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21. Kontesse Nizzi oder der Fanisientag
Zugaben von Geist und Humor. Dieser Vater, dem
das Gericht bei der Lösung der Ehe seine Tochter
jährlich auf einen Monat zugesprochen hatte, küm¬
mert sich achtzehn Jahre lang nicht um sein Kind,
das er bei dessen Mutter glücklich aufgehoben ver¬
meint. Er hat keine Zeit für väterliche Empfindun¬
gen, er muß in der Fremde durch harte Arbeit seine
Finanzen wieder in Ordnung bringen. Nun er als
reicher Mann heimgekehrt ist, will er auch etwas
von der Süßigkeit der Vaterfreuden verkosten. In
der ersten Woche des Beisammenseins mit der Toch¬
#ter werden ihm freilich nur Bitterkeiten zutheil;
doch der erfahrene Lebemann ist ein Charmeur, dem
es gelingt, seine eigene Tochter zu erobern, und
dem Sprößling zuliebe versöhnen sich auch die Eltern;
etwas unvermittelt zwar, mit einiger Ueberstür¬
zung, doch das kann den vielen guten Eigenschaften
des amüsanten Stückes keinen Tort mehr anthun
Die Aufführung war brillant. In der Rolle des
Lebemann=Vaters, die er mit feinem Empfinden nur
ganz wenig chargirte, wußte Herr Thaller ge¬
räuschvolle Wirkungen zu erzielen. Die Tochter
spielte Frl. Paula Müller und bezauberte durch
die Anmuth, welche ihr ganzes Wesen ausstrahlte.
Da das Stück mit diesen beiden Rollen steht oder.
fällt, hätten die Wiener ihre Sache gewonnen ge¬
habt, auch wenn der zweiie Plan minder gut versorgt
gewesen wäre. Doch die Damen Galafrés, die
eine grande cocotte mit gewinnendem Chic und
glänzenden Toiletten ausstattete, sowie FrauSchweig¬
hofer, die der Mutter viel Gemüth lieh, ferner
Herr Kramer, der für einen zur Solidität sich be¬
kehrenden jungen Lebemann die nothwendige Ele¬
ganz aufbrachte, boten durchwegs achtungswerthe
Leistungen, welche von dem ausverkauften Hause mit
stürmischem Beifall honorirt wurden.
Am Sonntag boten uns die Wiener Gäste ein
ziemlich reichhaltiges literarisches Menn. Hors
d’oeuvre: Sudermann. Ein kleiner, in unwahres
Rococo gekleideter Ehebruch mit unnöthig blutigem
Schlusse führt den Titel Lichtbänder. Auf
Rosen gebettet sehen wir eine schöne junge Frau in
pervers gesteigerter Erotik in den letzten Zügen ihrer
Liebe zu einem jungen Grafen. Ein alter, ver¬
fallener Gartenpavillon bietet den Liebenden ein
wollustgetränktes Versteck. Hier überrascht sie der
Gatte. Ein von Sudermann rechtzeitig auf die Szene
gebrachtes Messer läßt die ungetreue Frau und das
wenig erquickliche Stück rasch enden. Felix Salten's
Auferstehung, hier schon ungarisch gespielt,
war der zweite Gang. Das Stück, mit seinem vor¬
nehm=witzigen Dialog und seiner liebenswürdig¬
satirischen Schärfe, feierte in der brillanten Darstel¬
lung des Wiener Ensembles selber eine Art Auf¬
erstehung, und die Pointe der kleinen famosen
Bluette kam so erst recht zur Geltung. Als Dessert
wurde „Comtesse Mizzi“ von Schnitzler
servirt. Eine Groteske. Ein Reigen intimer Gescheh¬
nisse, die in buntem Wechsel einen Fürsten in ver¬
wandtschaftliche Beziehung zu einem Fiakerkutscher
bringt. Vielleicht ist Schnitzler zu persönlich in
seinem Spotte gegen die österreichische Aristokratie, —
aber die einzelnen Figuren sind so meisterhaft
modellirt, der Dialog so geistvoll und zugleich
prächtig in seiner selbstverständlichen Schlichtheit, die
Vorgänge auf der Bühne so vielgestaltig, so an¬
fregend, daß man den Meister der modernen Wiener
Dramatik just wieder in diesem kleinen, nur für das
Feuilleion erdachten Werk erkennen kann. Auch
dieses Stückchen wurde unübertrefflich sein gespielt,
und wir freuen uns, daß wir dem ausgezeichneten
Ensemble abermals unsere vollste Bewunderung aus¬
drücken können.
In der vieraktigen Komödic Bernhard Shaw's
„Major Barbara“ geht es der Heilsarmee an den
Kragen. Nch der launigen Anulkung der frommen
#ch ueter Arheren, der Bomois erbrach
21. Kontesse Nizzi oder der Fanisientag
Zugaben von Geist und Humor. Dieser Vater, dem
das Gericht bei der Lösung der Ehe seine Tochter
jährlich auf einen Monat zugesprochen hatte, küm¬
mert sich achtzehn Jahre lang nicht um sein Kind,
das er bei dessen Mutter glücklich aufgehoben ver¬
meint. Er hat keine Zeit für väterliche Empfindun¬
gen, er muß in der Fremde durch harte Arbeit seine
Finanzen wieder in Ordnung bringen. Nun er als
reicher Mann heimgekehrt ist, will er auch etwas
von der Süßigkeit der Vaterfreuden verkosten. In
der ersten Woche des Beisammenseins mit der Toch¬
#ter werden ihm freilich nur Bitterkeiten zutheil;
doch der erfahrene Lebemann ist ein Charmeur, dem
es gelingt, seine eigene Tochter zu erobern, und
dem Sprößling zuliebe versöhnen sich auch die Eltern;
etwas unvermittelt zwar, mit einiger Ueberstür¬
zung, doch das kann den vielen guten Eigenschaften
des amüsanten Stückes keinen Tort mehr anthun
Die Aufführung war brillant. In der Rolle des
Lebemann=Vaters, die er mit feinem Empfinden nur
ganz wenig chargirte, wußte Herr Thaller ge¬
räuschvolle Wirkungen zu erzielen. Die Tochter
spielte Frl. Paula Müller und bezauberte durch
die Anmuth, welche ihr ganzes Wesen ausstrahlte.
Da das Stück mit diesen beiden Rollen steht oder.
fällt, hätten die Wiener ihre Sache gewonnen ge¬
habt, auch wenn der zweiie Plan minder gut versorgt
gewesen wäre. Doch die Damen Galafrés, die
eine grande cocotte mit gewinnendem Chic und
glänzenden Toiletten ausstattete, sowie FrauSchweig¬
hofer, die der Mutter viel Gemüth lieh, ferner
Herr Kramer, der für einen zur Solidität sich be¬
kehrenden jungen Lebemann die nothwendige Ele¬
ganz aufbrachte, boten durchwegs achtungswerthe
Leistungen, welche von dem ausverkauften Hause mit
stürmischem Beifall honorirt wurden.
Am Sonntag boten uns die Wiener Gäste ein
ziemlich reichhaltiges literarisches Menn. Hors
d’oeuvre: Sudermann. Ein kleiner, in unwahres
Rococo gekleideter Ehebruch mit unnöthig blutigem
Schlusse führt den Titel Lichtbänder. Auf
Rosen gebettet sehen wir eine schöne junge Frau in
pervers gesteigerter Erotik in den letzten Zügen ihrer
Liebe zu einem jungen Grafen. Ein alter, ver¬
fallener Gartenpavillon bietet den Liebenden ein
wollustgetränktes Versteck. Hier überrascht sie der
Gatte. Ein von Sudermann rechtzeitig auf die Szene
gebrachtes Messer läßt die ungetreue Frau und das
wenig erquickliche Stück rasch enden. Felix Salten's
Auferstehung, hier schon ungarisch gespielt,
war der zweite Gang. Das Stück, mit seinem vor¬
nehm=witzigen Dialog und seiner liebenswürdig¬
satirischen Schärfe, feierte in der brillanten Darstel¬
lung des Wiener Ensembles selber eine Art Auf¬
erstehung, und die Pointe der kleinen famosen
Bluette kam so erst recht zur Geltung. Als Dessert
wurde „Comtesse Mizzi“ von Schnitzler
servirt. Eine Groteske. Ein Reigen intimer Gescheh¬
nisse, die in buntem Wechsel einen Fürsten in ver¬
wandtschaftliche Beziehung zu einem Fiakerkutscher
bringt. Vielleicht ist Schnitzler zu persönlich in
seinem Spotte gegen die österreichische Aristokratie, —
aber die einzelnen Figuren sind so meisterhaft
modellirt, der Dialog so geistvoll und zugleich
prächtig in seiner selbstverständlichen Schlichtheit, die
Vorgänge auf der Bühne so vielgestaltig, so an¬
fregend, daß man den Meister der modernen Wiener
Dramatik just wieder in diesem kleinen, nur für das
Feuilleion erdachten Werk erkennen kann. Auch
dieses Stückchen wurde unübertrefflich sein gespielt,
und wir freuen uns, daß wir dem ausgezeichneten
Ensemble abermals unsere vollste Bewunderung aus¬
drücken können.
In der vieraktigen Komödic Bernhard Shaw's
„Major Barbara“ geht es der Heilsarmee an den
Kragen. Nch der launigen Anulkung der frommen
#ch ueter Arheren, der Bomois erbrach