II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 591

Die wichtigsten Premieren im Oktober 1914
Aufführungen von werken von Arthur Schnitzler
Der
Tünge Nneddtuus
dramatische historie in fünf Aufzügen und einem vorspiel von
Archut=Schiihter
Angenommen resp. aufgeführt: Berlin, lessingtheater — Prag, Rgl. Deutsches Landestheater — Wien, hofburgtheater.
Aufführung in Berlin, Lessingtheater
daß wir dem Werk und seinem dichter, dem deutschen dichter die Franzosen, weil ihn der Selbstmord seiner Schwester aus dem Gleich¬
Arthur Schnitzler, freudig entgegenkommen, ist gewiß. Am Schluß gewicht schleudert. Sie ging mit dem Sohn eines französischen Royalisten
wurde der Name des Autors gerufen.
in den Tod, der im Wiener Exil lebte. Und weiter: Medardus führt
Wo in den Ländern, die uns jetzt in Not und Tod wünschen, wo seinen Vorsatz, Napoleon zu ermorden, nicht aus, weil er sich in eine
ist unter den heute Lebenden ein Poct, zumindest ein Dramatiker, der Liebesaffäre mit der Schwester dieses Aristokraten verwickelt und, da sie
ein lebenswerk von so ealler Gestalt und voll von so echtem menschen= die Geliebte Napoleons geworden, nicht den Kaiser der Franzosen sondern
tum aufweisen kann wie dieser erst künfzigjährige Schnitzler.
die Ungetreue erdolcht. Die bedeutsame Schlußszene aber bringt den Um¬
Immer mit diesem Blick auf den großen Weltparnaß wollen
schwung. Medardus bekennt seine Absicht. Er soll dennoch die Freiheit
und müssen wir jetzt Schnitzler empfinden und uns seiner freuen.
erlangen, wenn er sein Wort gibt, Napoleon nicht mehr nach dem Leben
Wir lieben auch in diesem dramatisch formulierten Epos sein goethisches
zu trachten. Er verweigert es und geht ruhig in den Tod. Der junge
deutsch mit dem wienerischen Akzent und seine lächelnde Seele.
Wiener Bürgersohn ist aus weichem Schwanken zu heldenmütiger Festig¬
In der Tat, wir sehen zwei „Helden“, aber wir sehen in dem ge¬
keit erwacht. Wir nehmen an das heute als ein österreichisches Symbol.
staltenreichen Stück auch siebzig, achtzig wahre Menschen. Wir empfinden,
der hauptreiz liegt in den fast volksstückmäßig gehaltenen
wie sie als leibhaftige Spiegelbilder des Lebens gerade jetzt, die
Szenen. hier spürt man unmittelbar die Schnitzlersche Kunst,
einen abschreckend und die anderen besaubernd, zu uns sprechen
Alltäglich Bürgerliches mit leiser Poeste zu füllen und menschliche
wollen.
Charaktere ineinander zu weben.
Berliner Morgenpost
Wenn Schnitzler um das Jahr 1909 diese Szene vom Jahre 1809,
aus dem Wien der zweiten napoleonischen Besetzung, aus den Tagen
die Sympathien des Publikums waren dem Stück von vornher¬
von Aspern und Wagram geschrieben hat, so ist das mehr als eine
ein sicher, spielte es doch in einer Zeit des österreichischen Heldenkampfes
gute Idee und mehr als Pietät. Ein Neu=Österreicher schildert
gegen das übermächtige Frankreich. Am Schluß kam es zu großen
Alt=Österreich aus dem Gefühl für die Gegenwart und Zukunft.
Beifallskundgebungen für den dichter, der persönlich erschienen war
Berliner Tageblatt
und sich mit den Darstellern wiederholt vor der Rampe zeigen mußte.
Neue Freie Presse, Wien und Tagespost, Graz
Ein richtiges Kriegsdrama: Ausmarsch von Kriegsfreiwilligen, Be¬
lagerung und Okkupation von Wien, Unterzeichnung von Friedensakten.
Man begreift, was zu der Wahl dieser dramatischen Historie reizte.
Schnitzler hat seinen Medardus vor mehreren Jahren geschrieben
In dem „Jungen Medardus“ lebt etwas von den Problemen, vor
und es ist wahrhaftig kein Gelegenheitsstück. Berliner Börsen-Courier
die das abstrakte Geschlecht von 1914 durch den Krieg gestellt ist.
Der Dichter wurde am Schluß wiedlerholt gerufen.
Es lebt viel feines in diesem Spiel mit liebe und Tod, mit
Schickfal und Willen, beldentum und Skeptik. Schnitzler, der der
Freisinnige Zeitung
Aufführung beiwohnte, konnte für den freundlichen beifall danken.
Das Köstlichste an dem weitausgezogenen dramatischen Pano¬
Leipziger Neueste Nachrichten
rama sind jedoch die mannigfaltigsten Wiener Volkstypen, scharf
Das ist der starke dramatische Konflikt, der sich in keinen,
individualisiert im einzelnen und doch zur Einheit gebunden. Ein
kunstvollen Bildern auflöst. Stille, gütige Worte werden gesprochen.
Sprühregen von alles verstehender Ironie geht über sie nieder.
Berliner Volks=Zeitung
Leipziger Tageblatt
das haus zollte den verdienten überreichen Beifall.
Alles, was an volkstümlich=historischer, speziell wienerischer Klein¬
Die Post (Morgen=Ausgabe)
malerei den eigentlichen Kern der Handlung umrankt, ist volkstümlich
Auch ist die Zeitstimmung gut getroffen, und wunderschön hebt sich
und historisch im besten Sinne, bringt eine fülle echter Cypen aus
die Lebens= und Liebeslust Altwiens aus den Bedrängnissen des polnischen
der Wiener Franzosenzeit (1809) und stilisiert die Eigenart der ge¬
Unglücks heraus.
schilderten Periode trefflich, ohne zur Trockenheit der „echten“ Historie
Tägliche Rundschau
zu erstarren.
Berliner Lokal=Anzeiger
Aus dem Werke, zumal den ersten Szenen, haucht der heiße Rtem
einer schweren kriegerischen Epoche, und wenn auch Schnitzlers Skepsis
Den „jungen Medardus“ könnte man als den Cypus des öste
hier an große Werte rührt, so verletzt sein Takt niemals ein jetzt
reichertums nehmen, wie es sich vor dem Kriege empfand: eine G.=
doppelt erregbares Gefühl.
stalt voll tapferer Anlagen, von Sehnsucht erfüllt, sich großen Zielen und
Viele dieser kleinen braven Bürgersleute sind mit feinen Strichen
Gedanken hinzugeben, doch unrettbar verstrickt in persönliche Gefühls¬
lebendig gezeichnet, am interessantesten die symbolische und doch ganz
konflikte, zu schwach, um zur gewollten Tat zu schreiten.
reale Figur des „uralten Mannes“, der alle Jugend überdauert. Hier
Der Buchhändlersohn Medardus Klär zieht nicht in den Krieg gegen ist der echte Schnihler am Wort.
Berliner Zeitung am Mittag