II, Theaterstücke 22, Der junge Medardus. Dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen (Altwiener Stück, Doppelselbstmord), Seite 690


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Hadurs“ aufführte, schrieb ein Kritiker: „Es lag nicht bloß
an der Verminderung unserer Fähigkeiten, sich für blasse
Seelchen zu erwärmen, daß der Zwitterheld dieses Schau¬
spieles die Leute kalt ließ... Und doch rinnt in den Adern
dieses historischen Schauspieles noch verhältnismäßig das
gesündeste Blut, das Schnitzler seinen=Dichtungen zu geben
vermag. Wie kraut, bis Auf die Knochen krank, ist doch
eist alles übrige, was von diesem Dichter kommt, den die
gewisse Presse so überlaut und eifrig als den stärksten lite¬
rarischen Ausdruck Oesterreichs ausrief. Geradezu auf
Schnitzler gemünzt scheinen die Sätze, die wir in einer
Kriegsbetrachtung der „Historisch=politischen Blätter“
lasen: „Dieser Weltkrieg ist ein Hochgericht auch über jene
Literatur, vor der seit Jahren die sogenannte moderne
Welk imablässig die Weihrauchfässer schwang. Der ganze
Gegensatz zwischen dem, was diese Literatur wollte und
erstrebte, und dem, was in der Seele des Volkes lebte,
riß vor uns auf in der Stunde, da der Waffenruf durch
das Land ging. Hier nur ein Volk der Kraft. .. gestählt
in Arbeit, aller Begeisterungen fähig, mit eisernen
Nerven: ein Volk voll Männlichkeit und Tatkraft
voll starken Idealsinnes. Und dort eine Literatur der
Hysterien und kranken Nerven, der Perversitäten und
Dekadenzen, der wild gewordenen Erotiker und des fnobi¬
stischen Uebermenschentumes, die sich mit ihren Senilitäten
und ihrem weihisch verzärtelten Gefühlsleben noch brüstet.
Eine Kunst des Scheines, eines überfeinerten Luxus, eine
Verspötterin der Ideale. Kein Wunder, daß der problema¬
tische, zerrissene und unfertige, entwurzelte Mensch, wie
er seit Jayr und Tag durch unsere Literatur dahingeht,
unsere Gegner an ein entnerptes Volk glauben ließ...
Nun sind uns als erste Neuheit des kommenden Spiel¬
jahres am Hofburgtheater abermals drei Schnitzlersche Ein¬
akter in Aussicht gestellt worden ...
Wir können uns nicht versagen, hier einen kurzen
Ueberblick über die Tätigkeit des königlichen Schauspiel¬
hauses in Berlin im letzten Spieljahre zu geben. Diese
Spielzeit gipfelte, sowohl an dem künstlerischen, als auch
an dem äußerlichen Erfolge gemessen, in der „Antigone“
des Sophokles (nicht im „Weibsteufel“ des Karl Schön¬
herr). Hohe Aufführungsziffern erreichten „Richter von
Zalamea“ von Calderon, „Der treue Diener seines Herrn“.
und „Medea“ von Grillparzer. Ferner „Götz“, „ Jung¬
frau von Orleans“, „Wallenstein“ „Braut von Messina,
„Maria Stuart", „Minna von Barnhelm“, „Hermanns¬
schlacht", „Prinz von Homburg“, ferner Hebbels „Maria
Magdalena“ und „Nibelungen“ Aus Perlen der ältesten
deutschen Dichtung wurde der „Altdeutsche Abend“ zusam¬
mengestellt („Hans Sachs“ und „Gryphins“). Im Vorder¬
grunde standen ferner Wildenbruchs nationale Dichtungen
„Deutscher König“, „Quitzows“, „Rabensteinerin“ schlie߬
lich Ibsens „Peer Gynt“ Dieser Spielplan stellt durchaus
nicht das letzte Ideal dessen dar, was wir uns unter der
würdigen Tätigkeit einer großen deutschen Bühne vor¬
stellen. Imnerhin ist er geeignet, unseren Neid zu er¬
wecken.
„Als wir kürzlich an der ziemlich anrüchigen Tätigkeit
der zweitgrößten Wiener Schauspielbühne berechtigte
Kritik übten, fiel uns ein Montagsbursche mit dem Vor¬
wurfe an, unsere Kritik sei geeignet, die Eristenz der durch
den Krieg ohnedies scwer bedrängten Schausvieler zu be¬
drohen. Das Theaterspiel sei also gegenwärtig gewisser¬
maßen nicht mehr als eine Notstandsaktion, die den
Schauspielern den Weiterbezug ihrer G ien sichern solle.
Gemeint ist: Die Direktoren dürfen sich, wenn irgend sie
den Betrieb weiterführen und ihre Leute bezahlen wollen,
nicht auf Erperimente einlassen, sie müssen hübsch bei den
bewährten Programmen bleiben, dürfen also ihr Publikum
beileibe nicht mit Klassikern reizen, sonst gibt es leere
Häuser. Wir halten es in dieser Hinsicht mit A. Berger,
der in „Bühne und Welt“ schreibt; „Es ist unwahr, daß
für ernste deutsche Kunst kein Purligem vorhanden sei!
Es gibt überall genug deutsch und küchtlerisch empfindende
Männer und Frauen, um die Theater zu füllen, wenn
Spielplan und Darstellung ihren Wünschen entgegenkom¬
men... Einen Teil des Theaterpublikums können die
Macher selbstverständlich durch ihren Svielvlan völlig ver¬
blöden. Man braucht nur fünfzigmal die „Grille“
geben, um sicher zu sein, daß der „Prinz von Homburg“
nicht gefällt, wenn man ihn folgen läßt, sagt Hobbel
treffend.“ Wir meinen gleichfalls, daß ein anständiger
Theaterbetrieb den Bühnen große neue Kreise zuführen
vürde, die sich jetzt, uninteressiert und angewidert, ferne¬
jalten. Materiell also würden die Schauspieler von einem
olchen Wandel kaum betroffen werden müssen. Seelisch,
ünstlerisch aber würden sie geradezu befreit aufleben.
denn wir wissen uns in unserem Kampfe um ein reineres,
dieres Theater eins mit vielen Schauspielern, die unter
em gegenwärtigen Theaterbetrieb mit all dem Schmutz
nd der Entwürdigung, die er mit sich bringt, seelisch!
man ihnen wenigstens haarscharf beweisen können. 1i
schlechte, unfähige und ungetreue Verwalter sie sind!