II, Theaterstücke 21, Komtesse Mizzi oder: Der Familientag, Seite 103

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21. Kontesse Mizzi-oder-der-Fanisientan


Rose im silbernen Spiegel, wie eine Taube, die sich
Form und Inhalt dieses blutbrünstigen Einakters, ##
verirrt, wie eine Narzisse, die sich im Winde bewegt.
'der bei einer verblüffenden Kraft der Konzentration
Theater am Franzensplatz.
Man bewundere vor allem diese überreiche Fülle von
mehr Geheimnisse der menschlichen Seele bloßlegt, als
(„Salome“ von Wilde.— „Komtesse Mizzi“ von Schnitzler).
Gegensätzen, die hier in kürzester Frist zu Tage
die fünfaktigen Tragödien von hundert anderen Dra¬
streten: ist der Konflikt das Element des Dramas, so
So gewiß der Sexualtrieb im Brenn##
matikern, sind von gleich bewunderungswürdiger
haben wir es hier mit einem vollendeten Drama zu
Größe. Die Kühnheit der Problemgestaltung ist un¬
tragender Probleme steht und längst von größter Be¬
tun. Es führt zur Stellungnahme aller gegen alle
lerhört, die prägnante Sicherheit der Charakteristik
deutung nicht nur für Physiologen, Soziologen und
und jeder steht vereinsamt voll der leidenschaftlichsten
beispiellos, die Kontrastwirkung von monumentalster
Juristen, sondern gleichzeitig für Dichter und Künstler
Liebe und des leidenschaftlichsten Hasses. Jede An¬
Art, die Handlung in ihrer Entwicklung, in ihrem
geworden ist, ebenso gewiß gehört Oskar Wildes diony¬
näherung ist ausgeschlossen, jede Berührung bringt
Höhepunkte, in ihrem korybantischen Abschlusse von
sische Dichtung, allen Klassikern, Romantikern und
den Tod. Das Individuum wird zum Spiegelbild der
einer Geschlossenheit, die sich nur selten wieder findet.
Naturalisten, allen Symbolisten, Visionisten und Prä¬
Zeit. Auch Judäa und Rom stehen in unversöhnlichem
Niemals ist man mit einem Werke der Schrift den
raffaëliten zum Trotze, zu den seltsamsten Dramen
Gegensatze zum herannahenden Christentume und die
bildenden Künsten näher gekommen, nie hat die Poesie
der Weltliteratur. Das Werk eines beinahe unheimlich
Beseitigung des Jochangans durch Salome könnte
farbenreicher gemalt, nie plastischer gestaltet,
genialen Mannes, wird diese „Salome“ auch nach
man symbolisch als einen Akt der Notwehr nehmen,
nie im Raume besser gruppiert. Weit ent¬
Jahrhunderten noch als ein Paradigma oder vielmehr
zu der sich das sinnenfreudige Altertum dem neuen
von dem nüchternen Alltagsleben leder¬
fernt
als eine glänzende Schilderung menschlicher Dekadenz
Geiste gegenüber gezwungen sieht. Trotzdem geht
Realisten, schafft der Dichter eigentlich
ner
gelten. Denn nicht die darstellende Kunst, sondern die
Jochanaan, der Vorläufer der christlichen Nächsten¬
im Sinne der „sentimentalischen“, gewisser¬
dargestellte Kultur, nicht der Dichter in seiner Arbeit,
liebe, an dem fanatischen Hasse gegen seine Umgebung
maßen also im Sinne der idealistischen Kunst, seinen
sondern der verarbeitete Gegenstand ist dekadent. In
zu Grunde. Also ein dramatisches Hindernis noch
Geschehnissen aber wohnt eine erschreckende Wahrheit
allen mir bekannt gewordenen Urteilen ist der un¬
im eigenen Lager wie in der eigenen Seele.
inne und seine Gestalten wurzeln in der sinnlichen
geheuerliche Irrum enthalten, daß man, offenbar im
Zuerst ging das Schauspiel, dessen Inhalt den
Welt wie Bäume im Erdreich. Man muß auf „Faust“.
Hinblicke auf die Person des Verfassers, das Schau¬
Malern seit dem Cinquecento zum Motide dient,
oder auf die Märchen Shakespeares zurückgreifen, um
e felöst pervers=ennt. Wilde persönlich mag
am 30. Jänner 1903 im Stuttgarter Wil¬
die reiche Phantasie eines Dichters so weltecht dar¬
ja krank gewesen sein„wir haben es jedoch nicht mit
helma = Theater in Szene.
Das Publikum
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gestellt zu sehen, wie hier.: Nach dem naiven Ge¬
Wilde, sondern mit seisem Gedichte zu tun, und das
war von innerem Grauen erfaßt und die
nusse, den die kritiklose Aufnahme der Dichtung be¬
Gedicht als Kunstwerk) ist, schildert es auch abnorme
Kritik fand, daß die „dekadente Kultur noch nie durch
reitet, kommt die Freude des Beobachters an ihrer
Menschen und Zustänse, von geradezu kraftstrotzender
Technik, die vielleicht nicht vereinzelt dasteht, aber ge¬
eine gleichraffinierte Phantasie zum Bühnenleben
Gesundheit. Den mybernen Engländer für die Ver¬
erweckt worden sei, wie in diesem „schwülen Drama“.
wiß nicht übertroffen werden kann. Ließe sich doch
kommenheit des Herydes oder für die erotischen Rache¬
Wenige Tage später, am 10. Februar, wurde das
über die technischen Vorzüge allein ein Buch schreiben.
gelüste einer antiken Halbjungfrau, die aus Liebe, Haß
„hypermoderne, pervers=nervöse Stück“ in Hamburg
Man beachte, welche suggestive Effekte der Dichter aus
und Geilheit das Haupt des Geliebten fordert, da sie
gegeben, wurde aber auch dort beinahe abgelehnt, wäh¬
dem Gesetze der allmählichen Steigerung, aus dem
schon diesen selbst nicht haben kann, verantwortlich zu
rend man die „Elektra“ des Sophokles, mit der es
I. Parallelismus einiger Szenen und sogar aus gewissen
machen, ist ebenso fflsch, wie es wibersinnig wäre, einen
einen Abend zu füllen hatte, mit demonstrativem Bei¬
Wortwiederholungen zu holen weiß. Man nehme das
deutschen Historiket der Blutschande zu beinzichtigen,
fall überschüttete. Man nannte dies den Sieg der
Nachtbild mit Mond und Sternen als die Szene
weil er die Beziehungen des Kaisers Nero zu seiner
Lunserer jungen Heldin, die aussieht wie eine weiße Arike über die Moderne. In Berlin, wo „Salome“.
Mutter historisch nachweist.