II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 645

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22. Der jungedandus
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Der junge Medardus

von Walther Lutz.
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anzen und Sterben — der schauernde Reiz, das kapriziöse
Zucken liebebittender Menschenherzen, das heiße Lachen und
2 Küssen, vermengt mit ein bischen Angst und Stannen vor
der Härte des Lebens, das Durchtollen dieses ganzen Reigens bis zu der
einen Stunde, in der ein paar sehnsüchtige Tränen der Erkenntnis ihm in
die Augen traten, der bitteren Erkenntnis, daß es nun aus sein soll
— das alles, etwas weniger geschmacklos, dafür tiefer und aufrich¬
tiger, war die Seele des Jünglings gewesen, der einmal Anatol ge¬
heißen hat und später noch ein paar andere Namen hatte und heute
— tot ist. Heute kam ein anderer, ein Medardns, einer, der jung
und heiß von einer tieferen Sehnsucht ist, der sich im Sturm ein
Leben ertrotzen will, der alles von sich verlangt und doch immer
wieder vor sich selber zurückschreckt, dessen Schmerz und Begeisterung
viel größer sind als er selbst. Und hinter ihm reckt sich riesengroß,
mordlechzend und verderbenglühend eine titanische Zeit auf. Ihre
Fluten schlagen über den armen Menschlein zusammen, bevor kaum
einige von ihnen wissen, daß nun alles ganz anders geworden ist.
Aus allen Winkeln Wiens flammt die Begeisterung, das, was
bei diesem Volte an die Stelle des Heimatgefühles getreten ist —

die Begeisterung für irgend etwas, das ihnen in einem Augenblick

als das Größte erscheint. Was verschlägts, wenn sie heute Collins
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Kriegslieder singen und dem Erzherzog Karl zujauchzen und morgen
vor den Toren Schönbrunns rufen: „Es lebe der Kaiser Napoleon!“
Mitten aus dieser seltsamen, so ganz österreichischen, — uns
heute bis zu ihrem Hausrat wieder modern gewordenen Zeit griff
der Dichter den einen heraus, um an ihm zu zeigen, wie klein die
Menschen sein können im Verhältnis zu ihrer Geschichte. Dieser
eine ist Medardus, in dessen Brust so viele Seelen wohnen.
Vielleicht hat Schnitzler nicht so sehr eine Tragödie des
Neunerjahres schreiben wollen, als vielmehr das, was die Tra¬
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Aeenhele
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