II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 47

21.
box 26/1
Kontesse Mizz 1oder-der-PaniTientag
unwahrscheinlich wie die neueste Produktion der Vorzügen und Vorrechten des Stau##ausgestattet schiedenen gräflichen Schlößchens bereichert, so
satirischen Literaten von Rang und Ansehen. Die
ist, in Behandlung genommen. Da haben sich eben¬
Wesens gemacht?
Komtesse Klo bringt nicht bloß ein Geliebter, sondern
bürtige Kräfte gemessen. Die moderne Staberltechnik
Artur Schnitzler ist doch ein Dichter mit
das gesamte männliche Hausgesinde in Wallung und
macht es sich aber viel zu leicht. Man greift eine
lichster Begabung, von vornehmster Zurückhal
adelige Frucht heraus, die schon Wurmflecken zeigt,
in Gefahr; sie entsinnt sich gar nicht der zahlreichen
und von erlesenem Geschmack. Und auf der
man zerteilt sie, und mit dem überlegenen Lächeln,
Mannsbilder, die sie in wenigen unbewachten
seiner Laufbahn will er uns, wenn auch nur
mit der Siegesgeste des Prestidigitateurs werden
Sommerwochen mit ihrer tätigen Liebe beglückte.
einem Einakter, doch umständlicher, als es sonst
zwischen Daumen und Zeigefinger die faulen Schnitt¬
So dicht ist die Fülle der sexuellen Geschehnisse
glückliche Art ist, mit Unterstreichungen, Wie
flächen präsentiert: „Bitte, nichts nutz!“... Und
gewesen. Schnitzlers Komtesse Mitzi äugelt mit dem
holungen, Nachdrücklichkeiten, diesmal in
was ist der Effekt? Dieselben Leute, die heute dem
Lakaien des Vaters, nimmt den verheirateten Zeichen¬
Schrift und mit gleichsam auseinandergesper
Komtessentöter zujubeln, bilden morgen wieder im
lehrer, nach eigenem stolzen Geständnis noch Ver¬
Lettern dafür interessieren, daß sein Possengraf
Foyer der Hofoper eine undurchdringliche Mauer der
treter andrer Nebenfächer der Erotik und für das
Liebschaft hat, und daß dessen Geliebte einen rei
Neugier, um die wahren Komtessen in ihren duftigen
sichere und sichtbare Resultat der Fortpflanzung
Fuhrwerksbesitzer heiratet. Wo leben wir denn
Toiletten die Prunkstiege herabschweben zu sehen;
einen Fürsten in Anspruch. Man sucht durch die
in welcher Zeit? Und man soll das Zusammentre
sie weichen auch nach ungestrichenen Aufführungen
Addition, durch die Häufung der erotischen Begeben¬
des Fiakers und der gräflichen Geliebten mit
nicht vom Platze, ehe die letzte Komtesse sich in den
heiten zu wirken; die „Fälle“ hageln durch das Stück,
Komtesse und das unnatürliche Wesen des natürlich
Unnumerierten geschwungen hat.
damit man über eine Komtesse lache. Diese
Komtessensöhnchens für wahrscheinlich halten? N
Man muß sich wundern, daß gerade den Bühnen¬
dichterischen Bemühungen gemahnen an den Artisten,
da möchte man zugleich um ein Walzerfinale gebe
autoren eines gesellschaftlichen Zirkels, der mit einem
haben.
der den „Cousin“ mit dem Finger berührt, während
gewissen Nachdruck die eigentlich selbstverständliche
Mit Erregtheit und dauernder Teilna
hinter der Kulisse ein mächtiger Knall erdröhnt. Der
Ausgleichung der Klassen und Stände betreibt,
schaue ich in die dunkle Seetiefe der Schnitzlersch
Artist läßt ein Schnupftuch fallen und zugleich
gräfliche Familien in ihren häuslichen Verrichtungen
täuscht uns der Paukenschlag hin ir der Varietészene
Gedanken. Ich bewundere seine meisterliche Tech
nicht gleichgültiger sind. Gelten keine Unterschiede,
die klassische Ruhe und das Gleichmaß seiner Spra
eine große Erschütterung vor — das ist die Kunst.
so kümmert's mich nicht, ob eine Komtesse Mitzi oder
ich bin von seiner Künstlerschaft so erfüllt, daß
von heute. Eine Symphonie, ein Streichquartett mit
eine Mitzi schlechtweg ein Kindlein wiegt. Weshalb
ein Abbiegen von der Linie der Vornehmheit ka
Gesang, eine satirische Komödie. Man vernimmt den
der Zorn der satirischen Komtessendichter? Weiß man
angemerkt hätte. Es befremdet mich nur, daß „Ko
Knall, aber im Grunde ist nichts geschehen.
denn nicht, daß eine Komtesse dieselben Organe, die¬
tesse Mitzi“ als Gipfelpunkt des Schnitzlersch
Ich fühle nicht den Beruf in mir und bin weit
selben Triebe und Begehrnisse wie jedes andre weib¬
Schaffens, als eine besonders mutige Adelssatire
entfernt davon, Grafentöchter gegen dramatische
liche Wesen besitzt? Muß für diesen platten Nach¬
trachtet wird; in einer Stadt, wo „der einsame Wi
Satiren zu verteidigen. Ich habe im Leben nie so viel
weis heute noch die obere Schichte der Literatur in
Schnitzlers beharrlich gemieden wird und die tiefe
wie unsre Dichter über Komtessen nachgedacht.
Bewegung gesetzt werden? Eine Kulturgeschichte
Werke Schnitzlers gar nicht oder nur ruckweise 1
Komtesse Klo und Komtesse Mitzi scheinen mir aber so
zudem, die eine Auffassung der Liebe verbreitet,
durch Zufall zum Vorschein kommen. Mutig war
wenig echte Komtessen zu sein, wie andre Mädchen,
nach der eigentlich nur diejenigen Mädchen satirisch
das Adelsthema in früheren Jahrhunderten zu
die nach gleichen Grundsätzen vorgehen, echte Bürgers¬
zu trefsen wären, die noch niemals ein Kind bekommen
handeln, wenn also Michel de Montaigne (ich üb
töchter sind. Die Satire darf nicht sophistisch sein.
haben. Mit einem Male wird aus einem vorlauten setze mit Vollgraff) schrieb „Was aber die #
Beanmarchais hat einen rechten Grafen, der mit den kleinen Weltbürger, der den Hausstand eines abge=schätzung der Menschen angeht, so ist es sehr fonderb