II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 65

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seines Schaffens ist uns Artur Schnitzler im ersten Drit¬
tel des Jänner auf Wiener Bühnen begegnet.
Eine, Matinee der Concordia im Johann Strauß=Thea¬
ter machte den frühesten Schnitzler und seinen vielgelesenen“,
weniger aufgeführten „Anatol“, diesen liebenswürdigen,
leichtsinnigen Melancholiter wieder lebendig. Von den sieben
Anatolszenen ist eine auf unzähligen Bühnen unzählige
Male gespielt worden, das „Abschiedssouper“, weil die ur¬
wüchsige Ballerine Annie für Darstellerinnen des Drasti¬
schen immer eine lockende Aufgabe bilden wird, wie sie bei¬
spielsweise Gisela Schneider, Adele Sandrock und Hansi
Niese zu Triumphen verhalf. Jarno hat in Wien auch zwei
weitere von diesen Einaktern aufzuführen gewagt, die iro¬
nische „Frage an das Schicksal“, wo einem sehr eifersüch¬
tigen Hypnotiseur die Gelegenheit geboten ist, seine hypno¬
tisierte Geliebte zu fragen, ob sie ihm treu sei, und er diese
Frage lieber nicht stellt, und die „Episode“, in der Anatol,
vor seinem Freund Max Liebeserinnerungen auskramend,
eine Episode von zwei Stunden erzählt, in denen er, wie
er meint, ein Frauenschicksal für immer zermalmt hat, wor¬
auf dieselbe Frausprompt bei der Tür hereintritt, und wohl
den Freund Max, nicht aber ihren Zermalmer Anatol wie¬
dererkennt..
Gern blättert man nach langen Jahren in diesen leicht¬
sinnig=wehmütigen Anatolgeschichten, die vor einem halben
Menschenalter erschienen sind und an denen heute nur
Eines antiquiert, deplaciert anmutet: das einleitende Ge¬
dicht Hugo v. Hofmannsthals, das zu Schnitzlers
Dramatik schon damals nicht paßte und das mit dem Dichter
der „Komtesse Mizzi“ ganz und gar nichts mehr zu schaffen
hat. Denn die vielzitierten Verse:
„Also spielen wir Theater,
Spielen unsre eigenen Stücke,
Frühgereift und zart und traurig,
Unsres Fühlens Heut' und Gestern,
Böser Dinge hübsche Formel,
Glatte Worte, bunte Bilder,
Halbes, heimliches Empfinden,
Agonien, Episoden
Diese Verse charakterisieren die Dramen Hofmanns¬
thals, aber nicht die Schnitzlers, obwohl eine Anatolszene
„Episode“ und eine andere „Agonie“ heißt. Die „Agonie“,
die das Ende eines Liebesverhältnisses schildert und die
Szene „Denksteine“, die gleichfalls das Aufhören einer Lei¬
denschaft zum Stoff hat, sind für die Bühne zu zart, zu
leicht, zu inhaltsarm. Dagegen schlägt der letzte Einakter
der Sammlung, von dessen erster Aufführung hier zu berich¬
ten ist, „Anatols Hochzeitsmorgen“ einen kräf¬
tigen, bühnenwirksamen Ton an. Anatol sitzt melancholisch
beim Frühstück in seinem Arbeitszimmer: um zwei Uhr soll
er heiraten, ist aber entschieden nicht in der Stimmung
dazu und möchte am liebsten absagen. Max, der Freund und
heute Tranzeuge, kommt, um zu fragen, was für eine Toi¬
lette Anatols Cousine, seine Dame, tragen wird, damit er
ein Bukett in den passenden Farben bestellen könne. Plötzlich
ertönt aus dem benachbarten Junggesellenschlafzimmer
Ilonas Stimme: „Anatol!“ Max ist entrüstet. Anatol
erzählt, wie er beim Polterabend war, wie es ihn nachher
übermächtig gepackt habe, daß die letzte Nacht der Freiheit
und des Abenteuerns vor ihm liege und wie er daher — auf
die Redoute ging. Dort traf er Ilona, der er vor 6 Wochen,
als er sich verlobte, erzählt hatte, er müsse eine kleine Reise
antreten. Es war ein frohes Wiedersehen, und als Anatol
mit Ilona von der Redoute heimfuhr, schmiegt sich Ilona
an ihn und sagt: „Nun wollen wir uns nie wieder trennen.“
Ilona kommt aus dem Schlafzimmer, begrüßt Max und in
lustiger Weise erfährt sie so ganz allmählich von den beiden
Freunden, daß Anatol heute heiratet. Das gibt erst einen
fürchterlichen Wutanfall; zuletzt aber beruhigt sie sich mit
dem ihr von Max suggerierten Rachegedanken, sie werde den
verheirateten Anatol schon wieder in ihr Netz und in diese
Junggesellenräume zurücklocken. Kramer eignete sich mit
seinem flotten Weltmannston vortrefflich für den Anatol,
und Elsa Galafrés war eine füße, demimondaine Ilona.
Es ist zu verwundern, daß das Deutsche Volkstheater, das
die richtigen Darsteller für den Anatolzyklus hat, nicht schon
* Anatol. Von Artur Schnitzler. Zehnte Auftage. S. Fi¬
scher, Verlag, Berlin, 1908.

stadtmädel, das er jetzt liebt und von dem Milieu dieser
Liebe: „Also — denken Sie sich — ein kleines, dämmeriges
Zimmer — so klein,— mit gemalten Wänden — und noch
dazu etwas zu licht — ein paar alte, schlechte Kupferstiche
mit verblaßten Aufschriften hängen da und dort. — Eine
Hängelampelmit einem Schirm. — Vom Fenster aus, wenn
es Abend wird, die Aussicht auf die im Dunkel versinkenden
Dächer und Rauchfänge! .. Und — wenn der Frühling
kommt, da wird der Garten gegenüber blühn und duf¬
ten ....“
Dies ist der Schauplatz des klassischen Wiener Stückes,
das Schnitzler geschrieben und das vor einigen Tagen im
Deutschen Volkstheater eine Auferstehung voller Glanz und
Glorie gefeiert hat, der „Liebelei“. Aus Anatol ist hier
Fritz Lobheimer geworden, Frau Gabriele spielt nur unsicht¬
bar mit, indem sich Anatol=Fritz von ihrem Mann im Duell
erschießen läßt. Das süße Mädel aber, das sich hoch oben
im dämmerigen Mansardenstübchen für die einzig Geliebte
Fritzens hielt, ist hier zu einer wundervollen Figur von er¬
greifender, vielleicht unsterblicher Tragik geworden. Das
Publikum des in allen Rängen ausverkauften Deutschen
Volkstheaters lauschte mit einer Ehrfurcht und Spannung,
als ob nicht jeder dieser Premierenbesucher die „Liebelei“
schon ein paarmal gelesen und im Burgtheater gesehen ge¬
habt hätte. Tränen flossen, viele schamhaft verhehlte Tränen,
und als der Vorhang zum dritten= und letztenmal nieder¬
ging, da rief den Dichter einhelliger, überschwenglicher Jubel,
der ihm zeigte, wie sehr ihn Wien liebt, und der die Wiener
Theaterdirektoren daran erinnern sollte, daß weder „der
Schleier der Beatrice“ noch „der Ruf des Lebens“ bisher
auf einer unserer Bühnen zu sehen waren. Die Christine
spielte im Volkstheater, auf besonderen Wunsch Schnitzlers,
Käthe Hannemann. Sie befremdete anfangs durch ihr
norddeutsches, unwienerisches Sprechen. Allein als sie im
dritten Akt, ein Bild erschütternder Verzweiflung, allmensch¬
liches Leiden zu tragischer Größe hob, da begriff man den
Wunsch des Dichters. Auch die anderen Darsteller, Herr
Kutschera als Vater des süßen Mädels, der talentvolle
neue Mann des Volkstheaters Edthofer als Fritz, der
vielseitige Kramer als sein flotter Freund Theodor und
Fräulein Waldow vom Intimen Theater als schneidiges
Wiener Modistenmädel, gingen in ihren Rollen vollkom¬
mnen auf.
Und dann kam das Ereignis, die Novität, der jüngste
Einakter des heutigen Schnitzler, die „Komtesse
Mizzi“*“. Wenn im Schaffen mancher Dichter Wellental
und Wellenberg wechseln, so ist die „Liebelei“ der Höhepunkt
einer Periode Schnitzlers, der „Weg ins Freie“ aber, obwohl
mit seinen zwanzig Auflagen das meistgekaufte Buch des
Dichters und auch der sehr verwickelte, sehr gekünstelte Ein¬
akter „Komtesse Mizzi“ sind gewiß nur Werke einer über¬
gangszeit des Poeten auf dem Wege zu einer neuen Alters¬
und Arbeitsperiode. So kompliziert ist diese Komödie zu¬
sammengebaut, idaß man ihrem Inhalt erzählend kaum
folgen kann. Diese Komtesse Mizzi hat einen ganz netten,
leider seit 20 Jahren verwitweten Vater, den Grafen Arpad
Pazmandy. Daß sich der Graf nach dem Tod seiner Frau
als Mann in den besten Jahren bei der Ballettänzerin Lolo
Pallestri getröstet und mit ihr, die so ausgezeichnet kochen
konnte, achtzehn Jahre hindurch außerhalb seines Hauses
ein so schönes Familienleben geführt hat, das kann ihm
niemand übelnehmen. Dabei hat er freilich keine Zeit gehabt,
sich um sein verwaistes Töchterchen zu kümmern, und so hat
die Mizzi von ihres! Vaters Freund, dem Fürsten Egon Ra¬
venstein, grad vor 18 Jahren ein Kind kriegen und es in
aller Stille und Gemütlichkeit in einem Försterhäuschen des
Fürsten zur Welt bringen können, während sie der Vater
in einem Ursulinerinnenkloster wähnte. Mizzi wäre damals
mit dem Fürsten, der mit einer kranken Frau verheiratet
war, gern nach Amerika durchgegangen. Der Fürst aber zog
es vor, den Tod seiner Frau abzuwarten und der Mizzi erst
dann einen Heiratsantrag zu machen. Die Komtesse lehnt
diesen Antrag, den ihr der Fürst erst sieben Jahre nach der
Geburt des Sohnes machen kann, aus Erbitterung darüber
ab, daß ihr der Fürst den acht Tage alten Sohn entrissen
und bei fremden Leuten als Kind verstorbener Eltern hat
*
Komtesse Mizzi oder der Familientag. Komödie in einem
Akt .von Artur Schnitzler. S. Fischer, Verlag, Berlin, 1909.
n M r m ungnne un
den liebenswürdig=unverschämt
Gnade des Kaisers den fürstlich
tragen wird, den Pazmandys
Gelegenheit der Komtesse
antrag. Es gibt noch ein klei
Fürsten und der Komtesse, die
heit die vielen Liebesverhältn
beiden in den letzten 10 Jahre
werden der 55jährige Fürst Eg
tesse Mizzi ein famoses Ehepch
junge Ravenstein wird bald auch
mütterlicherseits gelüftet sehen
ihren letzten Liebhaber und L
Professor Windhofer, in Gnad
ihrem Vater den Sommer in 2
auch Ravenstein Vater und R
Das alles und noch viel i
Schlag in einem einzigen Akt,
schen im Schlosse des, Grafen P
falls an einem schönen Somm
den. Der Graf und seine Tocht
mit der gräflichen Familie en
zu Besuch und fragt an, ob er
dieser Sohn kommt dann in ein
natürlich der Wasner lenkt; u
überraschung des Grafen scho
weil ihr der Graf immer verspi
Hochzeit einmal sein Landschloß
So ist also „der Familientag
versteht sich vortrefflich mit L
dauere, die langjährige Gefähr
kennen gelernt und nicht zur
Ebensogut gefällt der Komtess
Graf ist von den Sympathie
entzückt, wie von dem vorlaut
Ehe seiner Tochter und in der
in der edlen Liebeskunst Entf
Familienleben an Lolos Seite
Wasner gefällt allen. Und be
der zuletzt anrückende Professo
den Malstunden“ aus ist, dem
ein Witz, der im Buch noch nich
offenbar erst bei den Proben
Grüße an seine liebe Frau und
Von guten Witzen ist der
jeder Seite voll. Diese Witze,
eine Stimmung behaglichster
rend der Aufführung keinerle
zwicktheit des Familientages
zum Telephon gerufen wird u
mit dem sie allein zurückbleib
heute so schweigsam? Erzählen
nichts Neues in der Welt?“;
tet: „Unser Sohn hat maturig
hernach erklärt: „Ich hoffe,
Neuigkeiten im Vorrat? Odern
mich persönlich mehr angehen,
unbekannten jungen Herrn“,
die von der Mutterschaft der
haben, die erste Bombe. Und &
so fort, Ulk reiht sich an Ulk
Lachen überhaupt nicht herauh
virtuos gebracht wird, wie es
wo Thaller mit dem ung
mer mit dem deutsch=franzö
mit dem fürwitzigen Maturante
und die Damen Galafres
Rollen der Mizzi nud Lolo s
besseren Dialog hat Schnitzler
„Komtesse Mizzi“. Den Erfolg
wünschen können. Bessere Stüc
die Bedenken — als dieses i
uns zweifellos noch viele schenk
Neben der Uraufführung
Artur Schnitzler kann nur ein
Theatertage erwähnt werden,
Josef Kainz zwei Wochen
(für drei lange Monate!) vo
Wie um uns den Abschied rech