen des über¬
läng geratenen Schauspiels beträchtliche Teile
geopfert werden mußten. Was übrig blieb,
wirkte unmittelhar. Hier spürt man die Schnitz¬
lersche Kunst, Alltäglich=Bürgerliches mit leiser
Poesie zu füllen und menschliche Charaktere in¬
einander zu weben. In der ausgezeichneten Regie
Barnowskis, die mit dem Riesenapparat der
sechzig redenden Personen (von der Statisterie zu
schweigen) spielend fertig wurde, und im Nahmen
von Karl Walsers liebenswürdigen Dekorationen
kam das sehr lebensvoll heraus. Die Herren Abel,
Salfner, Herzfeld, Adalbert, Gottowt, die Damen
Grüning und v. Hansen träten besonders hervor.
Bürgertypen der verschiedensten Sorte, Senti¬
mentales, Resolutes, Altväterisches, wie Vor¬
klänge von Waldmüllers Biedermeiern, Mensch¬
liches. Der Romanfigur der Prinzessin, von
Schnitzler zu sehr auf „dämonisches Weib“ hin
zugeschnitten, gab Lina Lossen ihre Schönheit!
und ihr gebändigtes Gefühl. Medardus selbst
war Herr Loos. Er hat das Zeug zu dem
schlanken Burschen, der von Stimmungen und
Erregungen, denen er nicht gewachsen, hin= und
hergezerrt wird. Was ihm freilich fehlt, ist:
20
box 27/2
Glanz und echte Ueberzeugungskraft. Doch in
dem schönen Aufstieg der Schlußszene fand auch
er eine Haltung, die ergriff.
Max Osborn.