II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 650

22. Der jung
Medardus
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Rundschau.
(cülit, C.Keg.
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Scheinbar differenziert: denn in Wahrheit macht sich
ten Bildern, die sich aber nicht zur Kunstform eines
nur die Wichtigkeit bemerklich, die der jugendliche
Romans fügen.
Student jedem Wort und jeder Geste beilegt: seine
Eine Übersetzung, die nur mit Freude an den lite¬
geistigen und dialektischen Turniere sind ein wenig
rarischen Grenzpfählen begrüßt werden kann, ist
Windmühlenkampf — und seine Schicksale wirken
„Rutland"*) eine Seegeschichte von Jonas Lie.
ungefähr wie die Tagebuchnotizen eines intellek¬
Die Schilderung von ein paar Menschenschicksalen,
tuellen Studenten mit erotischen Stationen. Das
mit denen das alte Schiff Rutland beladen ist, gibt
andere Buch erhebt sich aus den gleichen geistigen
der gemütvolle Erzähler mit seiner ganzen Wärme
Voraussetzungen, aus kluger Jugend mit literarischen
und Schalkhaftigkeit; da in dem ziemlich langen Ver¬
Allüren, aber ohne eigentliche Gestaltungskraft, in
lauf des Buches es naturgemäß einige seichtere
etwas pathetischere Regionen. Die immerhin sorg¬
Stellen gibt, wäre es vielleicht besser gewesen, es in
lichen Großstadtschilderungen Biberichs sind hier
kleine Novellen zu teilen, mit je einer Pointe und
durch eine Malerei mit phantastischerem Pinsel abge¬
der Verbindung, die die gleichen Personen und das
löst, deren Bewußtheit aber keinen Augenblick im
gleiche Milien geben; die Geschichte von der Alabaster¬
Zweifel bleibt. Um das schwärmerische Paar
uhr und „Mann über Bord“ könnte auf diese Weise
„Manfred und Helena“*:), das dem Buch den
betonter und abgeschlossener wirken. Jonas Lie
Titel gibt, weht die Luft aus dem Land, wo die
gleicht in seiner volkstümlichen Weichheit und Wärme
Myrthe still und hoch der Lorbeer steht und wo
unsern naturnahen Dichtern; er ist ein wenig der
Annunzio seine Romane geschrieden hat. Es fehlt
Rosegger des nordischen Meeres.
H. A. S.
dem Autor, Emil Ludwig, gar nicht an schön geschau¬
28 Leipzig, Georg Merseburger 1911. Übersetzt von
27) S. Fischer, Verlag, Berlin 1911. Geh. 3.50 Ml.,
geb. 4.50 Mk.
Emilie Stein in Wien. Einbandzeichnung von Albert
Andresen. Druck der Spamer'schen Buchdruckerei, Leipzig.
Neuere Dramen. II.
„Die Ratten“ Berliner Tragikomödie,?) gehört
Gerhakt Hauptmann hat die in unseren allge¬
wiederumsder naturalistischen Produktionsreihe=Ger¬
meinen Ausführungen an dieser Stelle jüngst rurz
hart Häuptmanns an. Ursprünglich beabsichtigte
umrissenen Wandlungen alle mitgemacht. Als
der Dichter, wie wir wissen, eine Roman=Serie,
starrer Naturalist begann dieser große Dichter des
die das Berliner Leben darstellen sollte. Der Stoff
Mitleids, als Verfechter des altruistischen Sozialis¬
der „Ratten“ verleugnet auch nicht die romanhafte
mus. Das Sehnen nach dem Übermenschentum riß
Herkunft. Da er uns ins dunkelste Berlin führt, ist
ihn, aus der passiven Enge Ibsenscher Familien¬
er natürlich der eines Hintertreppen= und Kriminal¬
trägödien zum Traum von der Versunkenen Glocke,
Romanes. Schauplatz ist eine ehemalige Kavallerie¬
die wir alle in uns tönen hören; die Herrschaft der
kaserne, deren wirkliche Existenz sogar unlängst nach¬
Physis über die Psyche führte ihn zur Gestaltung
gewiesen wurde; überhaupt hat Hauptmann sich
von Kaiser Karls Geisel und Griselda, eine alte
nicht gescheut, in der Wirklchkeit unsres Alltags be¬
Legende formte er um im Armen Heinrich, auch den
kannte Namen und „Lokales“ zu verwenden, so unter
Herrn von Ithaka begann er, den heimkehrenden,
anderm die zu einem Gesangverein zusammenge¬
dramatisch zu behandeln.
schlossenen Plattenbrüder, den Präsidenten Maddei
Bei allem Grau in Grau entging ihm aber die
u. v. a. Auf dem Dachboden der Kavalleriekaserne
komische Seite der Elendmalerei durchaus nicht,
hat der Ex=Theaterdirektor Harro Hassenreuter
weder die sarkastische Note (Biberpelz) noch auch die
seinen Theaterfundus untergebracht, hier hält er
rührende Lächerlichkeit (Kollege Crampton) sind
Unterricht, hier hat er, der Not gehorchend, eine Art
ihm fremd.
Maskenleihanstalt etabliert, hier empfängt er auch
Eine zwiespältige poctische Triebkraft wirkt in
den Besuch einer ehemaligen Schülerin und „Freun¬
ihm, der unbestritten der Dichter des letzten Men¬
din“. Hier wirtschaftet aber auch die Frau John
schenalters war, die romantische Kraft kämpft mit
herum, Maurerpoliersgattin, die dem Direktor die
der unerbittlichen naturalistischen. Die erste schöpft
Räume und den Fundus in Ordnung hält und
aus dem pietistisch angehauchten Religionstum
reinigt. Hier hausen endlich auch Ratten. Auch das
Hauptmanns, die letzte aus den Naturwissenschaften
Gespenst eines selbstmörderischen Reiters soll sich
und der Wirklichkeit.!)
zeigen.
Tiefer, im zweiten Stock, liegt die Wohnung der
1)
Siehe auch: Kurt Sternberg „Gerhart Hauptmann.
Frau John, das ist der zweite Schauplatz der „Ratten“.
Der Entwicklungsgang seiner Dichtungen.“ Verlag Neues
Leben. Wilhelm Borngräber, Berlin.
*) S. Fischer Verlag, Berlin 1911.
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