22. Denjunge Medandus
DOBSERVERC
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
1
220
Ausschnitt aus:
Wr. gemeine Zefung Wen
vom:
-8 NAI 1932
AHLEATE ILIK
„Medardus“ wider
Willen:
Eigenartiger Schnitzler=Abend des Burg¬
Meirers
Die Absicht war allzu klar: Ein beschä¬
mend leeres Haus, Ganze Logenrangreihen
unbesetzt. Offenbar strengste Freikarten¬
sperre. Diese Freikartensperre ist ein wun¬
dervolles Mittel. Gegen Dichter wie gegen
lästige geistige Verpflichtungen.
Der sehr verspätete Gedächtnisabend
für Arthur Schnitzler mußte dem Burg¬
theater nämlich erst freundschaftlich abge¬
nötigt werden. Dafür hat man 's uns jetzt
gründlich gezeigt. Uns und Arthur Schnitz¬
ler. Zerknirscht verließ man die Auffüh¬
rung noch vor Schluß. Besseres und
Würdigeres war nicht zu tun.
Welch eine Aufführung! (Der Demon¬
stration zweiter Teil!) Schon diese Flicken¬
und Fetzen=Inszenierung verriet die lieb¬
lose Hand und überdies eine aufreizende
Gleichgültigkeit. Hofrat Herterich hätte als
Regisseur — obzwar er begreiflicher Weise
vom Kleinkrieg des Burgtheaters genug
hat — mehr Proben, ein paar Ueber¬
malungen und einige Besetzungsfreiheit
fordern sollen. Der Besetzungsschlendrian,
namentlich bei den kleineren Episoden,
macht nämlich erschreckende Fortschritte.
Auch sieht es, wenn die Freiwilligen
des Erzherzogs Karl dann in friedlicher
Uniform wiederkehren, doch gar zu sehr
nach St. Pölten aus. (Den Vergleich mit
Krems hat mir mein Freund Aslan schon
vor Jahren untersagt.)
Und doch gelang der Beweis daneben.
Der „Medardus“, diese Revue aphoristi¬
scher Erschütterung, ist noch immer jung als
große Theatermagie eines Schicksalsdichters
des Blutes, der Nerven und der hold und
heiß umschatteten Ironie. Nur die listig
sanfte Technik dieser Dämmerszenen scheint
heute ein wenig Rokoko. Hier wäre eine
Regieaufgabe. Ein Temperamentsproblem.
Ein nicht nur technisches Zauberkunststück.
Seelisch nämlich, psychologisch, beinahe;
box 27/3
drängtem Nestroy=Akzent, jedenfalls seyr der tief harmonischen österreichischen Un¬
männlich und mit fast launiger Schwermut
vollkommenheit. Die Tragödie des verklär¬
aus der kuriosen Affäre. Den Denunzianten
ten Pallawatsch. Das Heldenlied vom heroi¬
Wachshuber — noch ist Arnold Korffs
schen Raunzer oder, wenn man will, Anatol
1809.
Genievisage der Gemeinheit unvergesse —
liefert Herr Huber jetzt in subalternerer,
Wundervoll, wie seine gelassene Schick¬
aber schmissig schleichender Ausgabe. Sehr
salsenergie diese saloppe Aufführung über¬
solid und sauber sind. Emmerich Reimers,
strahlt. Wie es da und dort aufblitzt, heiß
nobel gemessen Herr Pranger, mit originel¬
ans Herz greift, wie hoch und leuchtend die
lem Griff niedlich Fräulein Kramer, bild¬
Raketen bittersüßen Geistes steigen. Wie
diese Figuren dastehen, marmorkühl und von
haft würdig Anna und zart durchseelt
später Sonne abschiedsmild umspielt. Wie
Elisabeth Kallina in kleineren, freilich sicht¬
der wilde Wind der Jugend durch dunkle
lich rasch gefeilten Chargen. Maria Mayens
Wipfel fährt. Wie sich stolz und stumm
drollige und zärtlich schnoddrige Zofe hat
Arme und Wünsche umschlingen.
schon schärfere Kontur.
Als „Zeitbild“ kann man all das frei¬
Da Herr Höbling als General Rapp
lich nicht mehr hinpinseln. Man muß schon
abgegangen, sagt die Prinzeß Helene: „Ein
zu dieser fast fratzenhaften Dämonie vor¬
schlechter Komödiant war da!“ Aber ich
dringen, zu diesem beinahe koketten Blut¬
muß auf die verlockende Pointe leider ver¬
rausch, zum lächelnd mitleidlosen Lebens¬
zichten. Denn inmitten mancher Galopp¬
und Liebesschachspieler Arthur Schnitzler.
entgleisung dieses Abends wahrt Herrn
Das Burgtheater aber sei bescheiden
Höblings selbst= aber auch sprachsichere
gebeten, von solch ostentativ unlustigen
Strammheit die Ehre der Burgtheater¬
Ehrungen abzusehen. Wir widerrufen das
diktion.
voreilige Gelüst reuig. Reuig im Geiste
Dennoch klappert und plappert das
Arthur Schnitzlers, der auf stillen Wegen,
alles nebeneinander her. Wirkt verwischt
herbstumraschelt, sein Werk ruhen und rei¬
und verwackelt. (Gegenbeisptel: Straßnts
fen ließ.
gigantisch gespenstischer „uralter Herr“.)
Keine Sorge, das Burgtheater wird,
Schnitzler, keineswegs verwöhnt durch
würdiger und ehrfurchtsvoller, auf den
Pietätsbeweise, wirds überstehen. Der
„Medardus“ zurückkommen. Oder es wird
„Medardurs“ schon gar. Er ist Arthur
nicht mehr das Burgtheater sein.
Schnitzlers „Peer Gynt“. Das Epos von
Ludwig Ullmann.
ersensennen
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Wr. gemeine Zefung Wen
vom:
-8 NAI 1932
AHLEATE ILIK
„Medardus“ wider
Willen:
Eigenartiger Schnitzler=Abend des Burg¬
Meirers
Die Absicht war allzu klar: Ein beschä¬
mend leeres Haus, Ganze Logenrangreihen
unbesetzt. Offenbar strengste Freikarten¬
sperre. Diese Freikartensperre ist ein wun¬
dervolles Mittel. Gegen Dichter wie gegen
lästige geistige Verpflichtungen.
Der sehr verspätete Gedächtnisabend
für Arthur Schnitzler mußte dem Burg¬
theater nämlich erst freundschaftlich abge¬
nötigt werden. Dafür hat man 's uns jetzt
gründlich gezeigt. Uns und Arthur Schnitz¬
ler. Zerknirscht verließ man die Auffüh¬
rung noch vor Schluß. Besseres und
Würdigeres war nicht zu tun.
Welch eine Aufführung! (Der Demon¬
stration zweiter Teil!) Schon diese Flicken¬
und Fetzen=Inszenierung verriet die lieb¬
lose Hand und überdies eine aufreizende
Gleichgültigkeit. Hofrat Herterich hätte als
Regisseur — obzwar er begreiflicher Weise
vom Kleinkrieg des Burgtheaters genug
hat — mehr Proben, ein paar Ueber¬
malungen und einige Besetzungsfreiheit
fordern sollen. Der Besetzungsschlendrian,
namentlich bei den kleineren Episoden,
macht nämlich erschreckende Fortschritte.
Auch sieht es, wenn die Freiwilligen
des Erzherzogs Karl dann in friedlicher
Uniform wiederkehren, doch gar zu sehr
nach St. Pölten aus. (Den Vergleich mit
Krems hat mir mein Freund Aslan schon
vor Jahren untersagt.)
Und doch gelang der Beweis daneben.
Der „Medardus“, diese Revue aphoristi¬
scher Erschütterung, ist noch immer jung als
große Theatermagie eines Schicksalsdichters
des Blutes, der Nerven und der hold und
heiß umschatteten Ironie. Nur die listig
sanfte Technik dieser Dämmerszenen scheint
heute ein wenig Rokoko. Hier wäre eine
Regieaufgabe. Ein Temperamentsproblem.
Ein nicht nur technisches Zauberkunststück.
Seelisch nämlich, psychologisch, beinahe;
box 27/3
drängtem Nestroy=Akzent, jedenfalls seyr der tief harmonischen österreichischen Un¬
männlich und mit fast launiger Schwermut
vollkommenheit. Die Tragödie des verklär¬
aus der kuriosen Affäre. Den Denunzianten
ten Pallawatsch. Das Heldenlied vom heroi¬
Wachshuber — noch ist Arnold Korffs
schen Raunzer oder, wenn man will, Anatol
1809.
Genievisage der Gemeinheit unvergesse —
liefert Herr Huber jetzt in subalternerer,
Wundervoll, wie seine gelassene Schick¬
aber schmissig schleichender Ausgabe. Sehr
salsenergie diese saloppe Aufführung über¬
solid und sauber sind. Emmerich Reimers,
strahlt. Wie es da und dort aufblitzt, heiß
nobel gemessen Herr Pranger, mit originel¬
ans Herz greift, wie hoch und leuchtend die
lem Griff niedlich Fräulein Kramer, bild¬
Raketen bittersüßen Geistes steigen. Wie
diese Figuren dastehen, marmorkühl und von
haft würdig Anna und zart durchseelt
später Sonne abschiedsmild umspielt. Wie
Elisabeth Kallina in kleineren, freilich sicht¬
der wilde Wind der Jugend durch dunkle
lich rasch gefeilten Chargen. Maria Mayens
Wipfel fährt. Wie sich stolz und stumm
drollige und zärtlich schnoddrige Zofe hat
Arme und Wünsche umschlingen.
schon schärfere Kontur.
Als „Zeitbild“ kann man all das frei¬
Da Herr Höbling als General Rapp
lich nicht mehr hinpinseln. Man muß schon
abgegangen, sagt die Prinzeß Helene: „Ein
zu dieser fast fratzenhaften Dämonie vor¬
schlechter Komödiant war da!“ Aber ich
dringen, zu diesem beinahe koketten Blut¬
muß auf die verlockende Pointe leider ver¬
rausch, zum lächelnd mitleidlosen Lebens¬
zichten. Denn inmitten mancher Galopp¬
und Liebesschachspieler Arthur Schnitzler.
entgleisung dieses Abends wahrt Herrn
Das Burgtheater aber sei bescheiden
Höblings selbst= aber auch sprachsichere
gebeten, von solch ostentativ unlustigen
Strammheit die Ehre der Burgtheater¬
Ehrungen abzusehen. Wir widerrufen das
diktion.
voreilige Gelüst reuig. Reuig im Geiste
Dennoch klappert und plappert das
Arthur Schnitzlers, der auf stillen Wegen,
alles nebeneinander her. Wirkt verwischt
herbstumraschelt, sein Werk ruhen und rei¬
und verwackelt. (Gegenbeisptel: Straßnts
fen ließ.
gigantisch gespenstischer „uralter Herr“.)
Keine Sorge, das Burgtheater wird,
Schnitzler, keineswegs verwöhnt durch
würdiger und ehrfurchtsvoller, auf den
Pietätsbeweise, wirds überstehen. Der
„Medardus“ zurückkommen. Oder es wird
„Medardurs“ schon gar. Er ist Arthur
nicht mehr das Burgtheater sein.
Schnitzlers „Peer Gynt“. Das Epos von
Ludwig Ullmann.
ersensennen