21. Kontesse Mizzi oder der Fanilientas
Telephon 12.801.
—
„UBSEHVEN
## österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork.
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
3 5 1909
Ausschnitt aus:
Pester Lloyd, Budapest
vom:
Kbendblatt
Theater und Kunst.
Gastspiel des Deutschen Volkstheaters.
Von Ernst Goth.
Budapest, 3. Mal.
Die Herren Guinon und Bouchinet, deren Komödie
„Vater“ man am Samstag sah, scheinen Männer so
ungleicher Art, daß es überrascht, sie in gemeinsamer
Arbeit vereint zu finden. Ununterbrochen bemüht man
sich, den Einzelspuren ihrer Persönlichkeit nachzugehen,
und wenn das Stück geendet, ist man geneigt, den ersten
und den vierten Akt ganz dem einen, den zweiten und
dritten ganz dem anderen zuzuschreiben. Dieser eine -
gleichgültig, welcher von beiden — stellt sich als biederer,
ein wenig redseliger, oft peinlich gefühlvoller Herr ohne
besondere Eigenzüge dar. Er hat die äußere Fertigkeit
des realistischen Schilderers und die Seele eines Redakteurs
der Gartenlaube. Der andere aber ist eine moderne
Künstlernatur von vielerlei unwägbaren, zarten Reizen.
Er hat etwas vom gelassenen, lautlosen Witz Capus' und
von der müven Innigkeit Donnays. Er ist kühl, ruhig,
vornehm, proklamiert keine neue Ethik und sieht dem
Leben mit einer Art desillusionierten Versöhnlichkeit zu.
Dabei bemüht er sich ersichtlich schlicht und wahr zu sein.
Aber es ist jene Wahrheitsliebe, die Schnitzler einmal —
die „Aufrichtigkeit ermüdeter Lügner“
im „Anatol“
nannte.
Menschenvon solcher Gegensätzlichkeit pflegen sich
sonst auf der Straße nicht zu grüßen. Hier aber
schreiben sie — mit ziemlich erkennbarer Arbeitsteilung —
gemeinsam ein Stück. Der brave Gartenlaubeonkel hat
natürlich den Vortritt. Und er schildert uns mit phrasen¬
reicher Umständlichkeit das recht farblose, bescheidene Heim
der Madame Orsier, deren lebenslustiger Gemahl nun
schon achtzehn Jahre lang nichts von sich hören ließ
und all die Zeit auch auf sein gesetzliches Recht ver¬
zichteie, die kleine Jeanne einen Monat im Jahre bei
sich zu sehen. Die kleine Jeanne ist unterdeß groß ge¬
worden und hat sich eben verlobt. In der matten
Freudlosigkeit dieses Familienkreises erscheint als Licht¬
strahl die Nachricht, daß Papa steinreich nach Paris
zurückgekehrt ist und seine Tochter zu sehen wünscht.
Und Jeanne macht sich auf den Weg zu ihm. Nun erst,
nachdem der ganze erste Akt nicht mehr brachte, als
sonst Kammerdiener und Zofe in den gewissen Einleitungs¬
szenen mitzuteilen pflegen, kann das Spiel beginnen.
Und nun nimmt auch der andere, der feinere der
Autoren das Wort.
Jeanne sitzt neben dem gealterten, aber immer noch
frohgemuten Viveur, der ihr Vater ist und den sie bis¬
her nur aus den gehässigen Worten der Mutter kennt.
Und in Gesprächen, deren Sinn und Inhalt sich zwischen
und hinter die Worte versteckt, erwacht in ihr allmählich
eine unbegreifliche Sehnsucht nach der freieren, leichten,
beschwingten Art der Lebensführung des Vaters und
gleichzeitig ein noch unbegreiflicherer Widerwillen gegen
die pedantische Oede, die kaffeeduftende Behaglichkeit des
mütterlichen Heims. Undeutlich, aber mit leisem inneren
Jubel beginnt sie zu fühlen, wo ihre mahre Heimat liegt
box 26/1
Telephon 12.801.
—
„UBSEHVEN
## österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork.
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
3 5 1909
Ausschnitt aus:
Pester Lloyd, Budapest
vom:
Kbendblatt
Theater und Kunst.
Gastspiel des Deutschen Volkstheaters.
Von Ernst Goth.
Budapest, 3. Mal.
Die Herren Guinon und Bouchinet, deren Komödie
„Vater“ man am Samstag sah, scheinen Männer so
ungleicher Art, daß es überrascht, sie in gemeinsamer
Arbeit vereint zu finden. Ununterbrochen bemüht man
sich, den Einzelspuren ihrer Persönlichkeit nachzugehen,
und wenn das Stück geendet, ist man geneigt, den ersten
und den vierten Akt ganz dem einen, den zweiten und
dritten ganz dem anderen zuzuschreiben. Dieser eine -
gleichgültig, welcher von beiden — stellt sich als biederer,
ein wenig redseliger, oft peinlich gefühlvoller Herr ohne
besondere Eigenzüge dar. Er hat die äußere Fertigkeit
des realistischen Schilderers und die Seele eines Redakteurs
der Gartenlaube. Der andere aber ist eine moderne
Künstlernatur von vielerlei unwägbaren, zarten Reizen.
Er hat etwas vom gelassenen, lautlosen Witz Capus' und
von der müven Innigkeit Donnays. Er ist kühl, ruhig,
vornehm, proklamiert keine neue Ethik und sieht dem
Leben mit einer Art desillusionierten Versöhnlichkeit zu.
Dabei bemüht er sich ersichtlich schlicht und wahr zu sein.
Aber es ist jene Wahrheitsliebe, die Schnitzler einmal —
die „Aufrichtigkeit ermüdeter Lügner“
im „Anatol“
nannte.
Menschenvon solcher Gegensätzlichkeit pflegen sich
sonst auf der Straße nicht zu grüßen. Hier aber
schreiben sie — mit ziemlich erkennbarer Arbeitsteilung —
gemeinsam ein Stück. Der brave Gartenlaubeonkel hat
natürlich den Vortritt. Und er schildert uns mit phrasen¬
reicher Umständlichkeit das recht farblose, bescheidene Heim
der Madame Orsier, deren lebenslustiger Gemahl nun
schon achtzehn Jahre lang nichts von sich hören ließ
und all die Zeit auch auf sein gesetzliches Recht ver¬
zichteie, die kleine Jeanne einen Monat im Jahre bei
sich zu sehen. Die kleine Jeanne ist unterdeß groß ge¬
worden und hat sich eben verlobt. In der matten
Freudlosigkeit dieses Familienkreises erscheint als Licht¬
strahl die Nachricht, daß Papa steinreich nach Paris
zurückgekehrt ist und seine Tochter zu sehen wünscht.
Und Jeanne macht sich auf den Weg zu ihm. Nun erst,
nachdem der ganze erste Akt nicht mehr brachte, als
sonst Kammerdiener und Zofe in den gewissen Einleitungs¬
szenen mitzuteilen pflegen, kann das Spiel beginnen.
Und nun nimmt auch der andere, der feinere der
Autoren das Wort.
Jeanne sitzt neben dem gealterten, aber immer noch
frohgemuten Viveur, der ihr Vater ist und den sie bis¬
her nur aus den gehässigen Worten der Mutter kennt.
Und in Gesprächen, deren Sinn und Inhalt sich zwischen
und hinter die Worte versteckt, erwacht in ihr allmählich
eine unbegreifliche Sehnsucht nach der freieren, leichten,
beschwingten Art der Lebensführung des Vaters und
gleichzeitig ein noch unbegreiflicherer Widerwillen gegen
die pedantische Oede, die kaffeeduftende Behaglichkeit des
mütterlichen Heims. Undeutlich, aber mit leisem inneren
Jubel beginnt sie zu fühlen, wo ihre mahre Heimat liegt
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