Me
22. Der junge dardus
box 27/4
116
Rundschau.
Der Kreis um den Direktor ergibt ein komisches
Ein Augenblick ist da in der schon erwähnten Ver¬
Künstlerdrama, der Kreis um die John eine Mutter¬
flechtung der beiden Personengruppen in Situa¬
schaftstragödie. Ortlich übereinander und künst¬
tionen, der eine erschütternde Wirkung ausübt. Der
lerisch nebeneinander laufen die beiden Dramen, nur
Direktor und Spitta streiten wieder, Spitta hat be¬
durch die Personen und durch Situationen mit¬
hauptet, „daß unter Umständen ein Barbier oder
einander verknüpft. Noch ein Gemeinsames haben
eine Reinemachfrau aus der Mulackstraße ebenso
die beiden Gruppen. Amoralisch ist die Unterschicht
gut ein Objekt der Tragödie sein könnte als Lady
(Arbeiter, Dirnen, Zuhälter, Hausmeister), jenseits
Maebeth und König Lear“; ferner „wenn sich das
von Gut und Böse stehen die Künstler, in denen sich
deutsche Theater erholen will, so muß es auf den
Charakterlosigkeit und Idealismus einigen. (Um
jungen Schiller, den jungen Goethe des Götz ... zu¬
einem Mißverständnis vorzubeugen, sei es zur Er¬
rückgreifen“; dann habe Goethe „senile“ Schau¬
klärung erlaubt, hier an Richard Wagners Selbst¬
spielerregeln aufgestellt. Der Direktor wütet da¬
biographie und den Streit um des Genies bürger¬
gegen, Spitta sei eine Ratte, Rattenplage gäb's in
lichen „Charakter“ hinzuweisen.)
der Politik, in der Kunst, überall. Der Streit löst sich
in lautes Gelächter der Schüler (mit Ausnahme
Abgesehen davon, daß in dieser Tragikomödie das
Spittas) und des Direktors auf. In diesem Augen¬
Tragische und Komische nicht auseinander und in¬
blick steigt die Frau John und der Hausmeister vom
einander wirkt, ist das Tragische überwiegend und
Boden herunter, wo sie nach Spuren von Dieben
zwar so stark, daß wir am Ende nur das Tragische
gesucht haben, die zwei Kisten vom Fundus gestohlen
spüren. Daß Hauptmann die beiden Elemente nicht
haben sollen; wobei der Hausmeister einen schwedi¬
in einer Person, in einer Handlung — einander
schen Reiterstiefel gefunden hat, in welchem ein
widerstreitend — sich hat ausleben lassen, darin liegt
Milchfläschchen für einen Säugling steckt, nachdem
der Grund, warum wir einen nicht voll befriedigen¬
schon früher eine karrierte Tuchent und ein unaus¬
den Eindruck erhalten. Die Mutterschaftstragödie
sprechlicher Topf entdeckt worden war — alles cor¬
der John könnte ruhig herausgeschält und für sich
pora delicti für die heimliche Geburt des Dienst¬
hingestellt werden: Eine bessere Arbeitersfrau hat
botenkindes. Wie nun die John heruntersteigt, weist
ein Knäblein durch Krankheit verloren. Sie sehnt
der Direktor „heftig mit beiden Armen auf sie, wie
sich fortwährend nach dem Kinde, der Mann eben¬
wenn er eine Entdeckung gemacht hätte“ und sagt
falls. Die Frau findet ein verführtes, verzweifelndes
zu Spitta: „Da kommt Ihre tragische Muse, Spitta“,
Dienstmädchen, das Mutter werden soll, beredet es,
und dann zur verdutzten John: „... Danken Sie
ihr das Kind gegen Geld zu überlassen. Das Kind
Gott, wenn Ihr stilles, eingezogenes, friedliches
gibt sie allen Leuten und auch ihrem Manne
Leben Sie zur tragischen Heldin ungeeignet macht.“
gegenüber als eigenes aus. Das Dienstmädchen
Da krampft sich einem das Herz zusammen.
will sein Recht auf das Kind doch nicht auf¬
Es ist staunenerregend, was Hauptmann aus dem
geben, die Behörde wird eingreifen, das Kind soll
Kriminalstoff gemacht hat. —— Daß die John viel
ihr weggenommen werden. Sie flieht mit dem
von der Wolff aus dem Biberpelz hat, wird uns
Kinde und schiebt das der Nachbarin unter, das nun
ohne weiters klar, daß die Technik dieser Komödie
behördlich abgeholt wird. Das Dienstmädchen und
hier in den „Ratten“ gewissermaßen wiederholt und
die Nachbarin streiten um das — unterschobene —
gesteigert wird, ebenfalls; das kommt vom Stoff¬
Kind; dieses stirbt. Die Arbeitersfrau kehrt zurück
lichen, da es dort wie da vieles zu verbergen gibt.
mit dem Kind (des Dienstmädchens). Sie stiftet ihren
Alle Figuren sind plastisch, logisch und auch dich¬
Bruder, den Zuhälter, an, das Dienstmädchen zu
terisch vollendet. Worin der Meister gefehlt hat,
verschleppen, der Bruder versteht dies nur zu gut,
haben wir zu zeigen versucht. Ablehnungen in dem
er mordet das Mädchen. Die Polizei greift ein, der
Tone aber, wie sie z. B. in der „Neuen freien
Mann wendet sich auch von der Frau ab, sie geht in
Presse“ durch Paul Goldmann erfolgte, müßten von
den Tod.
Rechts wegen gegenüber einem Dichter wie Ger¬
Diesem Schatten ist als Kontrast die komische
hart Hauptmann unmöglich sein.
Künstlersippe entgegengestellt. Die alte Schauspiel¬
Wenn der Theaterdirektor in den „Ratten“ am Ende
und Dichtkunst in der Person des Direktors steht der
zugeben muß, daß Spitta's Meinung von der Gleich¬
neuen in dem der Theologie entlaufenen jungen
heit aller Menschen vor der Dichtkunst (wie vor dem
Spitta, erst Hauslehrer, dann Schauspieler=Schüler,
Gesetz) durch das Schicksal der John bewiesen wird,
gegenüber, wobei Hauptmann die neue Kunst ver¬
so muß der junge Medardus am Ende seiner Bahn
teidigt. Nebenbei nimmt der junge Spitta dem
gestehen, daß er zum Narren seines Schicksales ge¬
Direktor das Töchterlein.
macht worden, er, den Napoleons Vertreter, General
22. Der junge dardus
box 27/4
116
Rundschau.
Der Kreis um den Direktor ergibt ein komisches
Ein Augenblick ist da in der schon erwähnten Ver¬
Künstlerdrama, der Kreis um die John eine Mutter¬
flechtung der beiden Personengruppen in Situa¬
schaftstragödie. Ortlich übereinander und künst¬
tionen, der eine erschütternde Wirkung ausübt. Der
lerisch nebeneinander laufen die beiden Dramen, nur
Direktor und Spitta streiten wieder, Spitta hat be¬
durch die Personen und durch Situationen mit¬
hauptet, „daß unter Umständen ein Barbier oder
einander verknüpft. Noch ein Gemeinsames haben
eine Reinemachfrau aus der Mulackstraße ebenso
die beiden Gruppen. Amoralisch ist die Unterschicht
gut ein Objekt der Tragödie sein könnte als Lady
(Arbeiter, Dirnen, Zuhälter, Hausmeister), jenseits
Maebeth und König Lear“; ferner „wenn sich das
von Gut und Böse stehen die Künstler, in denen sich
deutsche Theater erholen will, so muß es auf den
Charakterlosigkeit und Idealismus einigen. (Um
jungen Schiller, den jungen Goethe des Götz ... zu¬
einem Mißverständnis vorzubeugen, sei es zur Er¬
rückgreifen“; dann habe Goethe „senile“ Schau¬
klärung erlaubt, hier an Richard Wagners Selbst¬
spielerregeln aufgestellt. Der Direktor wütet da¬
biographie und den Streit um des Genies bürger¬
gegen, Spitta sei eine Ratte, Rattenplage gäb's in
lichen „Charakter“ hinzuweisen.)
der Politik, in der Kunst, überall. Der Streit löst sich
in lautes Gelächter der Schüler (mit Ausnahme
Abgesehen davon, daß in dieser Tragikomödie das
Spittas) und des Direktors auf. In diesem Augen¬
Tragische und Komische nicht auseinander und in¬
blick steigt die Frau John und der Hausmeister vom
einander wirkt, ist das Tragische überwiegend und
Boden herunter, wo sie nach Spuren von Dieben
zwar so stark, daß wir am Ende nur das Tragische
gesucht haben, die zwei Kisten vom Fundus gestohlen
spüren. Daß Hauptmann die beiden Elemente nicht
haben sollen; wobei der Hausmeister einen schwedi¬
in einer Person, in einer Handlung — einander
schen Reiterstiefel gefunden hat, in welchem ein
widerstreitend — sich hat ausleben lassen, darin liegt
Milchfläschchen für einen Säugling steckt, nachdem
der Grund, warum wir einen nicht voll befriedigen¬
schon früher eine karrierte Tuchent und ein unaus¬
den Eindruck erhalten. Die Mutterschaftstragödie
sprechlicher Topf entdeckt worden war — alles cor¬
der John könnte ruhig herausgeschält und für sich
pora delicti für die heimliche Geburt des Dienst¬
hingestellt werden: Eine bessere Arbeitersfrau hat
botenkindes. Wie nun die John heruntersteigt, weist
ein Knäblein durch Krankheit verloren. Sie sehnt
der Direktor „heftig mit beiden Armen auf sie, wie
sich fortwährend nach dem Kinde, der Mann eben¬
wenn er eine Entdeckung gemacht hätte“ und sagt
falls. Die Frau findet ein verführtes, verzweifelndes
zu Spitta: „Da kommt Ihre tragische Muse, Spitta“,
Dienstmädchen, das Mutter werden soll, beredet es,
und dann zur verdutzten John: „... Danken Sie
ihr das Kind gegen Geld zu überlassen. Das Kind
Gott, wenn Ihr stilles, eingezogenes, friedliches
gibt sie allen Leuten und auch ihrem Manne
Leben Sie zur tragischen Heldin ungeeignet macht.“
gegenüber als eigenes aus. Das Dienstmädchen
Da krampft sich einem das Herz zusammen.
will sein Recht auf das Kind doch nicht auf¬
Es ist staunenerregend, was Hauptmann aus dem
geben, die Behörde wird eingreifen, das Kind soll
Kriminalstoff gemacht hat. —— Daß die John viel
ihr weggenommen werden. Sie flieht mit dem
von der Wolff aus dem Biberpelz hat, wird uns
Kinde und schiebt das der Nachbarin unter, das nun
ohne weiters klar, daß die Technik dieser Komödie
behördlich abgeholt wird. Das Dienstmädchen und
hier in den „Ratten“ gewissermaßen wiederholt und
die Nachbarin streiten um das — unterschobene —
gesteigert wird, ebenfalls; das kommt vom Stoff¬
Kind; dieses stirbt. Die Arbeitersfrau kehrt zurück
lichen, da es dort wie da vieles zu verbergen gibt.
mit dem Kind (des Dienstmädchens). Sie stiftet ihren
Alle Figuren sind plastisch, logisch und auch dich¬
Bruder, den Zuhälter, an, das Dienstmädchen zu
terisch vollendet. Worin der Meister gefehlt hat,
verschleppen, der Bruder versteht dies nur zu gut,
haben wir zu zeigen versucht. Ablehnungen in dem
er mordet das Mädchen. Die Polizei greift ein, der
Tone aber, wie sie z. B. in der „Neuen freien
Mann wendet sich auch von der Frau ab, sie geht in
Presse“ durch Paul Goldmann erfolgte, müßten von
den Tod.
Rechts wegen gegenüber einem Dichter wie Ger¬
Diesem Schatten ist als Kontrast die komische
hart Hauptmann unmöglich sein.
Künstlersippe entgegengestellt. Die alte Schauspiel¬
Wenn der Theaterdirektor in den „Ratten“ am Ende
und Dichtkunst in der Person des Direktors steht der
zugeben muß, daß Spitta's Meinung von der Gleich¬
neuen in dem der Theologie entlaufenen jungen
heit aller Menschen vor der Dichtkunst (wie vor dem
Spitta, erst Hauslehrer, dann Schauspieler=Schüler,
Gesetz) durch das Schicksal der John bewiesen wird,
gegenüber, wobei Hauptmann die neue Kunst ver¬
so muß der junge Medardus am Ende seiner Bahn
teidigt. Nebenbei nimmt der junge Spitta dem
gestehen, daß er zum Narren seines Schicksales ge¬
Direktor das Töchterlein.
macht worden, er, den Napoleons Vertreter, General