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22. Der junge dardus
box 27/4
rächen wollte. Das sind alles Dinge, die im Leben starke Wirkungen
erschließen mögen, im Drama aber der spezifisch tragischen Resonanz
entbehren.
Medardus allein würde uns wohl gänzlich entfremdet werden,
wenn ihn uns seine Umgebung nicht immer und immer wieder näher¬
bringen müßte, denn rings um ihn stehen die eigentlichen Helden
des Stückes. Seine Mutter, sein Onkel Jakob Eschenbacher, des
Medardus Freund Etzelt und — die Prinzessin Helene. Dieser Jakob
Eschenbacher ist wohl die ansprechendste Gestalt des ganzen Buches.
Auch er liebt Wien und Österreich über alles. Doch er kennt seine
Mitbürger so genau und weiß, wie das Ende wieder sein wird,
aber er steht auf seinem Platz, sobald der Kaiser ruft. Er lebt und
arbeitet in jener still=lächelnden Resignation des Österreichertums,
das weiß, daß es für andere ist. An des Medardus Seite schreitet
sein Freund Etzelt, die Gestalt des auscheinend unabänderlichen Be¬
raters aller großen Helden, der dem Medardus alle jene Wahrheiten
sagen muß, die ihm zu einem großen Helden fehlen.
So wird die Tragödie des Medardus zu einem fast lyrischen
Zwischenspiel in der Historic. Rings um ihn her geschehen die großen
Dinge, und erst am Ende, da die trauliche Liebesgeschichte ein peinlich
tragisches Ende genommen hat, wird Medardus durch einen sonder¬
baren Zufall der Held der Geschichte.
Aber vielleicht läßt man sich durch das ganz auffallende Ab¬
rücken der wirklichen Heupthandlung Medardus=Helene von der
großen Szene der Befreiungstragödie dazu verleiten, das Stück zu
einem großen geschichtlichen Schauspiel zu stempeln, und ist dabei der
Absicht des Dichters doch nicht ganz gerecht geworden. Denn die
Historie heißt: „Der junge Medardus“ und geht nicht von
den Großen, deren Namen jede Stimme nennt, sie erzählt von den
Kleinen, die unter den vielm Tausenden mitgehen, die für die großen
Dinge und Taten sterben nüssen, ohne daß es ihnen gelungen wäre,
sich hinaufzuschwingen und vor allem Volke einen Anderen hinab¬
zustoßen.
460
Man müßte den jungen Medardus vielleicht mehr in diesem
Sinne eine österreichische Tragödie nennen, denn Medardus starb
für ein Heldentum, das ihm innerlich fremd war, liebte und starb
als einer unter den Millionen, die durch die Zeiten gehetzt werden,
die selbst das Große wohl zu ehren und zu erkennen vermögen,
aber weder den Mut noch die Kraft besitzen, mit eigenen Händen
es zu vollbringen.
„Der junge Medardus.“ Dramatische Historie von Arthur Schnitzler. —
Berlin, S. Fischer Verlag.
# Sue
22. Der junge dardus
box 27/4
rächen wollte. Das sind alles Dinge, die im Leben starke Wirkungen
erschließen mögen, im Drama aber der spezifisch tragischen Resonanz
entbehren.
Medardus allein würde uns wohl gänzlich entfremdet werden,
wenn ihn uns seine Umgebung nicht immer und immer wieder näher¬
bringen müßte, denn rings um ihn stehen die eigentlichen Helden
des Stückes. Seine Mutter, sein Onkel Jakob Eschenbacher, des
Medardus Freund Etzelt und — die Prinzessin Helene. Dieser Jakob
Eschenbacher ist wohl die ansprechendste Gestalt des ganzen Buches.
Auch er liebt Wien und Österreich über alles. Doch er kennt seine
Mitbürger so genau und weiß, wie das Ende wieder sein wird,
aber er steht auf seinem Platz, sobald der Kaiser ruft. Er lebt und
arbeitet in jener still=lächelnden Resignation des Österreichertums,
das weiß, daß es für andere ist. An des Medardus Seite schreitet
sein Freund Etzelt, die Gestalt des auscheinend unabänderlichen Be¬
raters aller großen Helden, der dem Medardus alle jene Wahrheiten
sagen muß, die ihm zu einem großen Helden fehlen.
So wird die Tragödie des Medardus zu einem fast lyrischen
Zwischenspiel in der Historic. Rings um ihn her geschehen die großen
Dinge, und erst am Ende, da die trauliche Liebesgeschichte ein peinlich
tragisches Ende genommen hat, wird Medardus durch einen sonder¬
baren Zufall der Held der Geschichte.
Aber vielleicht läßt man sich durch das ganz auffallende Ab¬
rücken der wirklichen Heupthandlung Medardus=Helene von der
großen Szene der Befreiungstragödie dazu verleiten, das Stück zu
einem großen geschichtlichen Schauspiel zu stempeln, und ist dabei der
Absicht des Dichters doch nicht ganz gerecht geworden. Denn die
Historie heißt: „Der junge Medardus“ und geht nicht von
den Großen, deren Namen jede Stimme nennt, sie erzählt von den
Kleinen, die unter den vielm Tausenden mitgehen, die für die großen
Dinge und Taten sterben nüssen, ohne daß es ihnen gelungen wäre,
sich hinaufzuschwingen und vor allem Volke einen Anderen hinab¬
zustoßen.
460
Man müßte den jungen Medardus vielleicht mehr in diesem
Sinne eine österreichische Tragödie nennen, denn Medardus starb
für ein Heldentum, das ihm innerlich fremd war, liebte und starb
als einer unter den Millionen, die durch die Zeiten gehetzt werden,
die selbst das Große wohl zu ehren und zu erkennen vermögen,
aber weder den Mut noch die Kraft besitzen, mit eigenen Händen
es zu vollbringen.
„Der junge Medardus.“ Dramatische Historie von Arthur Schnitzler. —
Berlin, S. Fischer Verlag.
# Sue